„Zu einem kritischen Dialog mit dem Islam finden“

Muslime wollen hier nicht nur ihre Präsenz zeigen, sondern sie auch verfestigen und ausweiten.
Das islamische Maschari-Zentrum in Berlin-Kreuzberg. Es soll bis zum Ende des Jahres fertiggestellt sein und neben der "Omar Ibn al-Khattab"-Moschee auch Festsäle für Familienfeiern, eine Koranschule und Büros beherbergen. Foto: DDP
Ursula Spuler-Stegemann.
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Deutschland sucht den angemessenen Umgang mit islamischen Gemeinschaften. „Wir dürfen uns nicht in Scheingemeinsamkeiten verstricken“, warnt die Orientalistin Ursula Spuler-Stegemann. Sie weist darauf hin, dass Deutsche, die zum Islam übertreten, oft zu 150 Prozent glauben.

Die Kirchen in Deutschland haben nach Auffassung von Spuler-Stegemann den Islam zu lange nicht zur Kenntnis genommen. In einer zweiten Phase habe man es mit „brüderlicher und schwesterlicher Nächstenliebe, wenn auch manchmal etwas naiv“, versucht und „auf den Dialog gesetzt, ohne die kritischen Punkte anzusprechen“. Die Kritik am wegweisenden EKD-Papier „Klarheit und gute Nachbarschaft“ (2006) zeige, dass ein nüchterner Umgang noch Schwierigkeiten bereite. „Und man kann nicht eine Zentralgestalt oder Symbolfigur wie Abraham für einen Trialog (Christen-Juden-Muslime; Red.) in Anspruch nehmen und Gemeinsamkeit vortäuschen. Wir müssen sehen, dass wir wirklich zu einem streitbaren, kritischen Dialog mit dem Islam finden.“

Noch keine Grundlage für Religionsunterricht

Im Gespräch mit der Tageszeitung „Die Welt“ benennt die Islamwissenschaftlerin die Schwierigkeiten bei der Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an den Schulen. Der dafür gegründete Koordinierungsrat der Muslime (vier Verbände) sei islamistisch orientiert, zum andern fehle eine „wirklich sachgemässe Lehrerausbildung, die unseren Grundgesetzvorstellungen entspricht“. Die deutschen Konvertiten wirkten trotz ihrer Kenntnis der einheimischen Kultur nicht vermittelnd, weil sie oft 150-prozentig zum Islam stünden.

Moschee: Gebetsraum – und viel mehr

Die Orientalistin und Autorin mehrerer Bücher (darunter „Frauen und die Scharia“) weist ferner darauf hin, dass der Gotteshaus-Charakter einer Moschee auch im Islam selbst umstritten ist. „Gar mancher Strenggläubige sagt, dass jeder Muslim an jedem Ort beten könne und man allenfalls für das Freitagsgebet Moscheen benötige.“ Es falle auf, dass Vereine vermehrt grosse Moschee-Zentren bauen wollten. „Der Gebetsraum ist nur ein kleiner, allerdings wesentlicher Teil. Teilweise entstehen zusätzliche Gebäude, so dass in der Tat der Eindruck einer islamischen Enklave und einer Parallelgesellschaft nicht von der Hand zu weisen ist.“

Islam-Präsenz „verfestigen und ausweiten“

Die meisten Moscheen in Deutschland werden von islamischen Verbänden kontrolliert, deren Stossrichtung Beobachtern zu denken gibt. Spuler-Stegemann findet Moschee-Namen wie „Eroberermoschee“ oder „Hagia Sophia Moschee“ (als Symbol für die Eroberung von Byzanz 1453 und den damit verbundenen Niedergang Ostroms) bedenklich. Für die Expertin ist klar: „Diese Muslime wollen hier nicht nur ihre Präsenz zeigen, sondern sie auch verfestigen und ausweiten. Und wo der Minarettruf zu hören ist, da ist aus bestimmter muslimischer Sicht islamisches Terrain.“ Darüber dürften aber jene Muslime nicht vergessen gehen, „die vor dieser Auslegung des Islam hierher, zu uns, gekommen, ja geradezu geflüchtet sind. Sie brauchen auch eine Stimme.“

Mässigung tut Not

Spuler-Stegemann findet es unhaltbar, dass Sprecher islamischer Gemeinschaften in Deutschland sich als Opfer von anti-islamischer Hetze darstellen. Nötig sei eine Normalisierung – und dass sich Schwarzmaler einerseits und Gutmenschen andrerseits mässigten. Dass von Muslimen, die Christen werden, in den Medien kaum die Rede ist, erklärt die Religionswissenschaftlerin damit, „dass der Abfall vom Islam als abscheuliches Verbrechen gegenüber der Umma, der Gemeinschaft der Gläubigen, und als unvergebbare Sünde gilt.“ Konvertiten zum Christentum würden auch in Deutschland bedroht oder misshandelt. „Wir haben – oder besser: der Islam – hat ein Gewaltproblem.“ Spuler-Stegemann fordert die Islam-Verbände auf, die Religionsfreiheit zu schützen.

Kommentar

Schweizer Idylle?

Von Peter Schmid

Die kulturelle und sprachliche Vielfalt der Muslime in der Schweiz hat dazu geführt, dass sie deutlich mehr Mühe bekunden sich zusammenzuschliessen. In Deutschland leben Türken in grosser Zahl auf engem Raum. Konfessioneller Religionsunterricht für muslimische Schüler ist diesseits des Rheins ein Randthema.

Ist es vorstellbar, dass die islamistischen Neigungen von Organisationen in Deutschland – Spuler-Stegemann spricht vom Willen, die islamische Präsenz zu verfestigen und auszuweiten – auf Schweizer Muslime abfärben? Die Frage wegzuwischen wäre falsch.

In manchen Bereichen sind die Herausforderungen durchaus vergleichbar, namentlich im interreligiösen Dialog. Dort hat das EKD-Papier eine neue Phase eingeläutet. Die irritierten Reaktionen von islamischer Seite zeigten, dass die frühere oberflächliche Toleranz von Kirchenvertretern nicht zur echten Dialogbereitschaft beigetragen hatte. In der Schweiz scheinen Kirchenvertreter noch den Traum einer abrahamitischen Ökumene weiterträumen zu wollen. Die Unterschiede in der Gottesvorstellung, im Menschenbild und der Heilslehre werden überspielt. So leisten die Landeskirchen nicht den Beitrag zum nüchternen Dialog mit den Muslimen, der sich aufdrängt – früher oder später.

Quelle: Livenet / Die Welt

Datum: 23.11.2007

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