Erich von Siebenthal zur Migros-Deklaration
idea Spektrum: Herr von Siebenthal, wie war Ihre erste Reaktion, als Sie hörten, dass die Migros künftig Produkte aus den besetzten palästinensischen Gebieten besonders deklarieren will?
Erich von Siebenthal: Bei uns in der Schweiz wird ja das Herkunftsgebiet eines Produktes besonders genannt, weil man davon ausgeht, dass sich dies auf das Vertrauen des Konsumenten auswirkt. In diesem Fall bin ich schon sehr gespannt, was die Migros damit bezweckt. Wäre die neue Deklaration auch nur ein bisschen politisch motiviert, wäre es sehr beunruhigend. Für mich ist nicht ganz ausgeschlossen, dass es in diese Richtung geht.
Dann würden wohl weniger israelische Produkte konsumiert?
Ich gehe davon aus, dass die Schweizer Konsumenten nicht gleich funktionieren wie viele Politiker im Bundeshaus. Sie werden darauf achten, ob ein Produkt gut und preisgünstig ist und es dann kaufen, egal ob es aus den Kerngebieten oder den besetzten Gebieten stammt. In der Politik hingegen gibt es sehr breite Kreise, die Israel wegen seiner Siedlungspolitik einseitig verurteilen.
Die israelische Botschaft in der Schweiz hat die Migros aufs Schärfste kritisiert. Zu Recht?
Ich will noch das Gespräch mit Migros-Leuten suchen, um ihre Taktik kennenzulernen. Ich weiss nicht, ob die israelische Botschaft besondere Informationen hat. Kommt sie zum Schluss, dass die Deklaration Teil einer antiisraelischen Kampagne ist, dann ist die Reaktion verständlich und auch berechtigt.
Nimmt die antiisraelische Stimmung in Politik und Gesellschaft denn eher zu?
Im Moment ist das schwer zu sagen. Kürzlich war ja der israelische Verteidigungsminister in der Schweiz. Dass der Besuch stattfand, war für mich positiv, dass er von den Medien jedoch weitgehend ignoriert wurde, negativ. Ich frage mich, ob das zu einer neuen antiisraelischen Taktik gehört.
Ist diese Migros-Deklaration auch ein Thema für Ihre Arbeitsgruppe?
Wir werden sicher ein Auge darauf haben. Doch vorerst geht es darum, unsere Gruppe neu aufzubauen. Durch die Wahlen und auch durch den Tod von Bundeshausbeterin Maria Wyss, die sich stark für die Gruppe engagierte, müssen wir zuerst wieder richtig Fuss fassen.
Was hat Sie motiviert, nach Nationalrat Theo Pfister das Präsidium zu übernehmen?
Bis jetzt bin ich es ja interimistisch. Doch die formelle Wahl soll diese Woche stattfinden. Wir haben festgestellt, dass das Präsidium weiterhin bei der SVP sein sollte, weil sie viele Mitglieder stellt. Doch ich weiss, dass das jetzt auch meine Aufgabe ist. Letztlich hole ich meine Motivation auch aus der Bibel. Als Christ trage ich eine Verantwortung für das Volk Gottes.
Spüren Sie eine Entspannung im Verhältnis Schweiz-Israel, seit Bundesrat Burkhalter und nicht mehr Bundesrätin Calmy-Rey das Aussendepartement führt?
Ich habe den Eindruck, dass die Beziehung seit dem Wechsel sicher nicht weiter belastet wurde. Ich bin zuversichtlich, dass Burkhalter einen vernünftigen Weg einschlagen wird, denn er ist eine ausgeglichene, lösungsorientierte Person. Ich habe im Sinn, demnächst um einen Termin bei ihm zu bitten. Ich habe übrigens Anfang Mai gerade eine Interpellation eingereicht, nachdem die Schweizer Vertretung im Uno- Menschenrechtsrat einer Resolution zugestimmt hat, gemäss welcher die israelische Siedlungspolitik untersucht werden soll. Mit so einseitigen Resolutionen wird der Frieden nicht gefördert.
Die grosse Frage ist, ob Israel nächstens den Iran wegen seines Atomprogramms angreift.
Im Moment ist es relativ ruhig. Ich gehe davon aus, dass es nicht ausgeschlossen ist. Entscheidend ist, wie die Israeli die Notwendigkeit und die Chancen eines Angriffs einschätzen. Doch ich will mich auf keine Spekulationen einlassen.
Wie gross sind Ihre Friedenshoffnungen für den Nahen Osten?
Für mich ist klar, dass Israel im Zentrum der grossen politischen Auseinandersetzungen der Zukunft steht. Die Sache wird letztlich auf dem Tempelberg entschieden. Wenn man Israel in Ruhe lässt, kann es für einige Zeit ruhig bleiben. Dann wird auch Israel die umliegenden Gebiete so behandeln, dass die Bevölkerung nicht zu leiden hat. Wenn das nicht möglich ist, werden alle zu leiden haben. Ein politischer Friede auf lange Zeit wird im Nahen Osten kaum möglich sein.
Erich von Siebenthal, 53, verheiratet mit Maria, 3 erwachsene Kinder, Bergbauer, Betriebsleiter Bergbahn Wasserengrat, wohnhaft in Gstaad BE. Seit 2007 Nationalrat der SVP. Neuer Präsident der 2005 gegründet Parlamentarischen Gruppe Schweiz-Israel mit heute 45 Mitgliedern (42 National- und 3 Ständeräte). Mitglied der Evangelisch-methodistischen Kirche (EMK).
Zum Thema:
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Israel: Erfolg für Reformjudentum
Parlamentarische Gruppe Schweiz Israel
Datum: 07.06.2012
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz