Neue Ehrlichkeit

Abschied vom Missions-«Helden»

«Und dann liess er alles hinter sich und ging in die Mission …» Sätze wie dieser sind eigentlich nicht verkehrt, und doch haben sie im Laufe der letzten Jahrhunderte ein Bild des Missionars als Held aufgebaut, das ihm immer weniger gerecht wird – wenn es denn je so gestimmt hat. Höchste Zeit für eine neue Sicht auf Missionare.
Missionar in Afrika
David Brainerd
Isobel Kuhn
Amy Carmichael

Mit einem Satz wie dem obigen im Ohr und der Prägung von Amy Carmichaels Missionarsbiografie reiste Amy Peterson als Lehrerein nach Asien aus. Sie erzählt gegenüber Christianity Today: «Auf der Suche nach einem heldenhaften Abenteuer mit Jesus zog ich nach Südostasien, um 'Englisch zu unterrichten'. Natürlich lernte ich schnell, dass das Leben einer Dorfschullehrerin kein grosses Abenteuer ist. Und als es abenteuerlich wurde – mit Verhören, Gefangennahme, Verfolgung und dem Gerücht, für die CIA zu arbeiten –, da fehlte die Romantik, die die Geschichten versprachen, mit denen ich aufgewachsen war. Das Ganze war eine herzzerreissende Tortur.»

Wer die Missionserzählungen von früher mit aktuellen Infos von Missionaren vergleicht, der merkt schnell: Der «alte Missionar» verschwindet durch kulturelle und technische Entwicklungen. Vieles ändert sich. Und vieles ändert sich zum Besseren.

Das Bild vom Helden-Missionar

Missionsberichte haben Christen schon lange fasziniert. Einen besonderen Meilenstein in ihrer Geschichte bildet die Biografie von David Brainerd, der in den 1740er-Jahren in den USA unter Indianern arbeitete. Während einer längeren Krankheit war er zu Gast bei Jonathan Edwards. Nach Brainerds Tod stellte Edwards aus dessen Tagebüchern eine Biografie zusammen, die in ihrer Erzählweise und Wortwahl bis heute stilbildend für die Lebensberichte von Missionaren ist. Brainerd wurde dadurch praktisch zum Volkshelden. Krank und verwaist hielt er trotz unwahrscheinlicher Mühsal durch. Er soll sich von Bärenfleisch und Maismehl ernährt und gegen Schlangen gekämpft haben. Ausserdem kniete er so lange beim Beten, dass er nicht mehr richtig stehen konnte.

Sicherlich haben Missionare wir Brainerd tatsächlich vieles erlebt – und vieles für Gott erreicht. Tatsache ist aber auch, dass es die aus zweiter Reihe verfassten, bearbeiteten und ausgewählten Erzählungen ihrer Biografen waren, die zahllose Christen für Mission begeisterten. Und damit für ein Bild von Mission, das von Söhnen, Witwen und Freunden im Nachhinein auf die Leser hin angepasst wurde. Ein Bild, das Jesus Christus, aber eben auch den Missionar als Helden im besten Licht zeigen sollte.

Veränderungen im Zwanzigsten Jahrhundert

Diese Art und Weise, von Mission zu berichten, änderte sich ab dem 20. Jahrhundert. Missionare waren nicht länger die einzigen Berichterstatter aus der Ferne, ausserdem lebten sie länger und konnten jetzt vielfach selbst ihre Geschichten erzählen. Missionare wie Isobel Kuhn, die über 20 Jahre bei der China Inland Mission (heute ÜMG) arbeitete und währenddessen zehn Bücher über ihre Arbeit schrieb, brachten eine neue Ehrlichkeit in die Berichte. Inzwischen war neben den Erfahrungen, dass Menschen ein neues Leben mit Jesus begannen, auch Raum für Rückschläge, eigenen Unglauben, Stolz, Bitterkeit oder Eheprobleme.

Typisch für den langsamen Übergang in der Wahrnehmung ist die kürzlich verstorbene Elisabeth Elliot. Sie selbst schrieb zahlreiche Bücher über die Komplexität interkultureller Missionsarbeit und sehr ehrliche, berührende Berichte über ihren eigenen – nicht immer geradlinigen – Missionarsalltag, voller Einsamkeit, Zweifel und mangelnder Selbstdisziplin. Gleichzeitig hielt sie beim Erzählen über ihren verstorbenen Mann immer an der traditionellen «Heldenerzählung» fest. Jim Elliot wurde 1956 zu Beginn seiner Missionstätigkeit von ecuadorianischen Huaorani-Indianern getötet. Elisabeth Elliots Buch über ihren Mann, «Im Schatten des Allmächtigen», gehört immer noch zu den bekanntesten Missionsbiografien. Manche ihrer anderen Bücher taten sich sogar schwer, einen Verleger zu finden. Viele wurden nicht übersetzt – sie passen immer noch nicht ins Klischee.

Blogs, Berichte und die Wahrheit

So wie es früher ein hoher Wert war, zu «dem» Missionar aufzuschauen und ihn ein Stück weit als Helden darzustellen, so wird dieses Bild heute mehr und mehr verpönt. Manche schütten jetzt das Kind mit dem Bade aus und behaupten, dass die Zeit der Mission eben vorbei wäre, doch das Gegenteil ist der Fall: Die Gute Nachricht von Jesus Christus hat weltweit Hochkonjunktur. Gleichzeitig ist es inzwischen ein hoher Wert, auch von Schwierigkeiten, persönlichen Problemen und Misserfolgen zu erzählen.

Das Internet trägt dazu bei, dass das Reden über Mission transparenter und ehrlicher wird, denn oft genug ist ein Missionar heute auch über Facebook mit demjenigen befreundet, über den er seinen Missionspartnern berichtet. Und Freundesbriefe stehen oft für alle sichtbar im Internet. Wo manche klagen, dass das Bild des Missionars sich wandelt und er beinahe profan, weltlich daherkommt, da merken immer mehr Christen: Dadurch bleibt ein Missionar Mensch. Er muss gar nicht der Super-Christ sein, der sich nur auf geistlichen Höhenflügen befindet.

Oft genug ist das Internet sogar ein hilfreiches Korrektiv. Die Missionarin Megan Boudreaux berichtete in sozialen Netzwerken über ein Waisenhaus aus Haiti, in dem Kinder als Hausangestellte verkauft wurden – die Regierung musste eingreifen und schloss es.

Und jetzt?

Schon 1903 schrieb die Indienmissionarin Amy Carmichael: «Es ist wichtiger, dass ihr von den Rückschlägen hört, als von den Erfolgen im Kampf. Wir haben die ganze Ewigkeit Zeit, um Siege zu feiern, aber nur ein paar Stunden bis zur Dämmerung, um sie zu gewinnen. Doch wir gewinnen nicht so, wie wir sollten, weil wir zu selten von unseren Rückschlägen erzählen und deshalb zu wenig Unterstützung erhalten, weil man uns nicht versteht… Deshalb versuchen wir, euch die Wahrheit zu sagen – die langweilige, unromantische Wahrheit.»

Damals wurde Amy Carmichael scharf für ihre Gedanken angegriffen. Sätze wie diese schafften es nie in die Biografien, die wir von ihr kennen. Heute können wir das ändern. Es ist höchste Zeit – und die Mission ist es wert.

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Datum: 22.09.2015
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet, Christianity Today

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