Muss das Jugendstrafrecht verschärft werden?
Das Niveau der Kriminalität in der Schweiz hat sich weitgehend den Verhältnissen im übrigen Europa angeglichen. Zu diesem Schluss kommt die neue schweizerische Opferbefragung. Einbrüche, Gewalt und Drohungen sind demnach in der Schweiz seit 2004 gestiegen. Besonders die Delikte im nächtlichen Ausgang unter Jugendlichen, oft im Zusammenhang mit Alkohol, haben stark zugenommen. Ist das Jugendstrafrecht zu mild?
80 Prozent der Delikte kein Problem
Hans Melliger, Jugendanwalt und Leiter der Jugendanwaltschaft des Kantons Aargau hat sich kürzlich im Rahmen eines Fokustags der EVP zur Jugendgewalt und wie die Behörden damit umgehen, geäussert. «Schwere Straftaten gab es schon früher – aber heute sind sie mediales Thema, weil sie sich gut zum Bewirtschaften eignen.» Melliger machte die Aussage allerdings noch vor Bekanntwerden der neuen Zahlen.
80 Prozent der angezeigten Fälle sind laut Melliger kein Problem bezüglich Täter. Oft gehe es zum Beispiel um das Frisieren eines Töfflis. Allerdings seien die 4% Intensivtäter das eigentliche Problem, denn sie verübten 40 – 60% der Delikte. Wie reagieren die Strafbehörden darauf?
Schwere Jungs an die kurze Leine
Laut Melliger geht es den Behörden darum, diese Täter auszusieben, sie an die kurze Leine nehmen und intensiv zu behandeln. 85 Prozent dieser Täter seien männlich und würden oft lange nicht bekannt, weil sie vorerst viele kleine Vergehen verübten, bis sie den ersten grossen Fehler machten. Viele unter ihnen hätten psychische oder auch körperliche Defizite.
Sie seien ein Fall für den Jugendstaatsanwalt, der Massnahmen anordne. Diese würden auch überwacht mit dem Ziel, Rückfälle zu verhindern. Für 80 Prozent der Angezeigten reiche eine Verwarnung aus, um nicht mehr rückfällig zu werden. Bei den schweren Fällen beobachtet Melliger langjährige Verhaltensstörungen, aber auch die Suche nach Anerkennung, Identität und Heimat.
Zu den Massnahmen gehören zum Beispiel ein Täter-Opfer-Ausgleich und Mediation. Im Aargau gibt es auch eine Drogengesprächsrunde oder ein Anti-Aggressions-Training. Wichtig ist zudem, Banden zu erkennen, die Mitglieder von ihnen zu trennen und separat zu behandeln.
Wo ansetzen?
Für Melliger hat sich das Jugendstrafrecht daher bewährt und müsse nicht verschärft werden. Anders sieht es der Verfasser der neuen Opferstudie, Professor Martin Kilias. Das heutige Strafrecht sei generell zu lasch und biete zu wenig Abschreckung. Er stellt ausserdem – entgegen der Political Correctness – das heutige 24-Stunden-Ausgehverhalten, verbunden mit uneingeschränktem Alkoholverkauf rund um die Uhr, deutlich in Frage. Es sei die Hauptursache für die massive Gewaltzunahme.
Datum: 31.08.2011
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch