Sind alle Religionen vor dem Gesetz gleich?
Nach seiner Einschätzung wäre eine Diskussion über einen künftigen Religionsartikel in der Bundesverfassung ein "wichtiger Katalysator, um Wege für die Rechtsgleichheit der Religionsgemeinschaft anpeilen zu können."
Nach der deutlichen Ablehnung sämtlicher Kirchenvorlagen, sehen sich die Landeskirchen im Kanton Zürich derzeit vor einem Scherbenhaufen: Es sei vorderhand die "Chance verpasst, die Partnerschaft mit dem Staat auf eine moderne und zukunftsgerichtete Basis zu stellen", meint René Zihlmann, Präsident der Zentralkommission der römisch-katholischen Kirche.
„Anachronistischer Entscheid“
Immerhin handelte es sich bei den drei Kirchenvorlagen des Regierungsrates zu einem guten Teil um Reformpostulate, deren Umsetzung man 1995 nach der Abstimmung über die Volksinitiative zur Trennung von Kirche und Staat ausdrücklich versprochen hatte. Damals sprach sich das Volk nämlich mit grosser Mehrheit für die Beibehaltung der öffentlich-rechtlichen Anerkennung der christlichen Kirchen aus. Und dies nicht zuletzt in der Erwartung, dass eine weitere Entflechtung von Kirchen und Staat auf einem weniger radikalen Weg als dem von der Trennungsinitiative geforderten möglich sei.
Nach der jüngsten Abstimmung sieht die Situation allerdings wesentlich anders aus.: Als letzter Kanton verweigert Zürich den Kirchen nach wie vor die Stimm- und Wahlrechtsautonomie, was aus der Sicht des Luzerner Staatskirchenrechtlers Adrian Loretan absolut anachronistisch ist: "Die Angehörigen der katholischen Kirche bestehen im Kanton Zürich mittlerweile zu einem Drittel aus ausländischen Personen, die bei der Verwendung ihrer Kirchensteuern weiterhin nicht mitreden dürfen. Und dies nicht etwa deswegen, weil ihnen die katholische Kirchgemeinde das demokratische Mitspracherecht vorenthält, sondern weil der Kanton der Kirchgemeinde dies verbietet." Das sei in der Frage des Selbstbestimmungsrechtes von Religionsgemeinschaften ein Affront, den sonst kein anderer Kanton mehr biete, betont Loretan.
Anerkennung in 14 Kantonen möglich
Auch in der Frage nach der Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften hat sich der Kanton Zürich durch das wuchtige Zweidrittel-Nein im gesamtschweizerischen Kontext ein Stück weit ins Abseits begeben. Denn bereits 14 Schweizer Kantone sehen heute in ihrer Verfassung die Möglichkeit vor, neben den grossen Landeskirchen noch weitere Religionsgemeinschaften anzuerkennen. Vor einem Jahr ist beispielsweise auch im Kanton Waadt ohne grosses Aufsehen eine entsprechende Verfassungsänderung vom Volk gutgeheissen worden. Und auch der Luzerner Verfassungsrat hat erst kürzlich einer Vorlage zugestimmt, welche die Möglichkeit der Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften auf Verfassungsebene vorsieht.
Wichtiger Beitrag zur Integration
In der Öffentlichkeit wenig bekannt ist die Tatsache, dass jüdische Glaubensgemeinschaften in vier Kantonen der Schweiz bereits seit längerer Zeit öffentlich-rechtlich anerkannt sind. Diese Regelung gilt namentlich für die Kantone Basel-Stadt, Bern, Freiburg und St. Gallen. Dass mit dieser Anerkennung ein wichtiger Beitrag zur Integration geleistet wird, konnte in einem Interview unlängst auch Yves Kugelmann, Chefredaktor des jüdischen Wochenmagazins "Tachles" (Basel), aus eigener Erfahrung bestätigen. 31 Jahre ist es her (1972), seit im Kanton Basel-Stadt Katholiken und Juden gleichzeitig öffentlich-rechtlich anerkannt wurden, womit sich die beiden religiösen Minderheiten fortan als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft respektiert sahen.
Dass eine entsprechende Integrationswirkung auch vom Zürcher Anerkennungsgesetz hätte ausgehen können, davon ist Adrian Loretan überzeugt: "Der Vizepräsident der Vereinigung der Islamischen Organisationen Zürich, Taner Hatipoglu, sagt wohl nicht zu Unrecht, dass sich nach der Zürcher Abstimmung nun viele Muslime in ihrem Gefühl bestätigt fühlen, nur als Bürger dritter Klasse betrachtet zu werden", meint Loretan.
