Bern

“Rat der Religionen“ für die Schweiz?

Spitzenvertreter der drei Landeskirchen sowie des Israelitischen Gemeindebundes und einer muslimischen Dachorganisation haben sich am Dienstag in Bern getroffen. Es wurde vereinbart, den interreligiösen Dialog weiter zu führen. Die Bildung eines "Rats der Religionen" wird geprüft.
Muslime
Thomas Wipf
Alfred Donath
Farhad Afshar (rechts)
Unauffällig: Eingang zur Moschee in Wil/SG

Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund SEK verfolgt seit Jahren das Ziel, eine Plattform für das interreligiöse Gespräch und wenn möglich auch für die Kontakte zu den Bundesbehörden zu bilden. Am Dienstag fand im Berner Hotel Schweizerhof das erste Treffen nach dem 5. März 2003 statt.

Damals, kurz vor dem Irakkrieg, fanden sich Vertreter der Landeskirchen, Muslime und Juden zu einer interreligiösen Feier im Berner Münster ein und unterzeichneten die Erklärung "Das Band des Friedens stärken – in der Schweiz und weltweit". (Livenet berichtete.)

Anliegen weiter verfolgen

Nun sassen dieselben Spitzenvertreter in Bern wieder zusammen: Pfarrer Thomas Wipf, Präsident des Rates des (SEK); Bischof Amédée Grab, Präsident der Schweizer Bischofskonferenz; Fritz-René Müller, Bischof der Christkatholiken; Alfred Donath, Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) sowie Farhad Afshar, Präsident der Koordination Islamischer Organisationen Schweiz (KIOS).

Die Teilnehmer bekräftigten in ihrem zweistündigen Gespräch auf dem ‚neutralen’ Terrain des Hotels Schweizerhof, die im März 2003 geäusserten Anliegen gemeinsam weiter zu verfolgen. Den regelmässigen Austausch auf dieser Ebene zwischen Juden, Christen und Muslimen erachten alle als wichtig, heisst es in der Pressemitteilung.

Im Herbst weiteres Treffen

Diskutiert wurde an dem Treffen auch der Vorschlag von SEK-Ratspräsident Wipf, einen "Rat der Religionen" zu schaffen, der als Plattform der gegenseitigen Verständigung und als Ansprechorgan für Anliegen des Bundes dienen könnte. Dies als weitere Option für einen institutionalisierten Dialog zwischen den Kirchen und Religionsgemeinschaften „abrahamitischer“ Tradition. Die Bildung und Struktur eines solchen Rates wird nun geprüft. Das nächste Treffen wurde für kommenden Herbst vereinbart.

Wipf: "einander kennen lernen"

Wipf wünscht ein Forum für interreligiöses Gespräch, wobei die östlichen Religionen draussen bleiben. Der SEK-Rat will „einen Ort schaffen, an dem sich die drei abrahamitischen Religionen regelmässig treffen“, sagte Wipf gegenüber Radio ERF. Es gehe um gegenseitiges Kennenlernen, um Vertrauen aufzubauen.

Trotz der Dominanz der katholischen und der protestantischen Kirche in der Schweiz könne man die anderen Religionsgemeinschaften nicht ignorieren, so Wipf. Die religiöse Landkarte habe sich auch hier verändert. „Wir müssen die Aufgabe annehmen, friedlich miteinander zu leben.“

Afshar will offizielle Anerkennung des Islam

KIOS-Präsident Farhad Afshar hofft, dass die Begegnungen zu engeren Verbindungen zwischen der islamischen und den andern religiösen Gemeinschaften führen werde: "Es ist wichtig, zwischen den verschiedenen Religionen im Dialog Vertrauen zu schaffen", sagte er zu swissinfo. "Dann sind wir in der Lage, Probleme zu diskutieren und gemeinsame Ziele zu erreichen."

Afshar warnt jedoch vor zu hohen Erwartungen bei interreligiösen Kontakten. Das Treffen sei nur ein Schritt in einem Prozess. "Der Hauptgrund, warum der Islam in der Schweiz nicht etabliert ist, liegt darin, dass er nicht offiziell anerkannt ist, wie es Christentum und Judentum sind", sagt er. Das Berner Gespräch sieht der ursprünglich aus dem Iran stammende Entwicklungssoziologe als möglichen Schritt „auf dem Weg zur offiziellen Anerkennung als Religionsgemeinschaft“.

Reservierte Bischofskonferenz

Die römisch-katholischen Bischöfe haben sich vor dem Gespräch in Bern gegenüber dem Projekt eines Rats der Religionen abwartend gezeigt. Laut Agnell Rickenmann, Generalsekretär der Bischofskonferenz, könnte der Rat eine „Stätte der Annäherung und der Brüderlichkeit“ werden.

Leiter, die nicht für alle sprechen können

Wenn Thomas Wipf vom Schweizer Protestantismus spricht, ist festzuhalten, dass die evangelischen Freikirchen, die mehr als zehnmal so viele Anhänger zählen wie die christkatholische Kirche, zum Gespräch nicht eingeladen waren.

Zudem repräsentiert die KIOS, 1998 gegründet, nicht die 330'000 Muslime der Schweiz. Diese sind aufgrund ihrer Herkunft, Sprache und kulturellen Prägung in 120 Vereinen und mehreren Dachverbänden organisiert.

Abraham wird ganz verschieden verstanden

Weiter ist die Tatsache, dass alle drei Religionen Judentum, Christentum und Islam sich auf Abraham berufen, noch keine tragfähige Grundlage, denn Abraham wird völlig verschieden gedeutet (ist Isaak oder Ismael der einzigartig gesegnete Sohn?). Noch viel gravierender ist die Tatsache, dass die drei Religionen zwar einen Gott bekennen, aber sein Wesen und seine Offenbarung insgesamt sehr unterschiedlich verstehen.

In einem Papier der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA), die landes- und freikirchliche Christen verbindet, hat Jürg Buchegger im letzten Sommer darauf hingewiesen. Der reformierte Pfarrer würdigte die Absicht der Veranstalter der Berner Feier im März 2003, „mit dieser Feier für den religiösen und den Weltfrieden eintreten zu wollen“.

Jesus ist Gottes Sohn – allein im Glauben der Christen

Zugleich nahm Buchegger die theologischen Elemente der Erklärung der Friedensfeier unter die Lupe und hielt fest: „Die gegenwärtige Annäherung der grossen monotheistischen Religionen Christentum, Judentum und Islam („abrahamitische Ökumene“) in gemeinsamen Gebeten ist nur möglich, weil die Lehre der Dreieinigkeit und die damit verbundene Gottessohnschaft Jesu aufgegeben werden. Dies wird im Aufruf von Bern deutlich. Das spezifisch Christliche wird ausgeblendet. Jesus wird in die Reihe der Propheten gestellt. Damit übernehmen die christlichen Kirchen die muslimische Ansicht über Jesus.“

SEA-Papier von Jürg Buchegger:

Erklärung und Aufruf vom 5. März 2003:

Thomas Wipf zum Projekt ‚Rat der Religionen’ im ERF-Audiobeitrag:

Quelle: Livenet/Kipa/SEK

Datum: 08.07.2004
Autor: Peter Schmid

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