Es sei eine Illusion zu meinen, dass mit dem New Age eine Wiederbelebung des Religiösen einhergehe, heisst es weiter in dem 90 Seiten langen Text, der von den Päpstlichen Räten für die Kultur und für den Interreligiösen Dialog nach langen Vorbereitungen herausgegeben wurde. Die Verfasser kritisieren, dass die Religiosität des New Age derzeit auch in manchen kirchlichen Bildungshäusern verbreitet werde. Diese Tendenz gelte es zu korrigieren, um Verwirrung und Irrtümer zu beseitigen und die wahre christliche Spiritualität zu fördern. Zugleich wird in dem Text vor gutgemeinten Dialogveranstaltungen oder gemeinsamen Gebets-Treffen gewarnt, die von den Vertretern esoterischer Lehren zur Propagierung ihrer Ideen benutzt würden. Ein echter Dialog müsse stets von der Anerkennung der Unterschiede ausgehen. Als Beispiel für eine von der christlichen Auffassung abzugrenzende Praxis nennt das Papier den Gebrauch des "Enneagramms" (Neunerzeichen). Dieses seit Beginn der neunzigerJahre auch in christlichen Kreisen weit verbreitete Schema zur Unterscheidung von neun standardisierten Persönlichkeitstypen führe zu Zweideutigkeit in der Lehre und im christlichen Glaubensleben, wenn es als "Instrument für die geistliche Entwicklung" benutzt werde. Die Religiosität des New Age wird in dem Dokument als "anziehend" beschrieben und als Herausforderung für die Kirche bezeichnet. Viele Menschen hätten das Gefühl, dass die christliche Religion ihnen nicht das bieten könne, was sie wirklich brauchten. Manche kämen zum New Age auf einer Suche nach einer authentischen Spiritualität, die ihr Innerstes berührt und ihnen in einer verwirrenden Welt Sinngebung verspreche. Manches an diesen Lehren klinge positiv, etwa die Kritik am Materialismus, am mechanistischen Menschenbild der Medizin und am ungebremsten Individualismus der Industriegesellschaft. Die Kirche müsse den "stummen Schrei" dieser Menschen hören - ansonsten liefen sie Gefahr, in eine andere Richtung zu treiben. Das Papier richtet sich an Seelsorger, Religionslehrer sowie an alle, die in der Glaubensunterweisung tätig sind. Der Text sei eine Einladung, die kulturelle Strömung des New Age zu begreifen und in einen Dialog mit jenen einzutreten, die von ihrem Denken beeinflusst seien. Neben einer grundsätzlichen Einschätzung des Phänomens New Age enthält der Text einige praktische Empfehlungen und einen Anhang mit einer Kurzfassung der New-Age-Lehren, einem Glossar wichtiger Begriffe und eine kurze Bibliographie In dem Text wird auch die Frage untersucht, ob der ausserordentliche weltweite Erfolg von New-Age-Lehren im vergangenen Jahrzehnt das Resultat einer internationalen Verschwörung oder das Ergebnis spontaner kultureller Veränderungen sei. Das Papier lässt die Frage offen, erinnert aber daran, dass es zwischen dem New Age und "international einflussreichen Gruppen", die an Stelle der einzelnen Religionen eine universale Weltanschauung für die gesamte Menschheit setzen wollten, gemeinsame Interessen gebe. Eng damit verbunden sei auch die konzertierte Bemühung vieler Institutionen, eine "Globale Ethik" zu schaffen. Bei der Vorstellung des neuen Vatikan-Dokuments zum New Age haben die Herausgeber nachdrücklich auf den "provisorischen Charakter" des Grundsatzpapiers hingewiesen. Das Dokument stelle ein Studie zu dem sich weiter entwickelnden Phänomen der "New Age"-Religiosität dar und bedürfe daher künftiger Vertiefung und Ergänzung. Mit der Veröffentlichung des Textes habe man auf die zahlreichen Anfragen zum Thema New Age und Esoterik aus der ganzen Welt reagiert. Unterscheidung und Differenzierung sind die Schlüsselworte der 90-Seiten langen Veröffentlichung. Einzelne Praktiken aus dem "überaus komplexen Feld" des New Age könnten richtig verstanden positiv sein. Entscheidend sei, dass die genannten Meditationsformen nicht zum Selbstzweck würden, sondern auf Gott ausgerichtet blieben. Ludwig Ring-Eifel Seit Jahren schon sucht der Vatikan nach einer Antwort auf die sich weltweit ausbreitende New-Age- und Esoterik-Welle. Der nun am Montag vorgelegte Text ist denn auch eher eine beschreibende Bestandsaufnahme dessen, was sich unter dem Dach von New Age alles an Glaubens- und Therapieansätzen versammelt. Durchgängig wird in dem Papier das Bemühen spürbar, die oft diffusen Ideen zu begreifen und um Verständnis für jene zu werben, die sich davon anziehen lassen. Selbstkritisch wird der Erfolg des New Age als eine Herausforderung an die Kirche beschrieben: Denn offenbar fühlen sich die Menschen von Sinnstiftungsangeboten und Ritualen angezogen, die ihnen etwas bieten, was ihnen die christliche Religion "vielleicht