Streit um Mohammed-Karikaturen spitzt sich zu

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Der internationale Streit um Mohammed-Karikaturen hat sich weiter verschärft. Die Proteste gegen Karikaturen des islamischen Propheten Mohammed sind am Wochenende mit Brandanschlägen auf Vertretungen vorwiegend skandinavischer Länder in mehreren arabischen Staaten vollkommen ausser Kontrolle geraten.

Am Sonntag wurde die dänische Botschaft in Beirut von mehreren zehntausend Demonstranten unter den Rufen "Gott ist gross, und Muhammad ist sein Prophet" gestürmt und in Brand gesetzt. Mit der gewaltsamen Besetzung und Verwüstung europäischer Botschaften im Nahen Osten sind die Proteste gegen die umstrittenen Mohammed-Karikaturen am Wochenende eskaliert. Demonstranten setzten gestern das Gebäude des dänischen Konsulats in der libanesischen Hauptstadt Beirut in Brand. In Syriens Hauptstadt Damaskus waren am Samstag die Botschaften Dänemarks und Norwegens in Flammen aufgegangen.

Christliches Stadtviertel von Beirut gestürmt

Mehr als 10 000 Demonstranten zogen in einem christlichen Stadtviertel von Beirut vor das dänische Konsulat. Mehrere Männer durchbrachen einen Sicherheitskordon der Polizei und setzten das Gebäude in Brand. Steinewerfende Demonstranten riefen bei den Auseinandersetzungen mit der Polizei in Beirut: "Gott ist gross, unser Prophet ist gross." Mehrere Menschen wurden verletzt. Im Konsulatsgebäude hielten sich nach Angaben libanesischer Behörden keine Menschen auf. Bei dem Protest flogen auch Steine gegen eine nahegelegene Kirche sowie Häuser eines christlichen Wohnviertels. Insgesamt wurden nach Augenzeugenberichten rund 100 Autos demoliert.

Skandinavier reisen ab

Dänemark rief seine Bürger auf, Syrien und den Libanon zu verlassen. Die Lage sei "ausser Kontrolle". USA, Nato und EU kritisierten die gewaltsamen Proteste aufs Schärfste. EU-Ratsvorsitzende Aussenministerin Ursula Plassnik sagte, solche Akte seien "durch nichts zu rechtfertigen und völlig unannehmbar". Alle Beteiligten seien dringend aufgerufen, von weiterer Gewalt Abstand zu nehmen. Die USA warfen Syrien vor, die Ausschreitungen zumindest geduldet zu haben. Der Vatikan verurteilte jede Verletzung religiöser Gefühle, zugleich aber auch gewaltsame Aktionen. Die Islamische Weltkonferenz hat die Übergriffe verurteilt.

Wirtschaftsboykott

Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad hat einen Wirtschaftsboykott aller Länder angeordnet, in denen die umstrittenen Karikaturen veröffentlicht wurden. "Man muss die Wirtschaftsverträge mit dem Land überprüfen und annullieren, das mit diesem abscheulichen Akt begonnen hat, und mit denen, die ihm gefolgt sind." Ausserdem rief Teheran seinen Botschafter aus Dänemark zurück. Auch Iraks Transportministerium hat Abkommen mit Dänemark und Norwegen eingefroren.

Kofi Annan besorgt

In New York forderte UNO-Generalsekretär Kofi Annan, die Pressefreiheit müsse immer den Glauben aller Religionen respektieren. Missverständnisse und Abneigung kultureller und religiöser Art müssten durch friedlichen Dialog überwunden werden. Frankreichs Premierminister Dominique de Villepin rief zu einer Versöhnung zwischen Pressefreiheit und Respekt auf. Man solle alles vermeiden, was unnötige Verletzungen hervorrufe.

Muslime empört

Europäische Muslim-Organisationen zeigten sich empört über die Comics, die unter anderem den islamischen Propheten mit einem Turban in Form einer Bombe samt brennender Zündschnur zeigen. Auf einer anderen Zeichnung ist er als ein Schwert schwingender Beduine neben zwei schwarzvermummten Frauen zu sehen. Der Sprecher einer der grössten muslimischen Organisationen in Spanien sagte in Barcelona, der Prophet sei unantastbar. "Was würden die Europäer sagen, wenn wir so mit Jesus umgehen würden?"

Wolfgang Huber ruft zur Mässigung auf

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, hat im Streit um den Abdruck von Mohammed-Karikaturen alle Konfliktparteien zur Mässigung aufgerufen. Er habe grossen Respekt vor Menschen, die Grund haben, sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt zu fühlen, sagte der Berliner Bischof. Allerdings sollten sich die «Muslime nicht zum Teil einer Kampagne machen lassen». Zugleich rief er Karikaturisten zu «Achtung und Respekt» bei dem sensiblen Thema Religion auf.

Er könne nachvollziehen, dass Muslime durch die Zeichnungen aufgebracht seien, sagte Huber. «Die Meinungsfreiheit darf aber nicht auf der Strecke bleiben.» Religiöse Gefühle dürften zudem nicht dazu missbraucht werden, dass im Namen der Religion Gewalt angedroht oder angewandt wird, so der Repräsentant von rund 26 Millionen Protestanten in Deutschland. «Auch in dieser Dimension ist entscheidend, dass Religion nicht zur Rechtfertigung von Gewalt missbraucht wird.»

