«Internet und Mail jedoch sind am Sonntag tabu»
Alfred Aeppli: Zum Pfarramt gehört selbstverständlich auch die Arbeit am Sonntag. Gegenüber den ungezählten Frauen und Männern in den Dienstleistungsberufen, die am Sonntag arbeiten müssen, habe ich jedoch ein grosses Privileg. Mein Einsatz findet im Gemeindegottesdienst und beim Kirchenkaffee mit der feiernden Gemeinde zusammen statt. Auch wenn die Leitung der Feier und die Predigt viel Kraft erfordern, hat dieser Tag doch einen besonderen Glanz. Ich werde oft reich beschenkt durch die Gemeinschaft mit den vielen mitwirkenden und teilnehmenden Gemeindegliedern.
Ein Gottesdienst mit Kirchenkaffee kann an gewissen Sonntagen gut und gerne drei Stunden beanspruchen. Wo bleibt da die Ruhe?
Gegenfrage: Wo bleibt die Gemeinschaft, wenn wir die Gelegenheiten zur Begegnung am Sonntag nicht wahrnehmen? Neutestamentliche Studien zeigen, dass die frühen Gemeinden wesentlich durch das gemeinsame Essen auferbaut und gestärkt wurden. Am gemeinsamen Tisch und beim Kaffee lernen wir einander auch heute kennen, wir erzählen von erfreulichen Erfahrungen und hören von den Sorgen der andern. Das sind Grundbausteine einer gesunden Gemeindeentwicklung.
Was versagen Sie sich und was gönnen Sie sich am Sonntag?
Die Zeit, die nicht durch die Gemeinde belegt ist, verbringe ich zu einem grossen Teil draussen in der Natur. Am besten erhole ich mich auf ausgedehnten Wanderungen mit meiner Frau oder im Sommer beim Schwimmen oder Velofahren. Auch in der Gemeinschaft im Familienkreis und mit Freunden zusammen lebt meine Seele auf. Internet und Mail jedoch sind tabu. Der Sonntag ist mein Offline-Tag!
Gibt es einen freien Wochentag, der zu Ihrem persönlichen Sonntag wird?
Normalerweise ist der Montag mein «Pfarrersonntag». Ich halte ihn frei von Verpflichtungen in der Gemeinde und nehme mir viel Zeit für Bibelstudium, Gebet und private Erholung. Ich schöpfe am Montag viel Kraft für das Vollprogramm von Dienstag bis Samstag.
Was hat sich Gott wohl gedacht, als er das Gebot der Sonntagsheiligung aussprach?
Woher sollte ich wissen, was sich Gott gedacht hat? Die Work-Life-Balance-Experten lehren uns, wie wichtig regelmässige Entspannung und Erholung sind. Diese Einsicht hat schon von Anfang an zu den biblischen Richtlinien gehört. Am Gebot der Sonntagsheiligung zeigt sich wie an vielen anderen Beispielen auch, wie lebensdienlich die biblischen Weisungen sind.
Gibt es einen Unterschied zwischen Sonntagsheiligung im Alten Testament und im Neuen Testament?
Auf einer Studienreise in Israel referierte der bekannte Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin über messianische Hoffnungen in jüdischer Sicht. Er erklärte uns, wie die Juden nach wie vor auf ihren Messias warten.
Wir fragten ihn, wann seiner Meinung nach der Messias erscheinen würde. Seine Antwort: «Sobald der Sabbat wirklich geheiligt wird!» Im Alten Testament ist das Sabbatgebot mit einer Verheissung verknüpft. Für uns Christen ist diese Verheissung schon erfüllt. Wenn wir den «Tag des Herrn» feiern, so denken wir an die frohe Gemeinschaft mit dem Auferstandenen.
Welches könnten - persönlich und gesellschaftlich - die Früchte sein, wenn der Sonntag vermehrt geheiligt wird?
Wir brauchen in unserer hektischen Zeit vermehrt Oasen der Besinnung. Es herrscht zu viel Betriebsamkeit ohne klare Zielsetzung. Auch wer mit Volldampf fährt, kommt nicht ans Ziel, wenn er den falschen Kurs gewählt hat.
