Talk: Covid hautnah erlebt

Wertschätzung für verschiedene Sichtweisen

Was denken Schweizer Christen über die Coronakrise? Im Livenet-Talk sprechen sechs Personen über ihren Blickwinkel, Meinungen und Erfahrungen im Bezug zur Pandemie.
Mann mit Desinfektionsmittel
Samuel Steiner
Samuel Kullmann
Alin Leibundgut
Esther Liechti
Matthias Schneider

Livenet-Redaktionsleiter Florian Wüthrich nimmt zum Auftakt in den ZOOM-Videotalk Bezug auf die Empfehlung, die Medienwissenschaftler Prof. Vinzenz Wyss im Livenet-Talk vom 18. Januar 2022 äusserte. Man müsse möglichst im Dialog bleiben, alle Meinungen anhören und auf despektierliche Schubladisierungen verzichten (Livenet-Bericht vom 19.01.2022). Co-Moderator Andrea di Meglio, Filmemacher und pastoraler Mitarbeiter der Vineyard Bern, unterstützt dieses Anliegen: «Dieser Talk soll ein Zeichen setzen, dass sich Menschen trotz unterschiedlicher Meinung ehren können.»

Samuel Steiner, Covid-Genesener

Sportlich, gesund und Anfang 30. Samuel Steiner hatte keine Angst vor Covid-19. Doch dann erwischte es ihn. Kurz nach seiner Hochzeit erkrankte er. «Es ging mir schlecht. Eine Woche Fieber, Schüttelfrost und extreme Kopfschmerzen.» Schliesslich schickte ihn seine Ärztin ins Krankenhaus, wo er mit Sauerstoff versorgt wurde. Sein Zustand verschlechterte sich weiter und es wurde sogar über eine Verlegung auf die Intensivstation gesprochen. Nach acht Tagen konnte er entlassen werden.

Geimpft war Samuel nicht, vom Pflegepersonal habe er deswegen aber keine Abschätzung erfahren. Dass er sich daraufhin impfen liess, war für ihn ein Entscheid wider sein Bauchgefühl. Im Krankenhaus musste er sich dem medizinischen Personal anvertrauen und so erachtete er es als richtig, den ärztlichen Rat zur Impfung zu befolgen. Er sei dankbar für die medizinische Versorgung, aber auch für die Menschen, die für ihn gebetet haben.

Samuel Kullmann, Massnahmengegner

Samuel Kullmann ist Politologe, Grossrat und trat wiederholt als Massnahme- und Impfkritiker an die Öffentlichkeit. «Als die Sache Anfang 2020 losging, war mir von Anfang an klar, dass Covid ernst genommen werden muss.» So begann er zu forschen und Studien zu lesen. Er wollte erforschen, wie wir uns bestmöglich gegen schwere Erkrankungen schützen können. Hierzu suchte er auch das Gespräch mit verschiedenen Fachpersonen.

Als Samuel sich vor zwei Monaten mit Corona infizierte, fühlte er sich darauf vorbereitet. «Ich kenne keine Person, die sich um Prophylaxe und Frühbehandlung gekümmert hat und trotzdem hospitalisiert werden musste.»

Auf politischer Ebene setzt sich Samuel für absolute Freiwilligkeit bei der Covid-Impfung ein. Darauf, dass sich Personen falsch entscheiden, hat die Politik dann natürlich keinen Einfluss. «Politisch war ich klar unterlegen, wurde aber doch gehört.» Viele seien dankbar, über Alternativen aufgeklärt zu werden.

Alin Leibundgut, Intensivpflegerin

Alin Leibundgut (*1995) macht seit zwei Jahren die Weiterbildung zur Expertin Intensivpflege. Die Arbeit sei körperlich und psychisch sehr anstrengend. Anfänglich seien gegenüber der Impfung auch in der Pflege viele unsicher gewesen. Als das Personal dann am Anschlag war und die meisten Covidpatienten ungeimpft waren, kamen schon mal Spannungen auf. Alin entschied, sich innerlich von dieser Debatte zu distanzieren. «Ich betreue auch Alkoholkranke, die eine neue Leber brauchen und solche, die wegen Handygebrauch am Steuer einen Unfall verursachten.» Sie will jeden Patienten ohne Vorurteil behandeln.

