Die entscheidenden ersten Jahre des Frauenmörders

Fritz Herrli

Der Berner Frauenmörder Mischa Ebner hat sich am letzten Sonntag in seiner Zelle mit einem Leintuch erhängt. Er sass im Regionalgefängnis von Thun in Untersuchungshaft. Ebner hat im Verlaufe des Verfahrens in 29 Fällen Geständnisse abgelegt. 21 Mal hat er während eineinhalb Jahren Frauen bestohlen. Dabei habe er nur geringe Gewalt angewendet, wie die zuständige Untersuchungsrichterin bekannt gab. Dann aber sei Ebner immer brutaler geworden. In acht Fällen verletzte er seine Opfer zum Teil schwer und schliesslich tötete er die 20-jährige Natalia Slupski.

Mischa Ebner hat, bevor er sich selbst tötete, seine Taten in einem Abschiedsbrief bereut. Sie seien „schrecklich“, „nicht nachvollziehbar“. Alles tue ihm Leid. Zusammen mit seinem Psychiater habe sich Ebner in den letzten Wochen interessiert gezeigt herauszufinden, was denn bei ihm nicht stimme. Rainer Luthe, der das psychiatrische Gutachten über Mischa Ebner erstellte, hat laut Presseberichten erklärt, Ebners Störung liege vermutlich in einer Fehlentwicklung in den ersten vier Lebensjahren. Seine leibliche Mutter war im Rotlichtmilieu tätig, sein leiblicher Vater stand mit einem Bein im Gefängnis. Mischa Ebner kam deshalb in ein Heim.

Muss man sich bald fürchten?

Diese Diagnose gibt zu denken. Sicher, Verbrechen hat es immer gegeben. Und ob die schrecklichen Dramen, bei denen Väter durch Mord und Selbstmord ganze Familien mit in den Tod rissen, in letzter Zeit zugenommen haben, ist schwer zu sagen. Amokläufer, die plötzlich ausrasten und wild um sich und in die Menge schiessen, treten jedenfalls immer häufiger auf, scheint mir. Wäre ich ein ängstlicher Mensch, müsste ich mich wohl täglich vor mich umgebenden „Zeitbomben“ fürchten – vor Leuten, die psychisch unstabil, beziehungsarm, konfliktunfähig, mit wenig Frustrationstoleranz ausgerüstet, bei irgend einem Vorkommnis plötzlich die Kontrolle über sich verlieren und verheerend reagieren. Die Frage stellt sich: Woher kommt das?

Kinder brauchen Geborgenheit, Liebe und klare Grenzen

Die Erklärung, die Mischa Ebners Psychiater abgab, ist einleuchtend: Fehlentwicklungen in den ersten Lebensjahren. Ich bin zwar kein Anhänger des Naturalismus, wonach davon ausgegangen wird, dass der Mensch nichts anderes als ein Produkt seiner Umwelt ist. Doch die Prägung des Kindes durch die Eltern und den familiären Kontext ist wohl einer der stärksten Faktoren für seine spätere Entwicklung. Ein Therapeut belehrte mich, dass die ersten zehn Lebensjahre für die emotionale Prägung des Menschen verantwortlich seien. Da entscheidet sich seine Beziehungsfähigkeit, sein Umgang mit Glück und Unglück sowie seinen Stimmungslagen und so weiter. Das Kind braucht die Geborgenheit der Familie. Eltern, die den jungen Erdenbürger mit Liebe, aber auch mit klarem Grenzensetzen und entsprechenden Konsequenzen bei deren Überschreitung erziehen, sind nötig. Wo ein solches familiäres Umfeld fehlt, kann es zu Fehlentwicklungen kommen, die später zur Katastrophe führen: Psychische Störungen, Depressionen, Süchte, Kompensation durch Gewalt oder sonstigen extremen Lebensäusserungen.