Stille und Gebet sind für meinen persönlichen Lebensweg absolut notwendig zur Orientierung. Hier empfange ich meine wegleitenden Einsichten. Auch im öffentlichen Zusammenleben werden weise Entscheidungen eher aus der Ruhe heraus geboren als in jener Hektik, wo alles nur grösser und besser und schneller werden soll.
Was bringt den Sonntag heute unter solch enormen Druck?
Es sind die gleichen Mechanismen, welche die Menschen schon immer von gesunden Prioritäten abgelenkt haben. Der Prophet Jesaja hat vor 2700 Jahren geschrieben: «Der Herr, der heilige Gott Israels, hat zu euch gesagt: Wenn ihr zu mir umkehrt und stillhaltet, dann werdet ihr gerettet. Wenn ihr gelassen abwartet und mir vertraut, dann seid ihr stark. Aber ihr wollt ja nicht. Ihr sagt: Nein, auf Pferden wollen wir dahinfliegen!» (Die Bibel, Jesaja 30, Vers 15)
Offenbar waren schon damals die schnellen Pferde wichtiger als die Besinnung. Heute sind es die Eventkultur und der Konsumismus, welche nicht Halt machen vor dem Ruhetag. Darüber hinaus leben wir in einer Gesellschaft, in der zu viele Werte einseitig materiell gemessen werden. Die Folge ist eine Entwertung der nichtmateriellen Werte. Wie wollen wir den Wert von guten Beziehungen in der Familie und im Freundeskreis beziffern, den Wert einer guten Gesundheit, den Wert von gepflegten Wanderwegen? Wie schon alle Generationen vor uns müssen auch wir lernen, die richtigen Prioritäten zu setzen.
Wie kann die Kirche dem Sonntag wieder zum richtigen Stellenwert verhelfen?
Indem jedes Gemeindeglied die eigenen Prioritäten im Umgang mit dem Sonntag überprüft und die gewonnen Einsichten tatsächlich umsetzt.
Das Gebot der Sabbatheiligung stellt uns in die Pflicht, auch unsere Nächsten zur sonntäglichen Ruhe anzuhalten. Wie könnten Christen hierzu aktiv wirken?
Christen, die ihre Überzeugung konsequent leben, können mit ihrem Beispiel auch andere zum Nachdenken und zur Nachahmung herausfordern. Darüber hinaus sollten sich die Christen politisch auf der Ebene der Gesetzgebung einmischen, wenn der Sonntag immer mehr zu einem Event-, Konsum- und Arbeitstag wird.
Welches sind Ihre drei wichtigsten Empfehlungen zur Sonntagsheiligung?
Die Sonntagsheiligung kann nicht vom christlichen Lebenswandel im Alltag getrennt werden. Darum beginne ich grundsätzlich bei der Gottesbeziehung: Lege erstens dein Leben in die grosse Hand des dreieinigen Gottes und suche eine lebendige Beziehung zum Vater im Himmel. Nimm dir zweitens Zeit zur Stille und zum Gebet und setze deine Prioritäten aus der persönlichen Besinnung heraus. Suche drittens am Sonntag eine besondere Zeit für die Begegnung mit Gott und mit den Menschen in der christlichen Gemeinde.
Zur Person
Alfred Aeppli, 60, ist reformierter Pfarrer in Jegenstorf BE und Präsident des Landeskirchen-Forums. Er ist Mitglied im Arbeitskreis Theologie der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und wirkt regelmässig mit bei den Besinnungen im Bundeshaus. Früher arbeitete er als promovierter Ingenieur Agronom ETH in der landwirtschaftlichen Forschung. Er ist verheiratet mit Verena und Vater von vier erwachsenen Kindern.
Dieser Artikel wurde uns freundlicherweise von «Idea Spektrum Schweiz» zur Verfügung gestellt.
Buch zum Thema:
Horst Krüger: Kein Sonntag ohne Sabbat!?
Datum: 11.02.2012
Autor: Esther Reutimann
Quelle: ideaSpektrum Schweiz