Das Verlangen nach Freiheit: Sprengstoff für den Mittleren Osten

Irak
Saudi-Arabiens König Fahd

Riad - Das militärische Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten stösst in der arabischen Welt auf scharfe Kritik, wie nicht anders zu erwarten war. Der saudische König Fahd verurteilte die Besetzung irakischen Bodens durch westliche Truppen. Der oberste geistliche Führer im Iran, Ayatollah Ali Khamenei, sprach von einem "satanischen" Angriff und forderte den sofortigen Stopp der Invasion. Die Zukunft des Irak müsse vom irakischen Volk allein entschieden werden.

‚Kulturkrieg gegen die USA'

Die eigene Jugend rief Khamenei auf, sich für einen "politischen und wirtschaftlichen, und besonders einen kulturellen Krieg" gegen die USA zu rüsten. Die Supermacht wolle die Region dominieren und die irakischen Ölschätze ausbeuten.
Bei diesen Stellungnahmen kommt unterschwellig zum Ausdruck, dass die Herrscher in der Nachbarschaft des Irak das Anschwellen freiheitlicher Regungen in ihren Völkern fürchten. Im Propagandakrieg hat George W. Bush mehrfach betont, dass seine Truppen dem geknechteten irakischen Volk die Freiheit und neue Perspektiven zur Entfaltung bringen wollen.

Keine Parteien...

Bürgerliche Freiheiten sind für die Mächtigen in den meisten arabischen Ländern kein Thema. Sie herrschen autoritär oder diktatorisch, wie das Haus Saud im Land, das ihren Namen trägt. Der Innenminister Prinz Naif schloss am vergangenen Dienstag die Zulassung von politischen Parteien aus. "Wir haben nie erwogen, politische Parteien zu etablieren", sagte er vor Presseleuten. Die Idee sei vor zwei Monaten von einigen Intellektuellen des Landes Kronprinz Abdullah vorgelegt worden. Aber jetzt habe etwas anderes Priorität: die nationale Sicherheit und Stabilität zu schützen. Der Innenminister sagte, "die existierende Ordnung sei im Grunde gut", wenn auch modernisierungsbedürftig. Das Wüstenkönigreich wird bisher vom Clan der Saud, der etwa 7000 Prinzen und ihre über 20'000 Familienangehörigen umfasst, wie ein Familienbesitz regiert.

...und ein totales Nein zur Religionsfreiheit in Saudi-Arabien

Die Herrscher Saudi-Arabiens haben auch erneut klar gemacht, dass sie keine christlichen Kirchen im Land zulassen. Der Verteidigungsminister Prinz Sultan sagte, Saudi-Arabien sei der Ursprungsort des Islam. Hier sei die Prophetie und die Botschaft von Allah zu den Menschen gekommen, "und nichts kann diese Tatsache aufheben, sollten wir dabei unseren Kopf verlieren". Prinz Sultan sagte vor Presseleuten, dass Ausländer seit 1951 in ihren Privathäusern ihrem Glauben entsprechend Gott anbeten könnten. Aber die Erlaubnis einer Kirche auf dem Territorium des Landes "würde den Islam und alle Muslime treffen".

Territoriale Geschlossenheit

Diese Bemerkung zeigt einmal mehr die Bedeutung, die der Islam dem Territorium gibt. Seit den Tagen Mohammeds hatte die ‚Umma', die Gemeinschaft der Muslime, auch einen territorialen Aspekt. Die ‚Umma' ist, wie der führende Orientalist Bernard Lewis schreibt, "die eine und universale islamische Gemeinschaft, die alle Länder umfasst, in denen sich die muslimische Herrschaft durchgesetzt hat und das islamische Recht gültig ist". Der Islam ist nicht nur Religion, erst recht nicht private Religion des Einzelnen: Er realisiert sich in seinem orientalischen Ursprungsgebiet als eine umfassende soziale und Rechtsordnung.

In Medina wurde Mohammed der Schöpfer und Herrscher der ersten ‚Umma' derer, die seine Lehre annahmen und sich seiner Autorität als Richter fügten. Dass an dem noch im ersten Jahrtausend formulierten islamischen Recht, der Scharia, nicht gerüttelt werden darf, ist ein Grundpfeiler des saudischen Staates.

Die Saudis noch einmal davongekommen

Vor wenigen Wochen hat das US-Aussenministerium in Washington - offensichtlich aus politischer Rücksicht - erneut davon abgesehen, Saudi-Arabien auf die schwarze Liste der Länder zu setzen, die die Religionsfreiheit massiv verletzen. Der Entscheid wurde von der amtlichen US-Kommission für Religionsfreiheit scharf kritisiert. Die Kommission hat Saudi-Arabien angeprangert, da im Wüstenkönigreich die Religionsfreiheit "gar nicht existiert".
Prinz Sultan bezeichnete die Kritiker seines Landes als "Kirchenleute" und "Fanatiker". Und er fügte laut einer Zeitung bei: "Wir sind gar nicht gegen Religionen..., aber Kirchen gibt es bei uns nicht - nicht in der Vergangenheit, nicht in der Gegenwart, nicht in der Zukunft".

Selbstkritische Intellektuelle

Dabei wird im Wüstenkönigreich letzthin offener über gesellschaftliche Fragen gestritten - und auch darüber berichtet. Einen Eindruck davon gab dieser Tage ein vierteiliger Bericht in der englischsprachigen Zeitung ‚Arab News'; er schilderte Debatten unter saudischen Intellektuellen, Wirtschaftsführern und hohen Beamten über die saudisch-amerikanischen Beziehungen.

In der Diskussion über politische Reformen kreisten viele Votanten um die Frage, warum die meisten Attentäter des 11. September aus ihrem Land stammten. Der Tag habe den tiefen kulturellen Graben zwischen Saudi-Arabien und den USA ans Licht gebracht, hiess es. Ein anderer Teilnehmer nahm die Äusserung von Kronprinz Abdullah auf, wonach Osama bin Laden auch andere Täter hätte finden können. Aber er habe eben saudische Jugendliche fanatisiert und für die Anschläge eingesetzt, um die Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu zerstören.

Entwicklung muss sein - aber darf nicht sein

Es wurde beklagt, dass die saudischen Medien völlig ungenügend über die USA berichten. Ein anderer Teilnehmer sagte, die Saudis hätten ausgehend von ihrer Stellung in der arabischen Welt ihre Macht weit überschätzt.

Nachdem die saudisch-amerikanischen Beziehungen tief erschüttert worden sind, forderten laut dem Zeitungsbericht alle Teilnehmer der Diskussionsrunde, die Probleme im eigenen Land endlich wahrzunehmen. Man dürfe nicht den Amerikanern alle Schuld in die Schuhe schieben. Vielmehr müsse Pluralität in Saudi-Arabien gefördert werden. Allerdings steht dem die traditionelle Kultur im Weg, wie ein Mitglied des nationalen Shura-Rats, eines beratenden Gremiums, einwandte: "Aus kulturellen und geschichtlichen Gründen wird die saudische Gesellschaft Pluralität auf der Ebene der Familie nicht akzeptieren".

Datum: 22.03.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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