Schäden durch auseinanderfallende Familien

Dass wir diesbezüglich in einer „gefährlichen“ Zeit leben, ist unschwer auszumachen. Familienleben wird nur noch in Homestories von allerei Berühmheiten in der Regenbogenpresse hochgehalten. Ansonsten legen verschiedene Parteien in der Schweiz zur Zeit höchstens Lippenbekenntnisse ab, wie wichtig die Familie sei. In Wirklichkeit fristet sie in der Gesellschaft ein verelendetes Dasein. Kinder sind lästig, kosten Geld und verhindern, dass sich Vater und Mutter in Beruf und Gesellschaft vorwärts beziehungsweise aufwärts entwickeln können. So geht das Gerücht. Kinder, so man überhaupt noch welche hat, werden entweder als Wunschkinder überbemuttert oder wohlstandsvernachlässigt, in dem man ihnen alles kauft, aber nicht die nötige Zeit und Zuwendung gibt. Bald die Hälfte aller Kinder wachsen in einem Eineltern-Haushalt auf, wo ihnen meistens der Vater fehlt. Mitten im Heranwachsen, mitten in den prägenden Jahren der Kindheit, machen sie die Scheidung der Eltern durch. Das Auseinanderfallen einer Familie, das Hin- und Hergerissensein zwischen Vater und Mutter, die in dieser Zeit emotional mit sich selber beschäftigt sind, geht selten spurlos und ohne langfristige Schäden an der Persönlichkeit des Kindes vorbei.

Was soll man da also tun? Wenn wir als Christen jammern, in welch bösen Zeiten wir heute leben, hilft das nichts. Zeitung lesen, zur Kenntnisnehmen, was alles an schlimmen Auswirkungen passiert, und sich auf den Himmel freuen, ist eindeutig zu wenig. Einmal mehr, meine ich, müssen wir bei uns selbst beginnen. Sofern wir selbst eine Ehe führen und Familie haben, sind wir herausgefordert, es besser zu machen. So leicht ist das schon mal nicht. Immer mehr Ehen auch engagierter Christen scheitern heute und auch deren Kinder leiden. Eine grosse Aufgabe für christliche Gemeinden, hier zu helfen. Nicht der moralische Zeigefinger ist da notwendig, sondern Beziehungsarbeit, Gebet, Seelsorge, oft auch therapeutische Aufarbeitung eigener Fehlentwicklung in der Kindheit.

Auch wenn bei Christen nicht immer alles einwandfrei läuft, sind doch viele Familien ein Vorbild, eine Ermutigung für ihr Umfeld, was gesellschaftlich nicht unterschätzt werden darf. Menschen in der Umgebung beobachten uns genau. Eine christliche Familie, die heute auch in Krisen durchhält, setzt ein bedeutendes Signal. Davon bin ich überzeugt.

Dann sollten wir aber auch politisch auf allen Ebenen etwas für die Stärkung der Familie tun. Es ist hier nicht der Platz, alle Möglichkeiten aufzuzählen. Es beginnt mit dem Engagement an der Urne, wo für christliche Werte die Stimme jedes Christen gefragt ist. Wir sollten keine Scheu haben, öffentlich Position zu beziehen, sei es im persönlichen Gespräch, an Meinungsveranstaltungen oder in den Medien. Vorstösse, die Ehe und Familien stützen, müssen dringend unterstützt werden. Mehr und mehr wird es nötig werden, dass Familien selbst Initiativen ergreifen oder mit Referenden auf die Familie gefährdende Vorlagen reagieren. Christliche Familienorganisationen sind entstanden, die von uns allen gestärkt werden sollten. Wir dürfen den Kampf für die Familie in Gesellschaft und Politik nicht zu schnell aufgeben. Es geht um zu viel. Wie und wo Kinder ihre ersten Jahre verbringen, ist eine entscheidende Frage für die Zukunft unserer Welt. Der Fall Mischa Ebner ist ein trauriger, aber ich hoffe doch immer noch ein seltener Fall. Möge es so bleiben und besser werden.

Fritz Herrli ist Medienbeauftragter der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA), Chefredaktor des Nachrichtenmagazins idea Spektrum Schweiz und im Vorstand des Verein Livenet vertreten.

Datum: 30.11.2002
Autor: Fritz Herrli
Quelle: Livenet.ch

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