niemals gegeben hat". Das Papier baut auch einige Brücken zur religiösen Grundbefindlichkeit der New-Age-Anhänger, wenn es feststellt, dass deren Kritik am Materialismus und am Egoismus auch positive Seiten habe. Dennoch fehlt es nicht an klaren Abgrenzungen zu dem Gedankengut, das in der kaum noch überschaubaren Literatur esoterischer Heilslehren angeboten wird. Denn die katholische Kirche mit ihrer 2000-jährigen Erfahrung erkennt in vielen dieser Strömungen alte Bekannte wieder, die sie seit den ersten Jahrhunderten als Konkurrenz immer wieder bedrängt haben. Das New Age stellt eine Art Neuauflage der gnostischen Irrlehren der Antike dar - angereichert um ein paar keltische, ostasiatische und freimaurerische Elemente. Die entscheidenden dogmatischen Unterschiede sollen daher, so die praktische Empfehlung des Papiers, nicht unter den Tisch gekehrt werden. Vielmehr soll die Kirche ihren personalen Glauben an den Schöpfergott und Jesus Christus betonen. Damit geht der Vatikan bewusst auf einen Gegenkurs zur vereinnahmenden Sichtweise des New Age, wonach "alles irgendwie mit allem zusammenhängt" und klare, abgrenzende theologische Dogmen überwunden werden sollen. Auf der praktischen Ebene warnen die Vatikan-Experten deshalb auch vor einer unkritischen Übernahme dieses Gedankenguts in Bildungshäusern und Klöstern, wo sich in den letzten Jahren Angebote mit alternativen Heilslehren in rasantem Tempo breitgemacht haben. Als ein konkretes Beispiel wird der Gebrauch des Enneagramms genannt. Diese mutmasslich auf Sufi-Mystiker zurückgehende Einteilung der Menschen in neun Persönlichkeitstypen ist inzwischen auch bei vielen christlichen Heilssuchern fast schon Standard. Trotz deutlicher Warnungen schrecken die Vatikan-Experten vor der Behauptung zurück, dass der Erfolg des New Age in der westlichen Welt das Resultat einer weltweiten Verschwörung gegen die traditionellen Religionen sei, wie dies der Titel eines der erfolgreichsten Bücher der Bewegung, Marilyn Fergusons "Die sanfte Verschwörung", nahe legt. Ohne die Freimaurer beim Namen zu nennen wird in dem Papier jedoch festgestellt, es gebe im Ziel der Überwindung der alten Religionen eine objektive Interessengemeinschaft zwischen dem New Age und "international einflussreichen Gruppierungen", die zur Einigung der Menschheit eine Universalreligion anstrebten. Mit "New Age" (Neues Zeitalter) wird seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine geistige Strömung benannt, in der alternative Heilslehren zusammenfliessen. Der Begriff geht auf eine astrologische Theorie zurück, wonach derzeit das Zeitalter der Fische zu Ende geht und das neue Zeitalter des Wassermanns beginnt. Nach der rationalistischen, von Gewalt gekennzeichneten Phase beginnt jetzt nach dieser Theorie eine neue Ära der Sehnsucht nach Frieden und Harmonie. Geistesgeschichtlich tauchen im New Age neben fernöstlichen Elementen Ideen der antiken "Gnosis", der Alchemie, der Astrologie, der Theosophie und der Anthroposophie, der esoterischen Lehren der Rosenkreuzer und anderer Gruppen der Neuzeit auf. Hinzu kommen Rückgriffe auf mystische Traditionen wie den islamischen Sufismus, die jüdische Kabbala oder christliche Mystiker sowie keltische Elemente. Die Anhänger des New Age sind in der Regel nicht als solche organisiert und haben keinen verbindlichen Glauben. Sie suchen sich Glaubensinhalte und religiöse Praktiken nach eigenem Gutdünken aus. Verbreitet sind unter ihnen die Überzeugung, dass das Göttliche sich in unterschiedlichen, im Prinzip gleichwertigen Formen manifestiert, der Glaube an die Reinkarnation und die Offenheit für mystische Erfahrungswege aller Art. Generell lehnen New-Age-Anhänger das Weltbild der Newtonschen Physik, die so genannte Schulmedizin und die Dogmen der monotheistischen Religionen ab. Zum New Age gehören auch zahlreiche alternative Heilungswege zur Überwindung körperlicher und seelischer Krankheiten, die von der Grundüberzeugung ausgehen, dass Materie, Energie und Geist eng zusammenhängen. Darunter fallen Kristall-, Musik- und Farbtherapien ebenso wie der Rückgriff auf die ostasiatische Karma-Lehre, die derzeitige Befindlichkeiten eines Menschen durch frühere Taten und Ereignisse erklärt. Durch den Verkauf von Literatur und weitverzweigte Selbstfindungs- und Therapieangebote ist New Age auch zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden.Warnung vor dem Enneagramm
Verschwörungstheorie
New-Age-Papier hat provisorischen Charakter
KOMMENTAR
Klare Abgrenzung - aber keine pauschale Verurteilung
Selbstkritik
Warnung an die eigenen Institutionen
Stichwort: New Age
Datum: 05.02.2003
Quelle: KIPA