Der «Fall Kampusch» geschieht in Ägypten hundertfach
Ein von der christlichen Menschenrechtsbewegung Christian Solidarity International (CSI) und der Coptic Foundation for Human Rights in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass Zwangsbekehrung und Zwangsverheiratung junger koptisch-christlicher Frauen in Ägypten weit verbreitet sind und in den vergangenen zehn Jahren zugenommen haben.
Der Bericht bezeichnet diese Zwangsheiraten als eine Form von «Menschenhandel». Solche Entführungen laufen oft nach einem ähnlichen Muster ab. Wie bei den Praktiken des Menschenhandels werden die jungen oft minderjährigen Frauen mit falschen Versprechen und Betrug angelockt, um sie dann gewaltsam zu entführen.
Eingesperrt in der Wohnung
Einmal verheiratet erleben die jungen Frauen verschiedene Formen von psychischer und physischer Misshandlung. Diese reichen von Vergewaltigung und Schlägen bis hin zur Isolation von ihren Familien. Eingesperrt in der Wohnung und vom muslimischen Familienclan überwacht haben die jungen Frauen oft keine Chance, ihren Entführern zu entkommen.Das Schicksal der 17-jährigen R. ist nur einer der vielen im Bericht dokumentierten Fälle: R. war mit einem muslimischen Mädchen in ihrer Nachbarschaft befreundet. Dieses Mädchen machte sie mit einem muslimischen Mann namens Amir bekannt. Amir begann, der hübschen jungen Frau den Hof zu machen. Als R. eines Tages mit ihrer Schwester einkaufen ging, wurde sie unter Drogen gesetzt und entführt. Als sie wieder aufwachte, fand sie sich in der Gefangenschaft von Amir und einiger seiner Freunde und Familienmitglieder. R. musste zum Islam konvertieren und Amir heiraten.
Vergewaltigung und Schläge
Doch sie lehnte es ab, mit ihrem neuen Ehemann eine sexuelle Beziehung zu haben. Vergewaltigung und Schläge prägten ihren Alltag. Das tätowierte koptisch-christliche Kreuz an ihrem Arm wurde mit Säure weggebrannt.Der Menschenrechtsbericht beruht auf einer umfangreichen Dokumentation von Menschenrechtsanwälten und Mitgliedern des koptischen Klerus. Bei der Entführung und Zwangsverheiratung junger koptisch-christlicher Frauen handelt es sich keineswegs um Einzelfälle.
Staatliche Gesetze stützen Zwangsheiraten
Der Bericht zeigt, dass die Verletzung der grundlegenden Frauen- und Menschenrechte durch die kulturellen Normen in Ägypten gefördert werden und oft in der religiösen Tradition verwurzelt sind, welche Gewalt gegen Frauen und Nicht-Muslime legitimieren. Die ägyptische Regierung unterstützt diese Zwangsheiraten de facto sogar. Sie lehnt es ab, zum Islam zwangsbekehrten Christinnen wieder ihre ursprünglichen christlichen Identitätskarten zurückzugeben (auf ägyptischen Identitätskarten ist die Religion des Inhabers aufgeführt). Eine Frau mit der Bezeichnung «Muslim» in der Identitätskarte hat kaum eine Chance, wieder als vollwertiges Mitglied der koptischen Gemeinschaft anerkannt zu werden.Gebrandmarkt
Wenn es den entführten Frauen gelingt, aus ihrer Zwangsehe zu fliehen, dann führen sie anschliessend ein Doppelleben: Sie sehen sich selber zwar als Christen, aber in den Augen des Staates und in weiten Teilen der ägyptischen Gesellschaft gelten sie als Muslime. Als Christinnen mit einer muslimischen Identitätskarte finden sie kaum einen Mann, der sie heiratet. Zudem ist die Angst dieser Frauen gross, dass sie dem muslimischen Persönlichkeitsrecht unterworfen und somit ihre Kinder automatisch Muslime werden.Selbst wenn den entführten Christinnen später vom Staat eine neue Identitätskarte ausgestellt wird, dann tragen sie später ein permanentes negatives Zeichen: Die neuen Karten müssen das Wort «Ex-Muslim» enthalten. Für gesetzestreue Muslime ist der «Glaubensabfall» vom Islam in der Identitätskarte dokumentiert, und so werden diese Frauen oft zu Opfern von Verfolgung und Anschlägen.
Staatliche Medienzensur
Die ägyptische Regierung ist bemüht, die Entführungen der koptisch-christlichen Frauen gegenüber den ausländischen Medien zu vertuschen. Ein bemerkenswertes Beispiel ist die Entführung von Wafaa Constantine Messiha, der Frau eines ägyptisch-koptischen Priesters im Jahr 2006. Die ägyptische Regierung hinderte ausländische Journalisten daran, an den landesweiten Protesten der koptischen Gemeinschaft teilzunehmen. Nur staatliche und islamtreue Medien durften aus den Protestorten berichten. Der arabische Fernsehsender verstieg sich gar zur Behauptung, dass «Messiha nicht entführt wurde, sondern aus freiem Willen zum Islam übergetreten und - mit ihrem neuen muslimischen Mann - weggerannt» sei. Angesichts solcher Medienzensur erstaunt es nicht, dass ausländische Medien selten über diese Entführungen berichten. Auch Menschenrechtsorganisationen haben diese Entführungen und Zwangsheiraten bisher kaum beachtet.Regierung spielt Problem herunter
Bereits am 8. Juli 2008 hat die christliche Menschenrechtsbewegung Christian Solidarity International (CSI) bei der ägyptischen Botschaft in Bern eine Bittschrift zu Handen von Präsident Hosni Mubarak eingereicht. Darin fordern über 30'000 Personen die ägyptische Regierung auf, sich der vielen Schicksale junger Koptinnen anzunehmen, die von Islamisten entführt und zwangsbekehrt wurden. Bei der Unterschriftenübergabe spielte die ägyptische Botschaft das Problem der Entführungen und Zwangsheiraten herunter. Dies seien relativ weit verbreitete Familienzwiste. Es sei darum auch kein Regierungsproblem, sondern ein privates Problem zwischen Familien. Bis heute blieben sowohl die ägyptische Botschaft als auch der ägyptische Staat CSI eine Antwort schuldig.Der ausführliche Menschenrechtsbericht zur Entführung und Zwangsverheiratung junger koptisch-christlicher Frauen kann in englischer Sprache als PDF heruntergeladen werden:
www.csi-schweiz.ch/pdfs/forced_marriages.pdf
Website:
www.csi-schweiz.ch
Quelle: CSI
Datum: 04.02.2010