Die Geschichte hinter Heidi in den Bergen
Die neue Adaption wird nicht nur die zeitlosen Abenteuer des Waisenkinds Heidi in den Schweizer Bergen erzählen, sondern auch ihren Weg zur jungen Frau. Die Serie wird bei SRF wie auch bei RTL Deutschland zu sehen sein. Baptiste Planche, Leiter Fiktion bei SRF: «Wir freuen uns sehr darauf, die urschweizerische Geschichte von Johanna Spyris Heidi in einer zeitgemässen Serie weiterzuerzählen.» Hauke Bartel, Bereichsleiter Fiction bei RTL Deutschland: «Heidi ist eine der bekanntesten und beliebtesten Figuren der Weltliteratur, die Generationen von Zuschauerinnen und Zuschauern begeistert hat. Wir legen die klassische Geschichte neu auf und erzählen darüber hinaus die Entwicklung eines Mädchens zur jungen Frau: Eine moderne Adaption, die sowohl die Magie der Schweizer Berge als auch Heidis bewegenden Lebensweg neu erlebbar macht.»
Im Hintergrund eine biblische Geschichte
Johanna Spyri-Heusser ist die meistgelesene und -übersetzte Schweizer Autorin. Doch es ist wenig bekannt über sie, wie ein SRF-Beitrag zeigt. Sie wuchs als Tochter eines Arztes und einer Dichterin auf dem Hirzel auf. Sie veröffentlichte rund 50 literarische Werke, darunter 32 Kinderbücher – obwohl sie erst im Alter von 44 Jahren zu schreiben begann. 1879 schrieb sie «Heidis Lehr- und Wanderjahre», das schnell zu einem grossen Erfolg wurde. 1881 folgte der zweite Roman «Heidi kann brauchen, was es gelernt hat». Die Bücher wurden in über 70 Sprachen übersetzt und mehrmals verfilmt. Auch gibt es mehrere Musicals. Noch heute reisen Massen von Heidi-Fans nach Graubünden, um in Maienfeld und Umgebung auf Spurensuche zu gehen. 2005 war die Fernsehserie sogar Teil einer Ausstellung im «Museum of Modern Art» in New York. Was kaum bekannt ist, dass im Hintergrund von Heidi ursprünglich eine zutiefst biblische Geschichte steckt.
Bebilderte Bibelgeschichten
Der Roman enthält einen wichtigen Wendepunkt: Heidi war in Frankfurt todunglücklich und einsam. Da lernt sie Klara kennen, ein zwölfjähriges Mädchen aus reichem Elternhaus. Klaras Grossmutter sieht, wie unglücklich Heidi ist, und sagt zu ihr: «Wenn man einen Kummer hat, den man keinem Menschen sagen kann, so klagt man ihn dem lieben Gott im Himmel und bittet ihn, dass er helfe, denn er kann allem Leid abhelfen, das uns drückt.»
Die Grossmutter (Frau Sesemann) bringt Heidi das Lesen bei und liest mit ihr kindgerechte, bebilderte Bibelgeschichten. Besonders hat es Heidi die Geschichte vom verlorenen Sohn angetan. Sie schwärmt ihrem verbitterten Grossvater von der Geschichte vor und zeigt sie ihm anhand des Bilderbuchs. Der wird ganz still, ihm kommen die Tränen. Als Heidi eingeschlafen ist, schweigt er lange, dann faltet er die Hände und betet: «Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir und bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heissen!» Der Alpöhi beginnt, wieder Interesse an den Gottesdiensten in der Dorfgemeinde zu haben, er bittet die Menschen um Vergebung, denen er Leid angetan hat. Er ist wie ausgewechselt.
Der verlorene Alpöhi
«Die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn ist nicht die Geschichte Heidis. Es ist die Geschichte des Grossvaters», sagt Ralph Kunz, Professor für Praktische Theologie an der Universität Zürich. Heidi gelingt es durch ihre Natürlichkeit und kindliche Unschuld, dem zornigen und skeptischen Alpöhi, «einem verbockten, sozial isolierten, veritablen Sünder», wieder Leben zu schenken, so Ralph Kunz: «Dieser merkt plötzlich: Ich werde gebraucht, entwickelt Fürsorge und Liebe und findet zur Heilung – eine der schönsten Bekehrungsgeschichten.»
Ralph Kunz macht darauf aufmerksam: «Es heisst vom Alpöhi im Roman, dass er sein Vermögen verprasst hat. Er hat eventuell gespielt und gesoffen. Er hat sich versündigt und Gottes Gericht erfahren, seine Kinder sind offenbar umgekommen bei einem Unglück. Es ist eine klassische Hiobsgeschichte.» Der Theologe erklärt, was die popkulturellen Adaptionen des 20. Jahrhunderts verschweigen: «Deshalb ist der Alpöhi auf der Alp! Er ist der verlorene Sohn.» Kunz ergänzt: «Es braucht das Wunder dieses Kindes Heidi, das ihm das Herz aufschliesst. Er kann auf einmal weinen. Und er kann Busse tun.»
Nicht nur heile Welt
«Und auch dem Leser und der Leserin werden die Augen feucht», schreibt Ralph Kunz. «Die Geschichte des bekehrten Grossvaters ist rührselig – in einem ganz qualifizierten Sinn. Selig, wer sich von dieser Geschichte rühren lässt. Was mich fasziniert an dieser Nacherzählung ist die Veränderung des Motivs. Dass der Grossvater das Verhältnis zu seinem himmlischen Vater erneuert, ist sozusagen nur die Hinterbühne des Geschehens. Die Geschichte hat auf der Vorderbühne eine andere Drehung. In Johanna Spyris Auslegung kehrt nicht nur ein verlorener Sohn zum Vater zurück, sondern der Grossvater findet über die Rückkehr des Kindes seinen verlorenen Gott wieder. Die Rollen sind vertauscht. Heidi wird zur Interpretin des Evangeliums, weil sie unbelastet von den Altlasten der Dorfkirche die reine Gottesliebe verkörpert.»
Für Heidi selbst ist das Christwerden eine Erlösung aus der Einsamkeit und aus dem Gefühl des Verlassen-worden-Seins. «Da ist jemand, der mich sucht», erkennt sie. Das Waisenkind findet Trost in der Geschichte vom verlorenen Sohn, weil sie selbst heimatlos ist, und das löst Sehnsucht in ihr aus. «Die Autorin Johanna Spyri war pietistische Christin», sagt Kunz. «Ein Anliegen war es ihr auch zu zeigen, wie aus der Heidin Heidi (sie heisst eigentlich Adelheid) eine Christin wurde.» Das Buch Heidi sollte jedenfalls nie vordergründig die heile Welt in der Schweiz zeigen, so Kunz.
Dieser Artikel erschien bei Dienstagsmail.
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