"Tu, was du willst" - Herkunft und Wirkungsgeschichte eines unscheinbaren Sätzleins

"Tu, was du willst" war der Leitsatz von Alister Crowley, dem Stammvater des neuzeitlichen Satanismus. Er taucht in seiner 1904 erschienenen, vom Geist Aiwaz inspirierten Hauptschrift "Liber AL vel Legis" auf: "'Tu, was du willst' soll sein das Ganze des Gesetzes."
Alister Crowley
Intervention mit Freikorps gegen die Räterepublik in Bayern. Die Thule-Gesellschaft bildet im Münchner Hotel „Vier Jahreszeiten“ die fünfte Kolonne der Konterrevolutionäre.

Beim Kirchenvater Aurelius Augustinus hatte dieser Satz noch gelautet: "Liebe, und dann tu, was du willst".(1) Die ursprüngliche Fassung stammte von Jesus: "Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten" (Matthäus 7,12).

Was sich bei Crowley wie eine prägnante Zusammenfassung des Originals anhört, ist in Tat und Wahrheit dessen Pervertierung. An die Stelle einer Ausrichtung aufs Gegenüber trat die Selbstherrlichkeit des Einzelnen, an die Stelle der Verantwortungsethik eine nur individualistische Gesinnungsethik.

Der Wille der Nazis

Der später von Crowley geleitete satanistische "Ordo Templi Orientis" (O.T.O.) war einer der Wegbereiter für die berühmte Thule-Gesellschaft, die spiritistische Denkschmiede der Nationalsozialisten. In deren "Willen zur Macht" und ihrer Lehre von Herrenmenschen erlebte das ursprüngliche Motiv "Tu, was du willst" eine markante Wiedergeburt.

Der Weg dazu führte auch über Crowleys geistige Lehrerin, die Spiritistin Helena Blavatsky (1831-1891). Sie gründete die Theosophische Gesellschaft und begründete auch eine totalitäre Rassenlehre. Der Wiener Guido von List nahm sie äusserst bereitwillig in seine Schriften auf - die dann von einem Kunstmaler namens Adolf Hitler begierig studiert wurden.

Unter ihrem Gründer Rudolf Glauer, dem späteren Freiherrn Rudolf von Sebottendorf (1875-1945), pflegte die Thule-Gesellschaft die Geheimlehren von Helena Blavatsky und verband sie mit skurrilen Überlieferungen alter arischer Herrenmenschen, von denen sich einige in den Tibet gerettet hätten.

Hinter dem Satz "Tu, was du willst" stand bei Crowley und seinen braunen Epigonen also ein aktiver Wille, nicht selten sogar ein von aussen durch Geistwesen gesteuerter. In der Ideologie der 68er-Bewegung dann bekommt dieser Satz einen naiv-romantischen, aber nicht weniger destruktiven Zug: Durchs Ausleben seiner Triebe und Wünsche könne der Einzelne seine Freiheit und damit seinen Lebenssinn finden.

Der Wille des Mannes von Nazareth

"Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten", hiess es am Anfang. Von Beliebigkeit oder Willen zur Macht ist da wenig zu spüren. Viel aber von eigener Überlegung, von Verantwortung und Lebensfreude.

(1) Interessant ist die Version, in der der lateinische Originalsatz auf einer Satanisten-Seite im Internet dargeboten wird: "Dilige, et quod vis fac." In den "Bekenntnissen" ("Confessiones") lautet er "Amo, et fac quod vis" - also "Liebe, und dann tu, was du willst" statt des verdrehten "Begehre, und was du (dann) willst, das tu". Die zweite Fassung wirkt ungleich herrischer als die erste und ursprüngliche.

Datum: 07.01.2006
Quelle: Livenet.ch

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