Frage nach der Rechtsgleichheit
Der Umstand, dass in vielen Kantonen der Schweiz nach wie vor nur die römisch-katholische und die evangelisch-reformierte Kirche (in neun Kantonen auch die christkatholische Kirche) von den Privilegien einer öffentlich-rechtlichen Anerkennung profitieren können, wirft laut Loretan einige grundsätzliche Fragen auf. Die wichtigste: Verstösst die bisherige Anerkennungspraxis nicht gegen das Prinzip der Rechtsgleichheit, wie es in der Bundesverfassung grundgelegt ist?
Die derzeitige Praxis in der Schweiz stehe nicht zuletzt in einem Gegensatz etwa zur Handhabung in Deutschland oder Österreich, wo auf der Basis einer grundrechtlichen Argumentation den meisten Religionsgemeinschaften (in Deutschland sogar den Zeugen Jehovas) die Anerkennung zugestanden werde, erläutert der Luzerner Staatskirchenrechtler.
Föderalismus als Hindernis?
In der Schweiz hingegen stehe insbesondere die föderalistische Vielfalt (Art. 3 und 72 der Bundesverfassung) und die direkte Demokratie dem Grundrechtsgedanken der Rechtsgleichheit der Religionsgemeinschaften oftmals im Wege. Zwar werde auf Bundesebene die Regelung der öffentlichrechtlichen Anerkennung mit der Diskussion über einen Religionsartikel in der Bundesverfassung vorwärtsgetrieben, wie ihn der Schweizerische Evangelische Kirchenbund vorgeschlagen hat. Aber in den direkten Demokratien der Kantone lehne der Souverän in der Regel eine Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften ab.
Gerade deshalb, so Adrian Loretan weiter, wäre eine Diskussion über den künftigen Religionsartikel in der Bundesverfassung ein "wichtiger Katalysator, um Wege für die Rechtsgleichheit der Religionsgemeinschaften anpeilen zu können".
Juden sind in Basel und Bern anerkannt
Bei der Zürcher Abstimmung zur Frage einer öffentlich-rechtlichen Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften fokussierte sich die Diskussion hauptsächlich auf die islamischen Glaubensgemeinschaften, während die Situation der jüdischen Gemeinden weitgehend ausgeblendet wurde: In der Öffentlichkeit wenig bekannt ist der Umstand, dass die Juden in vier Kantonen der Schweiz (Baselstadt, Bern, Freiburg und St. Gallen) bereits öffentlich-rechtlich anerkannt sind.
Berner Rabbiner vom Staat bezahlt
So sind die Jüdische Gemeinde Bern wie auch die Israelitische Gemeine Biel seit Inkrafttreten des "Gesetzes über die jüdischen Gemeinden" am 1. September 1997 öffentlich-rechtlich anerkannt. "Dies ist nicht zuletzt ein persönliches Verdienst von Rolf Bloch, welcher während mehr als zwei Jahrzehnten an vorderster Front für diese ‚Anerkennung der Juden als schweizerische Minderheit‘ gekämpft hatte", schreibt Peter Abelin im jüdischen Wochenmagazin "Tachles". Dank dem Entgegenkommen der drei Landeskirchen, welche damals den Etat einer Pfarrstelle an die jüdische Gemeinschaft abzweigten, werde der Berner Rabbiner seither vom Staat bezahlt.
Jüdisch-christlicher Dialog in Basel
Bereits 25 Jahre früher erhielten die Juden in Basel-Stadt die öffentlich-rechtliche Anerkennung: Seit 1972 hat die Israelitische Gemeinde Basel (IGB) denselben Status wie die evangelisch-reformierte, die römisch-katholische und die christkatholische Kirche. Dass mit diesem Schritt ein wesentlicher Beitrag zur Integration der jüdischen Gemeinschaft geleistet wurde, kommt heute unter anderem in den rege gepflegten "Aussenbeziehungen" der jüdischen Gemeinschaft zum Ausdruck:
Die IGB ist in der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft und bei den Christlich-Jüdischen Projekten engagiert und pflegt gute Kontakte zu den verschiedenen lokalen Kirchen und Religionsgemeinschaften. Die jüdische Bevölkerung habe von Seiten der nichtjüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in der Vergangenheit und Gegenwart immer wieder Toleranz und Solidarität erfahren, wird im 1999 erschienenen Buch "Juden in Basel und Umgebung" betont: "In einer multikulturellen Region sind Toleranz, Offenheit für Fremdes und gegenseitige Anerkennung lebenswichtige Tugenden
Autor: Benno Bühlmann
Datum: 18.12.2003
Quelle: Kipa