Positive Bilanz

«Wir entschuldigen uns nicht mehr für Calvin»

Die Feierlichkeiten zum 500. Geburtstag des Reformators Johannes Calvin waren ein Erfolg. Das Patronatskomitee des Jubiläumsjahres calvin09 zieht eine überaus positive Bilanz.
Der Reformator in seiner Stadt: Das grosse Freilichttheater «Calvin Genève en flammes», Höhepunkt des Genfer Gedenkjahrs.
Sensibler, leidenschaftlicher Lehrer und Pastor: Das Gedenkjahr hat andere Bilder Calvins zutage gefördert.
Calvin et moi: Im Sonderheft äussern sich 16 bekannte Romands, unter ihnen der eben verstorbene Jacques Chessex, über Calvin.
Offener Himmel über Genf: Die weltoffene Rhonestadt erinnert sich des Mannes, mit dem die Öffnung begann.

Die Erwartungen seien übertroffen worden, schreibt der Präsident des Patronatskomitees, Clifton Kirkpatrick, in einer Schlussbilanz. «Der Fokus auf Calvin hat viele reformierte Christen ihr Erbe und ihre Verbindungen zueinander wieder neu schätzen lernen lassen. Wir entschuldigen uns nicht mehr für Calvin, wir haben viele Aspekte in seinen Gedanken und Taten gefunden, die wahrhaft lebensspendend für unsere Zeit sind.»

Gerechtigkeit für die Schwächeren

Die Wirtschafts- und Finanzkrise habe die Aktualität der Sozialethik Calvins erneut in Erinnerung gerufen, so Thomas Wipf vom Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund, Vizepräsident des Patronatskomitees calvin09. Der Genfer Reformator habe sich in seinem sozialpolitischen Engagement für eine Regulierung des aufkeimenden Kapitalismus zum Wohl aller eingesetzt.

Laut Kirkpatrick, der auch den Reformierten Weltbund präsidiert, stellen US-Presbyterianer «deutliche Übereinstimmungen» zwischen den aktuellen politischen Prioritäten in den USA und der Sozialagenda Calvins fest. Dazu gehörten Immigration, Gesundheitsvorsorge und wirtschaftliche Gerechtigkeit.

Leidenschaftlicher Pastor in unruhiger Zeit


Im Gedenkjahr galt das Interesse dem historischen und sozialen Kontext des Reformators. Sein Leben verlief wesentlich leidenschaftlicher und dramatischer, als es das Klischee vom strengen, kompromisslosen Autokrat vermuten liesse. Laut Jérôme Cottin, Theologe an der Universität Strassburg, wurde 2009 mehr über die Person Calvins gesprochen.

Emidio Campi von der Universität Zürich verweist auf Calvins regen Schriftverkehr, in dem sich der Seelsorger zeige. Hier sei die «Humanität und Sensibilität» des Reformators zum Ausdruck gelangt, schreibt Michael Weinrich von der Universität Bochum.

Mann des Miteinanders

Die ökumenische Bewegung schuldet Calvin gemäss Weinrich viel. In der Schweiz habe dessen Bemühen um eine Einigkeit zwischen den reformierten Kirchen der deutschen und der französischen Sprachregion verhindert, dass es heute dort zwei getrennte Kirchen gebe. Auf Weltebene habe das Jahr calvin09 der geplanten Vereinigung der zwei reformierten Weltbünde neuen Schwung verliehen. Im Juni 2010 vereinen sich der Reformierte Weltbund und der Reformierte Ökumenische Rat zur Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, die sie als Antwort auf Calvins Vision kirchlicher Einheit verstehen.

Kirkpatrick hat den Eindruck gewonnen, dass die Beschäftigung mit Calvin «viele Reformierte ihr Erbe und ihre Verbindungen zueinander wieder neu hat schätzen lernen lassen. Wir entschuldigen uns nicht mehr für Calvin, wir haben viele Aspekte in seinen Gedanken und Taten gefunden, die wahrhaft lebensspendend für unsere Zeit sind.» In Deutschland brachte das Jubiläumsjahr «die reformierten Kirchgemeinden näher zu ihrem Reformator», resümiert Achim Detmers.

Genf blühte auf, Französisch wurde geschliffen

In Genf würdigten Regierung und Öffentlichkeit Calvins Einfluss auf die soziokulturelle Entwicklung der Stadt; eine Tatsache, die bisher eher als ein Tabu behandelt wurde. Roland Benz, der Verantwortliche für die calvin09-Feierlichkeiten der Genfer Protestantischen Kirche, bestätigt: «Etwas ist in diesem Jahr geschehen, sowohl in den Medien als auch in der Öffentlichkeit, über die kirchlichen Kreise hinaus. Die Karikatur Calvins wurde nicht nur herausgefordert, sondern verändert.» In Frankreich hat das Interesse am Humanisten und Kulturmenschen Calvin, der aus dem nordfranzösischen Noyon stammte, die Organisatoren überrascht. Sein Beitrag zur Entwicklung der modernen französischen Sprache wird neu gewürdigt, so Cottin.

Das Calvin-Jahr ein Anfang

Das Jubiläumsjahr brachte in verschiedenen Kulturen und Sprachen die Wirkung Calvins zum Ausdruck. Von China bis Argentinien, von Kuba bis Südafrika genauso wie in Japan, Italien und Polen brachten die Kirchen mit Veranstaltungen und Publikationen die weltweite Verbreitung von Calvins Schriften und Ideen zum Ausdruck. Mehr als einhundert Bücher wurden publiziert. In der Bilanz äussert Kirkpatrick die Hoffnung, calvin 09 «möge der Anfang eines neuen Zugangs zu Calvin sein. Ein Wiederentdecken seines Erbes, das unsere Kirchen und unsere Welt auf dem Weg in die Zukunft verändern kann.» Mit dem Jubiläumsjahr auch sei ein gutes Fundament für reformierte Beiträge zur ökumenischen Diskussion gelegt worden.

Die Kirchen der Reformation profitieren auf dem Weg der Reformationsdekade von diesen Erkenntnissen. Diese endet mit dem 500. Geburtstag der Reformation Luthers im Jahr 2017. Der Reformierte Weltbund, der Schweizerische Evangelische Kirchenbund und der Reformierte Bund in Deutschland planen mit weiteren Partnern die Weiterführung der viersprachigen Internetseite calvin09.org als Informations- und Wissensportal zu Calvin.

Links zum Thema:
Infos zu Calvin
Calvin - unverhofft anders
Calvin (zurück) in Genf
«Calvin et moi» - Hebdo-Sonderheft
Abendmahl über den Röstigraben : Calvins Bemühen um eine Schweizer reformierte Kirche
Eva-Maria Faber: «Calvin fasziniert mich»

Quelle: Livenet / SEK

Datum: 26.10.2009
Autor: Peter Schmid

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