Wie christliche Gemeinschaften die Armut bekämpfen
«Die christliche Glaubensbotschaft muss Gottes Vorstellung von Gerechtigkeit proklamieren, sonst ist dieser Glaube Heuchelei.» Diesen unmissverständlichen Aufruf richtete C. B. Samuel, indischer Theologe und Experte für Entwicklungshilfe, in erster Linie an die christlichen Gemeinden und Gemeinschaften in aller Welt, seien diese nun im reichen Norden oder in den ärmsten Ländern dieser Welt beheimatet. Samuel warnte vor einem Schweigen gegenüber Ungerechtigkeit. Im Sinne des biblischen Propheten Amos müsse Ungerechtigkeit schonungslos aufgedeckt werden. «Gerechtigkeit ist nicht ein Programm, sondern der Charakter Gottes selbst und seine Heiligkeit», hielt der indische Pfarrer fest.
Drei Arten von Ungerechtigkeit
Ungerechtigkeit drücke sich in individuellem und in kollektivem Handel aus und könne auch strukturell sein. «Viel zu oft schweigen auch überzeugte Christen, wenn es um die Frage der Gerechtigkeit geht», bemängelte Samuel. Über Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern müsse man ebenso sprechen wie über Milliarden Dollar auf Schweizer Bankkonten, die im Grunde doch dafür bestimmt wären, Indien aus der Armut zu helfen. Den Argumenten des Propheten Amos folgend, prangerte Samuel konkret aktuelle Ungerechtigkeiten an: die schlechte Behandlung von Kriegsgefangenen, Menschenhandel, die Luxusgesellschaft auf Kosten der Armen.
Zu viel Gleichgültigkeit
Bei der ungleichen Verteilung der materiellen Güter setzte der Entwicklungshilfe-Experte Samuel einen Schwerpunkt: Er meine damit die Ungerechtigkeit, die durch gedankenlosen Lifestyle verursacht wird und wodurch andere Menschen ausgebeutet werden. Es gebe heute keine laute Theologie des «genug», der Genügsamkeit und Selbstbeschränkung. Vorherrschend sei vielmehr die Gleichgültigkeit gegenüber den Armen. «Es ist ungerecht, gleichgültig zu sein und die Augen zu verschliessen», so Samuel, der die Pfarrer und Gemeindeleiter in aller Welt aufrief, von der Kanzel aus gegen die Ungerechtigkeit zu predigen.
Beispielhafte Entwicklungen
Es gibt aber auch Beispiele, wo der Ruf von Amos bereits Wirkungen zeigt. Nach den eindringlichen und doch mit viel Humor vorgetragenen prophetischen Mahnreden des indischen Theologen liessen sich die Konferenzteilnehmer an weiteren Vorträgen und Workshops über Initiativen in aller Welt informieren, wo Kirchgemeinden aufstanden, um miteinander einen Weg aus der Armut zu finden: Ein Dorf in Sierra Leone beginnt aufzublühen, weil eine baptistische Gemeinde die Initiative ergreift und in Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen im Dorf tatkräftig Entwicklungsarbeit leistet. In der Dominikanischen Republik schlossen sich männliche Christen in einem Verein zusammen, um gemeinsam gegen die Gewalt anzukämpfen, denen Frauen besonders ausgesetzt sind. In einem nordafrikanischen Land geht durch eine Versöhnungsinitiative lokaler Christen eine Periode von gegenseitigem Hass zwischen Muslimen und Christen zu Ende, was der friedlichen Stadtentwicklung nützt. Im indischen Mumbai bringt eine Gebetsversammlung der Pastoren eine Aussöhnung und neue Perspektiven für die Kirche.
Keine christlichen Milliardenprojekte, sondern kleine Schritte des gemeinsamen Kampfes gegen die Armut zeigen auf, dass an vielen Orten das im Gange ist, was Martin Fässler, Vertreter der Schweizerischen Entwicklungshilfe, in seiner kurzen Begrüssungsansprache von der Weltgemeinschaft forderte: der gemeinsame Einsatz von Politik, Nonprofitorganisationen, Wirtschaft, Kirche und anderen Player für eine nachhaltige Entwicklung.
Zum Thema:
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Datum: 12.09.2012
Autor: Thomas Hanimann
Quelle: Livenet