Sorge auf dem Sinai

Wird ältestes, christliches Kloster der Welt enteignet?

Das Katharinenkloster
Das Katharinenkloster auf dem Sinai (Ägypten) gilt als das älteste durchgängig bewohnte christliche Kloster der Welt. Doch ein Urteil des ägyptischen Berufungsgerichts stellt nun seine Zukunft in nie dagewesener Weise infrage.

«Errichtet im Jahr 548 auf Befehl des byzantinischen Kaisers Justinian I. am Fusse des Mosebergs in 1’570 Metern Höhe, nimmt das Katharinenkloster eine herausragende Stellung in der religiösen und kulturellen Geschichte der Menschheit ein», ordnet Mohamed Arbi Nsiri, Doktor für alte Geschichte an der «Université Paris Nanterre – Université Paris Lumières».

Eingebettet in die majestätische, karge Gebirgslandschaft des südlichen Sinai – auch bekannt als Kloster der Verklärung – überdauerte es die Jahrhunderte als Zentrum östlich-orthodoxer Spiritualität.

Kostbare Sammlungen

Mohamed Arbi Nsiri erklärt weiter: «Hinter seinen massiven Steinmauern bewahrt das Kloster eine der ältesten christlichen Bibliotheken mit einer kostbaren Sammlung byzantinischer Ikonen und antiker Handschriften. Schon seit jeher war es ein geistlicher Knotenpunkt, der Pilger, Gelehrte und Reisende aller Glaubensrichtungen willkommen hiess.»

Das Kloster untersteht kirchenrechtlich dem griechisch-orthodoxen Patriarchat von Jerusalem. Doch die Entscheidung des ägyptischen Berufungsgerichts vom Mai 2025 bringt nun seine Existenz ernsthaft ins Wanken: «Demnach könnten die Ländereien des Klosters zugunsten des Staates enteignet werden – verbunden mit der möglichen Vertreibung der rund zwanzigköpfigen Mönchsgemeinschaft, deren Mitglieder grösstenteils griechischer Herkunft sind.»

Abruptes Ende möglich

Ein solcher Schritt würde eine fast eineinhalb Jahrtausende währende klösterliche Präsenz abrupt beenden. «Obwohl das Katharinenkloster seit 2002 als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt ist, gerät seine historische Autonomie zunehmend unter Druck.»

Die Wurzeln der Krise reichen zurück in die Zeit nach der ägyptischen Revolution von 2011. Unter der kurzzeitigen Herrschaft der Muslimbruderschaft (Juni 2012 bis Juli 2013) wurden juristische Verfahren angestossen, die die Eigentumsrechte des Klosters in Zweifel zogen. Diese Initiativen mündeten schliesslich in das aktuelle Urteil, das die Beziehungen zwischen der religiösen Gemeinschaft und den zivilen Behörden grundlegend neu definiert.

«Gestattete Nutzer»

Infolgedessen gelten die Mönche nicht mehr als Eigentümer, sondern lediglich als «gestattete Nutzer», deren Rechte auf rein liturgische Aktivitäten beschränkt sind.

Zwar liegen offenbar keine formalen Eigentumsnachweise wie Katastereinträge oder notarielle Urkunden vor. Dennoch stützte sich die jahrhundertelange Präsenz des Klosters auf eine Art historisch-kultureller Besitzstand, der als stillschweigende Legitimität – wenn nicht gar als Gewohnheitsrecht – verstanden wurde, sagt Mohamed Arbi Nsiri.

Das ägyptische Recht erkennt unter bestimmten Bedingungen ein reales Nutzungsrecht an, das sich aus langjährigem Gebrauch ergibt (ḥikr). Dieses verleiht jedoch weder volle Verfügungsgewalt noch Eigentum im rechtlichen Sinn. Das Urteil von 2025 schafft nun juristische Klarheit: Es bestätigt das Eigentum des Staates, gewährt dem Kloster aber ein begrenztes Nutzungsrecht.

Der Sinai als Tourismusprojekt

Laut lokalen Quellen ist die juristische Entwicklung eingebettet in ein seit 2020 laufendes Tourismus-Grossprojekt. Ziel ist es, die Region rund um das Kloster als erstklassiges Reiseziel für religiösen, ökologischen und medizinischen Tourismus zu etablieren.

In diesem Kontext wirkt die klösterliche Präsenz – mit ihrem Anspruch auf Abgeschiedenheit, Stille und Kontinuität – zunehmend als Hemmnis. Die Gefahr besteht, dass das Kloster seiner spirituellen Funktion beraubt und zu einem musealisierten Objekt eines kommerzialisierten Kulturerbes umgewandelt wird.

Griechenland besorgt

Das Urteil hat in Griechenland grosse Besorgnis ausgelöst. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis wandte sich persönlich an Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi und plädierte für den Erhalt des Klosters und seiner Mönche. Dieser veröffentlichte mittlerweile eine Erklärung, das Projekt «Grosse Verklärung» beinhalte keine Räumung oder gar Auflösung der klösterlichen Präsenz. Vielmehr betreffe die Entwicklung ausschliesslich die umliegende Stadt – ohne direkte Eingriffe in das Kloster.

Im Streitfall könnte die UNESCO als Vermittlerin zwischen dem ägyptischen Staat, der Mönchsgemeinschaft, dem griechisch-orthodoxen Patriarchat von Jerusalem und den griechischen Regierungsstellen auftreten. Ein Abkommen könnte so die klösterliche Lebensweise, den Erhalt der materiellen Kulturgüter (Manuskripte, Ikonen, Gebäude) und die spirituelle Rolle des Klosters dauerhaft sichern.

Sollte sich die Lage weiter verschärfen, könnte der Welterbekomitee schliesslich eine Einstufung als «gefährdetes Weltkulturerbe» erwägen – ein Warnsignal an die internationale Gemeinschaft, das diplomatische wie finanzielle Mittel zur Rettung mobilisieren könnte.

Mohamed Arbi Nsiri weiter: «So bietet die Krise letztlich auch eine Chance: die Möglichkeit, das gemeinsame Engagement von Staaten, Kirchen und internationalen Institutionen für ein spirituelles Erbe zu erneuern, dessen Bedeutung weit über nationale Grenzen hinausreicht – und dessen Schutz die Menschheit insgesamt betrifft.»

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Datum: 04.07.2025
Autor: Mohamed Arbi Nsiri / Daniel Gerber
Quelle: Info Chrétienne / gekürzte Übersetzung: Livenet

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