Sind Christentum und Leistungskultur Gegensätze?
Kann sich christliche Ethik in der Wirtschaft durchsetzen?
Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat Moral und Anständigkeit auf den Tisch gebracht. Inzwischen weiss jeder, dass solche Krisen durch Menschen hervorgerufen werden, die kurzfristig an Dinge rangehen und keine Verantwortung übernehmen wollen. Das, zum Beispiel, ist nicht mit christlicher Ethik vereinbar. Ich bin davon überzeugt, dass Nachhaltigkeit und umweltfreundliche Produktionen inzwischen auch von der Bevölkerung geschätzt werden. Je mehr Menschen ein bestimmtes Produkt anwenden, desto erfolgreicher wird das jeweilige Unternehmen wirtschaftlich. Wir werden übrigens oft gefragt, ob wir Werte, Nachhaltigkeit und langfristiges Wirtschaften an unseren Business Schools unterrichten. An manchen Hochschulen erfolgt dies, aber diese sind noch zu wenige. Wir sollten daher mehr in diese Richtung wirken. Das passiert nicht zuletzt, indem wir diese Werte selbst vorleben und zur Diskussion darüber anregen.
Ganz ehrlich: Lohnen sich christliche Werte wirklich?
Ob sich etwas gelohnt hat, zeigt sich immer erst auf lange Sicht. Ob sich Werte materiell auszahlen, da wäre ich mir nicht so sicher. Aber man muss die ganze Dimension sehen. Kann ich in der Form, wie ich Geschäfte treibe, noch in den Spiegel schauen? Hat mein Handeln auf lange Sicht Erfolg? Und unter uns ganz frech gesagt: Die Abrechnung kommt dann spätestens am Ende des Lebens! Das ist vielleicht kein Trost, aber ich glaube, dass es sich immer lohnt, nach christlichen Werten zu leben.
In der Wirtschaft steht Geld an oberster Stelle. Wie passt das mit dem christlichen Glauben zusammen?
Geld macht unser Leben einfacher. Leistung muss auch honoriert werden. Und es ist auch gar nicht falsch, erfolgreich zu sein. Die Frage ist nur: Geht mein Erfolg auf Kosten Anderer?
Übrigens wird in den USA mit Erfolg ganz anders umgegangen als hier. Wenn dort jemand ein gutes Einkommen hat, bewundert man ihn für das, was er dem System gebracht hat. Hier fragt man sich dagegen: Aus welcher Stelle des Systems hat er das heraus genommen? Wir Deutschen haben zwei Kriege verloren, haben durch Inflation zwei Mal alles verloren, wir haben eine andere Einstellung zu den Dingen. Aber wir dürfen nicht vergessen: Nur Unternehmen die erfolgreich sind, können Arbeitsplätze schaffen, Steuern zahlen und dadurch und auch zusätzlich noch freiwillig soziale Projekte unterstützen.
Wie steht es mit Leistung? Gott kann man damit nicht beeindrucken. In der Wirtschaft geht es nicht ohne.
Wenn Leistung nur das Ziel: «ich, ich, ich» hat, ist das bestimmt nichts Göttliches. Und Gott kann man, in dem Sinne, natürlich nicht beeindrucken. Aber er hat uns Talente gegeben, die wir nicht vergraben sollen! Viele haben Angst: «Wenn ich mich aus dem Fenster lehne, krieg ich den Wind ab». Aber gerade in der Wirtschaft sollten Christen den Mut haben, für ihre Werte einzustehen. Wir haben die Chance mit unserem Leben unsere Umgebung zu prägen. Ich kenne übrigens keinen Hinweis in der Bibel, dass wir uns aus der Wirtschaft heraushalten sollen. Wir Christen sollen uns nicht absondern, sondern uns im Leben integrieren. Ich bin überzeugt, dass wirtschaftliches Handeln gut und wichtig ist.
Wo gibt es denn ein Beispiel für Leistung in der Bibel?
Da ist das gern zitierte Gleichnis Jesu mit den Talenten: Einer, dem viel anvertraut wurde, hat etwas daraus gemacht; er bekommt noch mehr. Und einer, dem wenig anvertraut wurde, hat nichts daraus gemacht; ihm wird das Wenige auch noch genommen. Jesus hat Leistung anders definiert, als sie heute in der Wirtschaft funktioniert. Bei ihm ging es darum, sich für andere einzusetzen. Wer leistungsfähiger ist, hat mehr Verantwortung für die Gesellschaft. Unternehmer, Lehrer, Vorgesetzte, haben eine ganz besondere Verantwortung den Menschen gegenüber, die später selbst wieder auf andere zugehen. Alles aber hat seine Grenzen. Wenn Geschäfte keinen Raum mehr für Werte lassen, kommt es zum Eklat. So hat Jesus die Händler aus dem Tempel geworfen.
Jesus hat weder die Politik noch die Wirtschaft umgekrempelt...
Stichwort: «Mikrokosmos». Obwohl Jesus alles hätte verändern können, hat er immer im Kleinen gewirkt, weil das am stärksten überzeugt. Zum Beispiel im Gespräch mit der Frau am Brunnen und mit dem Mann auf der Strasse. Das ist genau das, was auch wir umsetzen können. Die Werte, die uns die Bibel vermittelt, können wir in unserem Mikrokosmos leben und dadurch viel bewirken.
Wir wissen ja nicht, ob die momentane Wertebesinnung nur eine Woge ist und danach wieder alles beim Alten ist. Aber wir können für unser Leben entscheiden, welche Werte wir leben wollen. Gerade Führungspersonen sind immer auch Vorbilder, im Positiven wie im Negativen. An ihnen orientieren sich die Menschen. Daher haben sie auch eine besondere Verantwortung. So wird auch mein persönliches Menschenbild, die Art, wie ich mit anderen umgehe, wie ich mich im Wettbewerb verhalte, von anderen beobachtet und hat vermutlich grössere Wirkung, als man denkt.
Was möchten Sie Christen in Führungspositionen mitgeben?
Ich möchte sie ermutigen und bestärken mit Herausforderungen umzugehen. Sich auf das Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Betätigung und christlicher Überzeugung einzulassen. Ich möchte Mut machen fest zu bleiben, wenn Argumente an den Grundpfeilern unseres Glaubens rütteln. Wir sind keine Fremde in der Wirtschaftswelt, wir dürfen uns einmischen, einbringen und darin leben.
Zur Person:
Der Deutsche Michael Frenkel ist Rektor und Professor für Volkswirtschaftslehre an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Umfangreiche internationale Erfahrungen kann er als Ökonom beim Internationalen Währungsfonds, als Berater von Weltbank und Europäischer Kommission und als Gastdozent an mehreren ausländischen Hochschulen aufweisen. Professor Frenkel hat mehr als 100 Fachbeiträge auf den Gebieten der Makroökonomik und des internationalen Finanzwesens veröffentlicht. Und er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Datum: 11.04.2011
Autor: Miriam Hinrichs
Quelle: Jesus.ch