Argentinien: Früherer Polizeiseelsorger als Folterkomplize?

Verhaftung, Folter und Tod. Die frühere Militärdiktatur in Argentinien hat rund 30.000 Menschen auf dem Gewissen.

Buenos Aires. Der Fall des früheren Polizeikaplans Christian von Wernich hat in Argentinien zu einer heftigen öffentlichen Debatte über die Haltung der katholischen Kirche während der Militärdiktatur (1976-1983) geführt. Von Wernich musste in der Vorwoche unter dem Verdacht der Beteiligung an Menschenrechtsverbrechen vor der "Wahrheitskommission" in der Provinzhauptstadt La Plata erscheinen.

Auf die Fragen des Richters berief sich der Priester lächelnd auf sein "Schweigerecht"; daraufhin verfluchten ihn Angehörige der Opfer im Gerichtssaal feierlich, bewarfen ihn mit Joghurtbechern und versuchten ihn zu schlagen. Von Wernich wurde in Haft genommen; ein Bundesrichter ordnete aber anderntags seine Freilassung an.

"Priester des Todes"

Im einzelnen wurde von Wernich beschuldigt, im Jahr 1977 indirekt am Tod von sieben jungen Leuten beteiligt gewesen zu sein, die von den Schergen des Junta-Präsidenten Videla verhaftet worden waren. Von Wernich habe das Vertrauen der Opfer erschlichen und ihnen belastende Informationen entlockt. In Gesprächen habe er sich gebrüstet, die sieben junge Leute "für ihre Sünden büssen zu lassen", sagte die Menschenrechtsanwältin Alicia Peralta. Der "Spitzname" von Wernichs habe "Priester des Todes" gelautet. Der Polizeiseelsorger sei regelmässig in einem Kommissariat gesehen worden, das insgeheim auch als Folterzentrum diente. Auch soll er bei der Ermordung von drei politischen Gefangenen anwesend gewesen sein.

Nach Schätzungen von Menschenrechtsexperten wurden während der von Washington gestützten Militärdiktatur in Argentinien rund 30.000 Menschen getötet. Der neue argentinische Präsident Nestor Kirchner will mit der Ratifizierung der UNO-Konvention über Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit die Gewalttaten der Militärjunta für unverjährbar erklären lassen. Kirchner habe seinem Aussenminister Rafael Bielsa eine entsprechende Anweisung erteilt, sagte Justizminister Gustavo Beliz vor Journalisten in Buenos Aires.

Gesetze aus den achtziger Jahren, in denen die junge Demokratie auf Druck der Militärs den Ex-Machthabern eine weitgehende Amnestie zusicherte, würden damit gegenstandslos. Der UNO-Konvention von 1968 zufolge sind Verjährungsvorschriften nicht auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anwendbar.

Priester nimmt gegen Bestrafung Stellung

In der Diskussion um die Verjährung der Verbrechen hat sich auch der argentinische Priester Rafael Braun zu Wort gemeldet, der mit der niederländischen Prinzessin Maxima besonders verbunden ist. Braun hatte bei der Hochzeit der geborenen Argentinierin mit dem niederländischen Kronprinzen Willem-Alexander die Schriftlesung gehalten.

Zusammen mit dem Politologen Carlos Floria nahm der Priester in der führenden argentinischen Zeitung "La Nacion" gegen die Bestrafung von Verbrechern aus den Reihen von Polizei und Militär während der Militärherrschaft Stellung. Insbesondere wandte sich der Priester gegen die Aufhebung des Verbots der Auslieferung von Verdächtigen aus der Junta-Zeit.

Braun hatte von 1978 bis 1995 die Chefredaktion des argentinischen Monatsblatts "Criterio" inne. Kritiker werfen ihm vor, in dieser Zeit immer wieder Lob für Videla ins Blatt gerückt zu haben.

Auslieferung eines Mörders von Ordensfrauen

Frankreich hat inzwischen die Auslieferung eines berüchtigten Folterers und Mörders der früheren Militärdiktatur in Argentinien, Alfredo Astiz, beantragt. Der frühere Fregattenkapitän war in Frankreich bereits 1990 in Abwesenheit wegen der Ermordung der französischen Ordensfrauen Alice Domon und Leonie Duquet zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Ein früheres Auslieferungsbegehren war jedoch an der generellen Weigerung Argentiniens gescheitert, Staatsbürger in das Ausland auszuliefern.

Datum: 22.08.2003
Quelle: Kipa

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