Schweizer fand die Stadt Petra
Der Pilgerführer hatte eine Ziege auf dem Buckel. Sein Herr trug einen Wasserschlauch. Gemeinsam bahnten sich die beiden Männer ihren Weg durch das Bergland von Edom. Hier, im staubigen Südwesten des heutigen Jordanien, soll Aaron der Überlieferung zufolge seine letzte Ruhestätte haben. Am Grab des Bruders von Mose wollte Scheich Ibrahim, so nannte sich der in wallendes Tuch gehüllte Fremde, das mitgeführte Tier opfern.
Getarnte Mission
Doch der scheinbare Scheich war in Wahrheit ein Schweizer Gelehrter namens Johann Ludwig Burckhardt – und statt als muslimischer Pilger in ganz anderer Mission unterwegs. Sein Ziel hiess Petra. Seit Jahrhunderten hatte kein Europäer die sagenumwobene Hauptstadt des alten Nabatäerreichs betreten.
Vor 200 Jahren, am 22. August 1812, stand der Forschungsreisende aus Lausanne staunend vor der «Schatzkammer des Pharao». So bezeichnete sein einheimischer Begleiter die in den Sandstein gemeisselte Prachtfassade, die sich urplötzlich am Ende einer schmalen Schlucht zeigte. Das Monument sei «eines der geschmackvollsten Überreste des Altertums», notierte der 28-Jährige voller Ehrfurcht in sein Tagebuch. Immer weiter zog es ihn in die verlassene Stadt – bis sein Begleiter schliesslich misstrauisch wurde.
Versteckte Schätze?
«Jetzt sehe ich deutlich, dass du ein Ungläubiger bist!», brach es aus dem Begleiter heraus. Offenbar wolle der feine Herr Scheich die Reichtümer heben, die unter den Ruinen lagerten. «Aber verlass dich darauf, dass wir von allen den hier verborgenen Schätzen nichts werden wegnahmen lassen, denn sie liegen auf unserm Gebiete und gehören uns.» Die Beschwichtigungen Burckhardts liefen ins Leere; entnervt hielt er fest: «Es ist für europäische Reisende sehr unangenehm, dass die Idee von Schätzen, die in alten Gebäuden versteckt liegen, in den Seelen der Araber und Türken so fest gewurzelt ist.»
Noch am selben Abend verliessen der Scheich und sein nervöser Begleiter die antike Stätte – nicht ohne vorher die Ziege an Aarons Grab geopfert zu haben. Zu gross schien Burckhardt die Gefahr, seine falsche Identität zu verlieren. In der damaligen Zeit hätte dies das Ende seiner Reisen in die islamische Welt bedeutet. Zwar war er sich nicht ganz sicher, ob es sich bei den imposanten Überresten wirklich um Petra handelte. Doch für ihn stand fest, dass er eine grosse Entdeckung gemacht hatte – auch ohne die von den Einheimischen vermuteten Schätze im Gestein. «Gross aber muss der Reichtum einer Stadt gewesen sein, welche dem Andenken ihrer Herrscher solche Denkmäler widmen konnte.»
Riesiges Areal
Die Hinterlassenschaft der früheren Bewohner erstreckt sich auf einer Fläche von über zehn Quadratkilometern. Noch immer sind Archäologen mit Grabungen und deren Auswertung beschäftigt. Sicher ist inzwischen, dass es sich tatsächlich um Petra, die Hauptstadt der Nabatäer, handelte – die später auch noch von den Römern und, zum Schluss, von mittelalterlichen Kreuzfahrern als Stützpunkt genutzt wurde, bevor sie in Vergessenheit geriet.
Die auch in der Bibel erwähnten Nabatäer waren offenbar nicht nur geniale Architekten, sondern auch wahre Meister der Bewässerung. Über Kanäle wurde das kostbare Nass in die trockene Stadt geleitet, die in ihren Glanztagen bis zu 40'000 Einwohner beherbergte. Das technische Wissen und die strategisch günstige Lage ihrer Metropole sicherten dem Volk eine Vormachtstellung – bis es um das Jahr 100 in das Römische Reich eingegliedert wurde.
Forschungsreisender
Johann Ludwig Burckhardt (1784–1817) gehört zu den bedeutendsten Orientreisenden des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Burckhardt, der aus einer ursprünglich in Basel beheimateten Patrizierfamilie stammt, wurde in Lausanne geboren. Im Laufe seiner Reisen durchquerte Burckhardt unter anderem den Libanon, Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien. 1812 entdeckte er die in Vergessenheit geratene antike Felsenstadt Petra wieder; 1814 besuchte er die heiligen Stätten des Islam, Mekka und Medina. Burckhardt erkrankte in Kairo an der Ruhr und starb infolge der Krankheit am 15. Oktober 1817.
Datum: 22.08.2012
Quelle: Kipa