Patienten ihres Alters zu betreuen, die ohne Vorerkrankungen schwere Covid-Verläufe durchmachen, sei prägend. Wegen der Delta-Variante landen mehr junge Menschen auf der Intensivstation als vorher. «Das führte zu einer Art Erwachen beim Personal.» Deshalb sei sie klar fürs Impfen. Momentan sei es etwas ruhiger, die befürchtete Omikronwelle blieb aus.

Esther Liechti, Intensivpflegerin und Lokalpolitikerin

Esther Liechti ist Stadtratspräsidentin von Burgdorf und arbeitet auf der Intensivstation. «Ich blicke auf zwei aussergewöhnliche Jahre zurück», erzählt sie und erinnert sich an manch emotionale Geschichte. Als ein Mann, welcher drei Wochen auf ihrer Intensivstation verbracht hatte, einige Zeit später mit seiner ganzen Familie kam, um seinen Dank auszurücken, berührte das sehr.

«Persönlich bin ich dankbar für die Möglichkeit, mich hochprozentig gegen einen schweren Krankheitsverlauf schützen zu können. Das nahm ich in Anspruch und liess mich impfen.» Bei der Anmeldung eines jungen, ungeimpften Menschen auf der Intensivstation spüre sie zuweilen eine Aggression hochkommen. «Wenn ich dem Patienten dann begegne, merke ich, wie ich wieder ein barmherziges Herz erhalte.» Dafür sei sie sehr dankbar.

Matthias Schneider, Pflegender Pneumologie

Matthias Schneider arbeitet in der Pneumatologie, wo er auch Covid-Patienten betreut. Er betont die Wichtigkeit eines respektvollen Umgangs mit allen Patienten. «Es gibt Patienten, die betrunken Skifahren gingen und solche, deren lebenslanges Rauchen zu Lungenproblemen führt.» In seinem Beruf dürfen solche Dinge nicht beurteilt werden.

«Für mich war es nicht einfach, mir eine Meinung über die Impfung zu bilden», erzählt Matthias. «Ich glaubte immer an eine Wirkung und rechne auch nicht mit vielen schwerwiegenden Nebenwirkungen. Man kann dies aber nicht definitiv wissen.»

Matthias hofft, dass die Pandemie bald zu Ende sein wird. «Es werden aber wieder Pandemien kommen. Wie bereiten wir uns darauf vor? Darüber muss sich die Politik Gedanken machen.» An der aktuellen Diskussion störe ihn die Sichtweise, dass alles gut kommt, wenn möglichst viele geimpft sind. Dabei wären auch andere Dinge zu diskutieren.

Moderatoren geben Persönliches preis

Auch die beiden Moderatoren hielten in diesem Livenet-Talk mit ihren persönlichen Covid-Erlebnissen nicht hinterm Berg. Wüthrich berichtete von der Geburt seines dritten Kindes während der Pandemie. «Das Vaterglück hat bei mir die erste Phase von Corona überstrahlt.» Als Redaktionsleiter von Livenet war er stark herausgefordert, zu unterscheiden, was wahr und was Fake ist und welche Quellen verlässlich sind. «Es musste auch die andere Ebene angesprochen werden: Was macht es mit unseren Gemeinden? Wie können wir Hoffnungsträger und Brückenbauer sein?» Er selbst habe zwischenmenschliche Spannungen aushalten müssen und sah auch Einzelschicksale, die ihn sehr erschütterten.

Andrea di Meglio sagte in seinem Schlusswort, dass er sich von der Politik mehr Langsicht für unsere Gesellschaft bezüglich der Gesundheit wünscht und nannte Stichworte wie Zuckerkonsum oder Druck in der Arbeitswelt. «Wie steht es um unsere allgemeine Gesundheit? Vielleicht sollten wir den Stresslevel allgemein reduzieren und mehr darauf achten, wie wir miteinander umgehen und welchen Stellenwert zum Beispiel die Familie hat?» Di Meglio würde sich generell wünschen, dass in der Gesellschaft für alle die gleichen Regeln und Massnahmen gelten. «Ich wäre dafür, dass Geimpfte keine Privilegien haben, und das sage ich bewusst als Geimpfter.»

Sehen Sie sich hier den ganzen Livenet-Talk an:

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Datum: 21.01.2022
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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