Was bringt mir die Gemeinde?
«Herbert» ist leider kein Einzelfall, Fränzi auch nicht. Früher in ihrer örtlichen Freikirche aktiv, verbringen sie heute ihre Sonntage überall ausser in der Gemeinde; ihre christlichen Kontakte sind auf Gelegenheitsbegegnungen reduziert. Ihr Glaube ist in ihrer Wahrnehmung durchaus noch «lebendig» – immerhin gibt es ja christliche Bücher und dazu im Internet ein Riesenangebot von Predigten, meistens bessere als in der früheren Gemeinde. Vom Worship gar nicht zu reden.
Churchless Faith
Die Angehörigen des «gemeindelosen Glaubens» sind schon längst die grösste Denomination weltweit. Besonders im Westen hat diese Gewohnheit stark um sich gegriffen – tragischerweise die logische Konsequenz der 70er und 80er Jahre, indem man Gemeinde und Gottesdienste so zu gestalten begann, dass sie den «Kunden» gefallen sollten. Ursprünglich ein evangelistischer Ansatz: «Gottesdienste sollen besucherfreundlich sein», ist der Schuss heute ein Stück nach hinten raus gegangen: wenn die Predigt, der Worship oder die Leute, die da vor mir sitzen, mir nicht mehr gefallen, ziehe ich mich halt zurück. Da muss noch gar kein Streit, keine Krise oder kein echtes Problem mit der Gemeinde vorhanden sein – der stille Rückzug geschieht einfach (Corona hat hier natürlich mitgeholfen…). Ich bleibe auf dem Papier vielleicht noch Mitglied, aber in der Praxis habe ich keine reale Berührung mir der Gemeinde mehr.
Die Frage mal umdrehen
Das Thema ist gross und hat viele Aspekte, das ist klar. Aber hier mal ein Gedanke, der vielen nicht in den Sinn kommt. Statt zu fragen «Was bringt mir die Gemeinde?» sollte man die Frage mal umkehren: «Was bringe ich der Gemeinde?». Das biblische Verständnis von Gemeinde – z.B. das bekannte Bild vom Leib und den Gliedern aus 1. Korinther Kapitel 12 – bedeutet ja: Wenn ich fehle, dann fehlt ein «Glied am Leib». Ich beraube die Gemeinde eines Teils und einer Funktion. Klartext: Wenn ich mich von der Gemeinde zurückziehe, amputiere ich sie ein Stück weit. Der Gemeinde fehlt etwas, wenn ich ihr den Rücken zudrehe.
Positiv ausgedrückt: Statt «Was bringt mir die Gemeinde?» sollten wir vielleicht mal fragen: «Was bringe ich der Gemeinde?» – und uns so verhalten, als wenn wir ihr etwas zu geben hätten. Jedes «Glied» hat etwas zu geben, und sei es nur ein Gespräch nach der Predigt mit jemandem. Eine Umkehrung der Frage und eine neue Optik könnte viel verändern – «wer gibt, dem wird gegeben». Denn die Tatsache bleibt: Ein gemeindeloser «Digital-Glaube» wird auf Dauer nicht lebendig und fruchtbar bleiben. Christus hat sich an seine Gemeinde gebunden, so unvollkommen sie auch ist.
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Datum: 09.10.2025
Autor:
Reinhold Scharnowski
Quelle:
Jesus.ch