Atheisten in den USA lassen sich «enttaufen»
Eine von ihnen ist die New Yorkerin Jane Everhart, Sprecherin des dortigen Atheistenverbandes, der ein Mal im Monat in Manhattans «Stone Creek Bar» zusammenkommt. Sie wuchs katholisch auf. Mit 13 Jahren habe sie Fjodor Dostojewskis «Die Brüder Karamasow» gelesen, und sei zunächst geschockt gewesen, denn dort stellten Protagonisten Glauben und Gott infrage. Aber dann sei auch sie Atheistin geworden.
In Kindertaufe hineingezwungen
Zusammen mit Hunderten anderen Atheisten hat sie sich vor kurzem nun «enttaufen» lassen. Die Teilnehmer des Ritus nähmen Abschied von ihrer religiösen Vergangenheit, in die sie vor allem durch die Kindertaufe hineingezwungen worden seien. Für manche habe das grosse symbolische Bedeutung, sagte Everhart.Auf ihrem «Enttaufschein» steht, sie habe die Vorherrschaft von «Vernunft über Aberglauben» akzeptiert und «Freiheit von unnötigen Schuldgefühlen» erlangt. Eingerahmt habe sie das Dokument aber nicht, sagt Everhart. Sie sehe den Ritus eher locker: «Enttaufen» sei doch mit einer gehörigen Prise Humor zu geniessen. Die Zeremonie in Party-Atmosphäre erinnert an Karneval: Bei Everharts «Enttauffeier» traten Mitarbeiter der «American Atheists» auf, bekleidet mit bunten Phantasie-Messgewändern, und ausgerüstet mit einem Haartrockner, um letzte Reste der Religion «wegzublasen».
„Atheisten werden diskriminiert"
Atheistin zu sein ist in den USA nicht leicht, sagt Everhart. Viele Gläubige trauten den Ungläubigen nicht - denn woher bekämen die Gottlosen denn ihre moralischen Richtlinien? Wer an keinen Gott glaubt, gilt vielen als nicht normal.Politiker würzen Reden mit «Gott segne Euch», auf den Dollarnoten steht «In God we Trust» (wir vertrauen auf Gott). Präsident Dwight Eisenhower sagte vor mehr als 50 Jahren, was viele seiner Landsleute noch heute als grundlegend betrachten: Das amerikanische Regierungssystem «macht keinen Sinn, wenn es sich nicht auf einen tiefen religiösen Glauben gründet».
Viel Mut hat ihnen Barack Obamas Amtseinführungsrede gemacht, in der erstmals ein Präsident Nicht-Gläubige willkommen hiess: «Wir sind eine Nation von Christen und Muslimen, Juden und Hindus und Nicht-Gläubigen».
Lobby-Büro eingerichtet
Im August hat die «Säkulare Koalition für Amerika», ein Zusammenschluss von zehn sonst rivalisierenden Organisationen für Atheisten, Freidenker, Humanisten und Agnostiker auf Washingtons legendärer K-Street, der Meile der Lobbyfirmen und Anwaltskanzleien, ein Lobby-Büro eingerichtet: Man wolle den Einfluss der Religion auf die Politik bremsen.Die Zahl Nicht-Religiöser in den USA steigt. Nach Darstellung der «American-Religion-Identification»-Untersuchung von 2008, die sich auf Umfragen unter 54.000 US-Amerikanern gründet, gehören 15 Prozent keiner Religion an. Das sind fast doppelt so viele wie 1990 (8,2 Prozent).
Zu dieser Gruppe zählten aber auch die Menschen, die sich keine Gedanken über ihren Glauben machten oder sich nicht festlegten, erläuterte Barry Kosmin, Co-Autor der Studie. Nur 0,7 Prozent bezeichneten sich als Atheisten - Menschen, die überzeugt sind, dass es keinen Gott gibt. Demgegenüber glaubten knapp 70 Prozent der US-Amerikaner an einen «persönlichen Gott» und rund zwölf Prozent an die Existenz einer höheren Macht.
Atheismus verändert sich
Und auch das Gesicht des Atheismus verändert sich. Bei Atheistenversammlungen sehe man zwar noch immer «hauptsächlich alte weisse Männer», bedauert Hemant Mehta, ein aus Indien stammender Mathematiklehrer und Blogger. Langsam aber kämen neue Leute dazu. Das sagt auch Lyz Liddell, Mitarbeiterin des Studentenverbandes «Säkulare Studentenallianz». Entscheidend für das Wachstum sei das Internet: Wie nie zuvor hätten Atheisten jetzt die Möglichkeit, einander zu begegnen.Sorgen über diese Entwicklung
Kirchenvertreter machen sich Sorgen um das Wachstum bei den Nicht-Religiösen und den Mitgliederschwund in den meisten protestantischen US-Kirchen. Die katholische Kirche hingegen wächst, dank der Einwanderer aus den katholisch geprägten Ländern südlich des Rio Grande.Dass der Ritus des «Enttaufens» zum Massentrend werden könnte, befürchtet in den Kirchen aber keiner. Die «Enttauften» verstünden das Wesen der Taufe nicht vollständig, urteilt der Washingtoner Theologieprofessor Laurence Stookey. Es liege nicht in der Macht der Getauften, die Taufe rückgängig zu machen. Denn Gott halte an dem geschlossenen Bund fest.
Datum: 14.09.2009
Quelle: Epd