«Nehemia-Tag» mit christlichen Verantwortungsträgern zur Zukunft der Schweiz

Filippo Leutenegger

«Der Staat ist zum Gottesersatz geworden», stellt FDP-Nationalrat Filippo Leutenegger fest. Das muss Christen herausfordern. Unter dem Titel «Schweiz wohin?» suchten christliche Verantwortungsträger am zweiten «Nehemia-Tag» nach Antworten.

«Darf ich noch für Sie beten?», fragte Beat Christen vom «Nehemia-Team». Nationalrat Filippo Leutenegger nickte lächelnd. Vor dem kurzen Segensgebet hatte der frühere «Arena»-Moderator und heutige CEO des Jean Frey Verlags seine Sicht zu eidgenössischen Brennpunkten dargelegt. Unter den rund 40 christlichen Leitern, Unternehmern und Politikern löste er lebhafte Diskussionen aus.

Stärke des Föderalismus

Das sechsköpfige «Nehemia-Team» wollte sich am Freitag 24. November in Bern brennenden Fragen des Landes stellen: der Globalisierung, der demografischen Entwicklung und der Islamisierung. Man wollte Ansätze für Antworten finden und die Bereitschaft zum persönlichen Engagement fördern. Neben Leutenegger sprach der Basler Strategieberater und Futurologe Andreas F. Walker.
Leutenegger lobte die «ernst gemeinte Demokratie» unseres Landes. «Wir haben ein filigranes, aber stabiles politisches Gleichgewicht.» Als grosse Stärke sieht er den Föderalismus. Im Gegensatz zum Zentralismus der EU. Der bilaterale sei kein schlechter Weg. «Er müsste aber besser verhandelt werden.» Vehement wehrte sich Leutenegger gegen den Vorwurf, wir seien «Insulaner». Kein Land sei international so vernetzt. Überall bringe man dem Schweizer Volk und dessen souveränen Entscheiden grossen Respekt entgegen. «Dafür müssen wir uns sicher nicht entschuldigen!»

«Gutmenschentum»

Hart ins Gericht ging der profilierte Medienmann mit dem «Mainstream» der Medien. Mit der Gleichschaltung der Meinungen werde vielen Leuten ein schlechtes Gewissen eingejagt. Eine «unglaubliche Tabuisierung» herrsche im Bereich Familie. Aktuelles Beispiel: die einheitlichen Familienzulagen. Zwischen Kinderzulagen und Fruchtbarkeit bestehe überhaupt kein Zusammenhang. In der Schweiz herrsche ein breites «Gutmenschentum». Wer etwas Gutes meint, wolle sich oft nicht eingestehen, dass die Folgen schlecht sein können.

Für Leutenegger ist klar, dass der «falsche Mainstream» durch die 68er-Bewegung ausgelöst wurde. Gefragt seien alte Grundwerte: «Zuerst die Eigenverantwortung, dann der Staat.» Der FDP-Mann sprach von einer «unglaublichen Staatsgläubigkeit»: «Ich wage gar zu behaupten, dass man in unserer säkularen Gesellschaft so stark nach dem Staat schreit, weil die christlichen Werte und der Glaube so stark abgenommen haben. Der Staat ist zum Gottesersatz geworden.»

«Nicht einlullen lassen»

Ziemlich ratlos zeigte sich Leutenegger in der Islamfrage. Er beobachtet, wie gläubige Muslime alle nur denkbaren Entbehrungen auf sich nehmen. Eine Folgerung daraus: «In einem christlichen Land muss man sich neu auf die eigenen Grundwerte besinnen. Wir müssen sagen, wo wir stehen und dann klar für unseren Standpunkt eintreten. Wir dürfen uns vom ganzen Harmoniegeschwätz nicht einlullen lassen.» Gefragt seien auch eine verstärkte innere Unabhängigkeit und Gelassenheit. Leutenegger trocken: «Mir ist es egal, wenn die Medien über mich herziehen.» Worauf der akkreditierte Bundeshaus-Beter Beat Christen bemerkte, Christen müssten vermehrt für die Medien beten. Leutenegger widersprach nicht: «Ich bin schon einverstanden mit dem Beten, aber wir müssen auch mehr reklamieren.»

Immer hektischer

Von sechs «Gesichtern der Zukunft» sprach Andreas M. Walker: Tempo, Städte, Stammesdenken, Universalität, Interessengruppen, Werte. Der deutsche Trendforscher Matthias Horx wiederum nenne vier Schlüsseltrends für Dienstleister: Individualisierung, Gesundheit, Gender-Revolution, Kreativität. In jedem Punkt sieht Walker christliche Herausforderungen. Städte: Christen warteten auf das neue Jerusalem, die Stadt Gottes. Universal: Der Auftrag Gottes laute, allen Menschen das Evangelium zu bringen. Tempo: Kontemplation sei wichtig, da die Hektik noch viel extremer werde. Ressourcen: Christen wüssten seit biblischen Zeiten um die Begrenztheit, böten aber kaum kreative Lösungen an. Demografie: Schon in zehn Jahren ist die Hälfte der Bevölkerung über 50 Jahre alt. Noch sei die Seniorenarbeit in christlichen Gemeinden aber schwach entwickelt.

Väter versagen

Einen Schwerpunkt legte Walker auf die Beziehungsfrage. Im städtischen Ballungsraum beträgt die Scheidungsrate 50 Prozent, unter Führungskräften gar 80 Prozent. Eine Scheidung geht an den meisten Kindern nicht spurlos vorbei. Über 60 Prozent der jugendlichen Selbstmörder und über 70 Prozent der schwangeren Teenager sind ohne Vater aufgewachsen. Das höchste Scheidungsrisiko weisen Mischehen mit Ausländern auf, das kleinste reine Ausländerehen. Daraus folgert Walker: «Wir müssen neu fragen, was Männer und Frauen nach Gottes Willen sind.» Die Frau werde heute einseitig für die Interessen der Wirtschaft instrumentalisiert. Die bewusst christliche Erziehung werde vernachlässigt. Hier versagten vor allem die Väter. Walker nennt Untersuchungen: «Wo sich Väter bekehren, finden 90 Prozent der Kinder zum Glauben.» Der Ruf nach Kindertagesstätten sei auch eine Chance für christliche Gemeinden.

Zukunft mitgestalten

Die 68er-Bewegung und die Lobby der Homosexuellen hätten zentrale Werte auf den Kopf gestellt. Christen stelle sich die Herausforderung, über die langfristigen Werte der Bibel nachzudenken und darüber zu reden. Walkers Appell: «Als Christen wollen wir in all den Spannungsfeldern unserer Zeit Chancen ergreifen, Kompetenz erlangen und Lösungen erarbeiten. Wir wollen die Zukunft segenbringend mitgestalten!»
Walter Dürr vom «Nehemia-Team» sagte es so: «Wir möchten, dass Christus in uns Gestalt gewinnt und durch uns verändernd wirken kann. Wir wollen als Christen sprachfähiger werden und aktiv teilnehmen am Dialog über die Zukunft der Schweiz.»

Das seit sieben Jahren bestehende «Nehemia-Team» bilden: Beat Christen (VBG, Bundeshaus- und Firmengebet), Walter Dürr (Institut für biblische Reformen, Biel), Werner Jakob (Vita Perspektiv, Heimberg), Hanspeter Lang (Stiftung Wendepunkt, Fachschule für Sozialmanagement), Robert Roth (Weizenkorn, Job Factory, Basel) und David Schneider (Stiftung Schleife, Winterthur).

Datum: 05.12.2006
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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