Kommentar von Heiner Studer

50 Jahre Frauenstimmrecht: Ein Blick zurück

Im Spätherbst 1970 wurde ich als 21Jähriger Zentralsekretär der EVP Schweiz. Das Komitee für die Einführung des Frauenstimmrechtes auf schweizerischer Ebene war das erste, in dem ich aktiv mitarbeitete.
Heiner Studer (Bild: zVg)

Die Vertreterinnen der Frauenverbände, unter ihnen Marthe Gosteli, welche das entsprechende Archiv aufbaute, und die Sekretäre der nationalen Parteien arbeiteten einvernehmlich zusammen. Für beide Seiten war dies Neuland. Das gemeinsame Ziel war klar: Alle waren dankbar, dass die Männer am 7. Februar 1971 dem Frauenstimmrecht deutlich zustimmten.

Christen für Gleichberechtigung

Bis vor der Volksabstimmung gab es Christen, welche mit Hinweis auf den Apostel Paulus, dass die Frau in der Gemeinde schweigen solle, für ein Nein kämpften. Doch auch unter den Christen war die Zustimmungsrate sehr hoch. Es war kein Kampf mehr zwischen Männern und Frauen. Das starke Ja und das schwächer werdende Nein waren bei beiden Geschlechtern vertreten.

Basel-Stadt als Pionierkanton 

In der Deutschschweiz nahm der Kanton Basel-Stadt eine Pionierrolle ein. Bereits 1961 konnten in der Stadt Basel Frauen ins Parlament der Bürgergemeinde gewählt werden. Zu den Neugewählten gehörte Elisabeth Vischer-Alioth (Evang. Wähler, heute EVP) welche von 1940-1952 Präsidentin des Schweizerischen Frauenstimmrechtsverbandes war. Die 69-Jährige amtete an ihrer ersten Sitzung als Alterspräsidentin. In den Grossen Rat Basel-Stadt konnten 1968 die ersten Frauen gewählt werden. Zu ihnen gehörte die evangelische Hedwig Vogt-von der Crone.

Übernahme von politischer Verantwortung

Nach der Einführung des Frauenstimmrechtes verstummten die Diskussionen auch unter den Christen. Vielmehr ging es dann darum, Frauen für die Übernahme von politischer Mitverantwortung zu finden. Besonders in der Anfangszeit war es schwieriger, Frauen für Kandidaturen zu gewinnen. Viele waren überzeugt davon, dass sie es besser als viele Männer machen müssten, um ernst genommen zu werden. Einige gewählte Frauen sagten mir, dass sie es nicht wagen würden, so dumm zu sprechen, wie es gewisse Männer taten. Erika Welti (EVP), ab 1970 im Zürcher Gemeinderat, stellte fest, dass seitdem die Frauen eingezogen seien, sich die Sprache versachlicht habe, der Ton höflicher geworden sei, ohne dass die politische Auseinandersetzung gelitten habe.

Pfarrfrauen überdurchschnittlich vertreten

Spannend ist, dass in den ersten Jahren in der EVP Frauen einer «Gruppe» überdurchschnittlich gewählt wurden (in Gemeindeparlament, Gemeindeexekutive und Kantonsparlament): reformierte Pfarrfrauen. Sie waren in ihren Kirchgemeinden bekannt und weil sie in keinem Anstellungsverhältnis standen, fühlten sie sich frei. 1973 wurde im Aargau mit Hanna Wüst (EVP) eine Pfarrerin in den Grossen Rat gewählt. Die 1919 Geborene musste früher dafür kämpfen, in der Schule Latein und Griechisch belegen zu dürfen und später das Recht zu erhalten, als Pfarrerin ordiniert zu werden.

Pionierin als Pfarrerin war Hanna Sahlfeld-Singer (SP/SG). Sie wurde bereits 1971 in den Nationalrat gewählt. 1980 wurde im Kanton St. Gallen Johanna Nüesch (FDP) erste Kantonsratspräsidentin.

Gleichberechtigung auf allen Ebenen

Bald wurden auf regionaler Ebene Frauen in richterliche Ämter gewählt. Verena Bräm-Burckhardt (EVP) wurde 1983 erste Oberrichterin im Kanton Zürich, während Elisabeth Bauhofer (EVP) im Aargau erste vollamtliche Bezirksgerichtspräsidentin wurde und 1996 zusammen mit Susanne Herzog (CVP) erste Oberrichterinnen im Aargau.

Mit der Einführung des Frauenstimmrechtes war die Gleichberechtigung auf rechtlicher Ebene noch nicht beendigt. Der Gleichstellungsartikel ist seit 1981 in der Bundesverfassung.

Das neue partnerschaftliche Eherecht wurde unter Christen in einem intensiven Abstimmungskampf wiederum kontrovers diskutiert. Es ist in Kraft seit 1988.

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Datum: 07.02.2021
Autor: Heiner Studer
Quelle: Livenet

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