Der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Baden, Ulrich Fischer, hat den Abdruck der Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung «Jyllands-Posten» als «ignorant und religiös intolerant» bezeichnet. Es sei «töricht» gewesen, das im Islam existierende Verbot zur Abbildung des Propheten zu ignorieren, sagte der Vorsitzende des Medienausschusses der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Die hannoveraner Bischöfin Margot Kässmann findet die moslemischen Reaktionen absolut unangemessen und gezielt gesteuert. „Der Islam müsste sich der Frage stellen, was es denn eigentlich bedeutet, wenn diese Religion immer mehr mit Terror gleichgesetzt wird“, meinte sie gegenüber dem «Tagesspiegel». Im Moment würden Moslems die Karikaturen bestätigen.

Vatikan gegen Verletzung religiöser Gefühle

Der Vatikan hat im Streit um die Mohammed-Karikaturen jede Verletzung religiöser Gefühle von Gläubigen verurteilt. In einer Erklärung wandte er sich zugleich gegen gewaltsame Aktionen und Proteste als Antwort auf solche beklagenswerte Vorgänge. Auf keinen Fall könne man für derartige Beleidigungen von Seiten einer einzelnen Person oder eines Presseorgans ein ganzes Land und seine öffentlichen Institutionen verantwortlich machen, heisst es in einer Stellungnahme des vatikanischen Presseamtes.

Zusammenprall der Kulturen

Im Streit um die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen in europäischen Zeitungen wird immer wieder auf die Theorie des "clash of civilisations", eines Zusammenpralls der Kulturen, verwiesen. Sie geht zurück auf ein 1993 veröffentlichtes Buch des amerikanischen Politikwissenschaftler und Pentagonberaters Samuel Huntington.

Er prophezeite unter dem Eindruck des ersten Irak-Krieges für das 21. Jahrhundert statt eines harmonischen Zusammenwachsens in einer zunehmend vernetzten Welt neue Konflikte globalen Ausmasses: Dabei wird es sich nach Überzeugung des Politologen nicht um Auseinandersetzungen ideologischer oder wirtschaftlicher Natur handeln, sondern um Konflikte zwischen den Kulturen. Huntington unterscheidet dabei sieben grosse Zivilisationen: die chinesische, japanische, hinduistische, islamische, westliche, lateinamerikanische und afrikanische.

Islam und Demokratie unvereinbar

Besonders scharfe Gegensätze sieht Huntington zwischen der westlichen und der islamischen Kultur. "Die Grenzen des Islam sind blutig", stellte er 1993 fest. Laut Pentagonberater sind Islam und Demokratie unvereinbar, weil Muslime eine Trennung von Religion und Politik nicht akzeptieren könnten. Ausserdem seien Muslime nicht in der Lage, anderen Religionen Toleranz entgegenzubringen; die Grundlagen des islamischen Glaubens verlangten von seinen Angehörigen, Andersgläubige notfalls mit Gewalt unter die Herrschaft des Islam zu zwingen.

Bilderverbot

Die Frage, ob und wie Götter und Heiliges dargestellt werden können, ist in der Geschichte vieler Religionen umstritten. Insbesondere in den monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam ist viel darüber gestritten und nachgedacht worden, ob der einzige und allmächtige Gott in menschlichen Bildern dargestellt werden kann und darf.

In Judentum und Islam hat sich ein weit gehendes Bilderverbot durchgesetzt. Im Christentum flackerte der Streit darüber immer wieder auf; noch heute gehen die christlichen Kirchen sehr unterschiedlich mit der bildlichen Darstellung des Heiligen um.

Ein Hintergrund ist die Macht, die die älteren Naturreligionen bildlichen Darstellungen beimassen. Götterbildern wurden Dank und Opfer dargebracht; zwischen Bild und Gottheit wurde vielfach nicht unterschieden.

Kein direktes Bildverbot im Koran

Anders als das Alte Testament ("Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht.") enthält der Koran kein direktes Bilderverbot. Dennoch weist eine Vielzahl von Propheten-Äusserungen auf die Ablehnung von bildlichen Darstellungen hin. Gott offenbart sich im Islam allein durch die Worte des Korans, also durch einen Text.

Beim islamischen Bilderverbot spielte auch eine Rolle, dass im Arabischen das Wort für "bilden" auch die Bedeutung "erschaffen" haben kann. Gott allein wird die Rolle des Schöpfers und Bildners zugeschrieben; Maler oder Bildhauer werden verdächtigt, zu versuchen, Gott ebenbürtig zu sein.

Kunstvolle Schriftzeichen

Statt der bildlichen Darstellung haben sich im Islam andere künstlerische Formen herausgebildet, um an Gott zu erinnern. Sehr verbreitet sind die kunstvollen Schriftzeichen, Kalligraphien, mit Texten aus dem Koran oder Bilder zentraler Gotteshäuser wie der Kaaba in Mekka oder des Felsendoms in Jerusalem.

Das Bilderverbot spielt auch beim Streit um die Karikaturen des Propheten Mohammed eine Rolle. Die in skandinavischen Zeitungen veröffentlichten Karikaturen haben weltweit bei Muslimen Proteste ausgelöst. Viele Anhänger des Islam fühlen sich verletzt, weil überspitzte bildliche Darstellungen des Propheten für politische Zwecke eingesetzt wurden. Das wird als Gotteslästerung und Tabubruch empfunden, aber auch als Hinweis auf eine wachsende Islam-Feindlichkeit des Westens interpretiert.

Quellen: Kipa/epd/Livenet

Datum: 07.02.2006

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