„Religiosität und religiöse Symbole kehren in die Politik zurück. Neun Personen aus dem religiösen Bereich stehen inzwischen auf der Lobbyliste der Parlamentarier“, stellt die „SonntagsZeitung“ in der letzten Ausgabe vom 22. Februar fest. Die Zeitung erwähnt die drei Beter (es handelt sich eigentlich um zwei Beter und eine Beterin) für die Schweiz und die drei Bundeshauspfarrer, welche Andachten für die Parlamentarier halten. Von einem „Revival der Religiosität“ spricht der grüne Zuger Nationalrat und Historiker Josef lang, allerdings mit kritischem Unterton. Gerade die SVP bediene ihre Wähler „sehr gezielt mit religiösen Symbolen“. Dass sich der neue Nationalrats-Präsident Binder in Bern zu seinem Amt öffentlich segnen liess und die Verhandlungen der ersten Session mit der Nationalhymne begann, welche die Worte „Betet freie Schweizer, betet“ enthält, erregte öffentliches Aufsehen. SoZ-Autor Othmar von Matt stellt verwundert fest, während die CVP über den Verzicht auf das „C“ debattiere, rücke „die SVP christlich-schweizerische Symbole wie Nationalhymne und die Schweizer Fahne bewusst in den Vordergrund“. Schliesslich hatte ja auch Christoph Blocher bei seiner Wahl zum Bundesrat die Hilfe Gottes angerufen. Der ehemalige CVP-Politiker und Politberater Ivan Rickenbacher vermutet, die SVP verfolge eine Doppelstrategie. Einerseits seien die christlichen Bekenntnisse Ausdruck der persönlichen Überzeugung einiger SVP Leaderfiguren, andererseits verfolgten sie damit politische Absichten, sprich, das Ziel Wähler zu gewinnen. „Es gibt nur ganz wenige Fragen, die die Menschen emotional so stark berühren wie religiöse Fragen“, so Rickenbacher. Der SVP sei es in den letzten Jahren auch gelungen, die Grenze zwischen Katholizismus und Protestantismus zu überschreiten. Sie habe ihr protestantisches Stigma abgelegt und sei zur Partei mit dem zweithöchsten katholischen Wähleranteil geworden. Der Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK), Thomas Wipf, beobachtet auch im Bundesrat ein verstärktes Interesse an „religiösen Orientierungs- und Wertesystemen“. Gerade die Bundesräte Deiss, Calmy-Rey und Couchepin interessierten sich zunehmend dafür. Die neuen religiösen Wertmassstäbe seien stark protestantisch geprägt: „Eigenverantwortung, Freiheit, Verantwortung, Bescheidenheit“. Gerade auch bei den Katholiken im Bundesrat, obwohl dieser jetzt wieder mehrheitlich protestantisch sei. Wipf spricht gar von einer „Protestantisierung im Bundesrat“. Die Verbindung von politischem Handeln mit religiösen und nationalen Symbolen wird besonders in der Schweiz skeptisch beobachtet. Zu stark ist noch die Erinnerung an Zeiten, wo die katholische Kirche sich stark in politische Prozesse einmischte, man denke nur an den emotionalen Abstimmungskampf, als es galt, über die Aufhebung des Jesuitenverbots abzustimmen. Waren doch die Jesuiten als (politische) Drahtzieher hinter den Kulissen verschrien. Evangelische Christen sollten aber auch wachsam sein, wenn ihre eigenen Werte, Bekenntnisse und Handlungen von politischen Leitfiguren prononciert aufgenommen werden. Die Begleitung von Politikern und Politikerinnen durch Andachten, Seelsorge und Gebet ist legitim und wichtig. Wo sich aber politische Exponenten dezidiert christlich äussern, geraten sie in Verdacht, Religion für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Und man wird ihr politisches Handeln sehr aufmerksam an ihrem Bekenntnis messen. Ob Gott immer froh ist über das, was seine frommen Bekenner in der Politik leisten? Das Zeugnis der christlichen Gemeinde und Kirchen kann jedenfalls auch Schaden nehmen, wenn es von Leuten offensiv vertreten wird, die eine öffentliche Position bekleiden und nicht immer glaubwürdig handeln. Jedenfalls gehen sie eine Gratwanderung mit Absturzgefahr. Quelle: Livenet / SoZChristlich-schweizerische Symbole
Doppelstrategie der SVP
Protestantisierung im Bundesrat
Kommentar
Datum: 26.02.2004
Autor: Fritz Imhof