Alles im Griff?
Sanford hat eine alte Tugend entdeckt, die den Horizont weitet und gleichzeitig Ruhe in unseren Alltag bringt: die Tugend der Demut. Wie wir lernen können, „Kontrollpanik“ durch Vertrauen zu ersetzen, erklärt er im folgenden Artikel.
David, einer der grössten Könige in der Geschichte Israels, hätte allen Grund gehabt, stolz zu sein. Er war reich, gut aussehend und politisch äusserst erfolgreich. In der Vergangenheit hatte er all seine Feinde besiegt, sein Reich erweitert und Israel den Frieden gebracht. Doch der mächtige David überraschte durch etwas völlig Anderes: durch seine Demut. In Psalm 131 in der Bibel erklärt er, warum Loslassen uns gut tut und wie Demut unseren Lebensraum nicht enger, sondern weiter macht.
Demut will nicht kontrollieren
„Herr, mein Herz ist nicht stolz“ (Die Bibel, Psalm 131, Vers 1a): David war sich der Tatsache bewusst, dass nicht er es war, der die letzte Macht und Autorität besass. Am Beispiel eines Improvisations-Theaterstücks möchte ich dieses Prinzip verdeutlichen: Das Bühnenstück steht für unser Leben. Ein Mensch, der echte Demut besitzt, weiss, dass nicht er selbst der Regisseur des Stücks ist. Wir haben diese Macht nicht. Natürlich dürfen wir das Stück mitgestalten. Natürlich haben wir die nötigen Freiräume, unsere eigene Persönlichkeit mit einzubringen. Aber wir haben die Charaktere nicht ins Leben gerufen. Und nur der Regisseur überblickt alle Zusammenhänge. Nur einer entscheidet über den letzten Ausgang der Geschichte.
Doch auch wir wollen die Kontrolle. Seit der ersten Sünde im Garten Eden versucht der Mensch, die Macht an sich zu reissen. Wir fürchten uns davor, kontrolliert zu werden. Wir haben Angst, unsere Freiheiten zu verlieren – sei es durch Krieg, Politik, Krankheit oder einen finanziellen Engpass.
Wer Demut besitzt weiss, dass die einzige Kontrolle, die er hat, jene ist, dass er seine Rolle in dem Stück so gut wie möglich spielt. Ein solcher Mensch übernimmt Verantwortung dafür, so wahrhaftig wie möglich zu leben – nicht mehr, nicht weniger. Ein stolzer Mensch versucht, stets die Kontrolle zu bekommen (weil er glaubt, dass er es besser weiss). Ein demütiger Mensch hingegen schiebt nicht gleich Panik, wenn auch einmal andere die Kontrolle besitzen (weil er weiss, dass es manchmal eben andere besser wissen). Und vor allen Dingen überlässt er die letzte Kontrolle Gott.
Demut will nicht im Mittelpunkt stehen
„Meine Augen blicken nicht hochmütig umher“ (Vers 1b): Demut lehnt es nicht nur ab, das Stück unter ihr Kommando zu bringen – sie nimmt auch nicht die ganze Bühne für sich selbst in Anspruch. Wie oft versuchen wir (offen oder heimlich), bei anderen „angesagt“ zu sein? Die meisten von uns sind keine Star-Schauspieler. Aber glauben Sie wirklich, dass wir deshalb nicht genauso versucht sind, das Blitzlichtgewitter der Promi-Fotografen zu suchen? Will nicht jeder von uns oft genug der Star sein – die Aufmerksamkeit unseres Vorgesetzten, unserer Nachbarn oder Freunde ganz besonders erhaschen und glänzen?
Jesus rückt die Demut – und mit ihr Gottes Reich – mit einer einfachen Aussage in unser Blickfeld: „Wer der Erste sein will (also der Prominente, der Chef), soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.“ Das geht uns ganz schön gegen den Strich, nicht wahr? Doch wenn wir Gott nahe kommen wollen, benötigen wir Demut. Denn Gott ist es, der im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen soll; er ist derjenige, der alles in seiner Hand hält und er ist es, vor dem wir uns verneigen.
Wahre Demut akzeptiert ihre Rolle im Stück des Lebens und gibt ihr Allerbestes. Wenn einem demütigen Menschen die Rolle des „Helden“ zufällt, spielt er ihn gut. Und wenn er eine weniger prominente Rolle bekommt, spielt er eben diesen Part mit Leidenschaft und Hingabe.
Nehmen Sie es also dankbar an, wenn Sie einmal im Rampenlicht stehen – aber beugen Sie sich in Würde, wenn diese Rolle einem anderen zufällt. Seien Sie einfach die Person, zu der Gott Sie berufen hat – nicht mehr, nicht weniger. Das ist wahre Demut. Das heisst natürlich nicht, dass Sie sich nicht entwickeln sollten. Sie müssen sich nicht „menschlich“ auf starre Rollen festlegen lassen. Leben Sie einfach authentisch mit Gott – dann gehört die Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu seiner Ehre mit zum „Spiel“.
Demut kümmert sich um ihre Sache
„Ich gehe nicht mit Dingen um, die mit zu hoch sind“ (Vers 1c): Was hat Demut damit zu tun, dass man sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmert? Ganz einfach: Wir sollten unseren Part ausfüllen und uns nicht Aufgaben anmassen, die uns nicht zustehen. Es reicht, wenn der Regisseur alles überblickt und zusammenhält. Wenn er auf seine Art eingreift und steuert. Wir müssen auch nicht die Rollen unserer Mitspieler diktieren oder sie uns von ihnen diktieren lassen. Es reicht, wenn wir unsere Rolle übernehmen und uns der Regieführung unterstellen.
Was aber bedeutet das praktisch? – Seien Sie zum Beispiel nicht neidisch. Ob Gott Ihren Nachbarn mit Segen überschüttet ist seine Sache, nicht Ihre. Was Gott mit Ihrem Ehepartner, Ihrem Kind oder Ihren Eltern vorhat, ist seine Sache, nicht Ihre. Und auch was Gott für Sie vorgesehen hat – ob Freude oder Kummer – steht letztlich unter seiner Kontrolle. Haben Sie Vertrauen und glauben Sie einfach, dass er es bedingungslos gut mit Ihnen und allen Akteuren meint. Konzentrieren Sie sich bloss auf Ihren Part und bitten Sie ihn um alles, was dafür nötig ist.
Wenn wir uns in Dinge einmischen, die eigentlich zu Gottes Aufgaben gehören, sagen wir in Wirklichkeit: „Gott, lass mich dir in dieser Sache sagen, wo es langgeht. Ich weiss, was hier gerade dran ist!“ Diese Einstellung spiegelt – ob es uns bewusst ist oder nicht – unseren Stolz wider. Stolz will die Kontrolle behalten und anderen (und oft sogar Gott) sagen, was zu tun ist und wie es richtig ist. Demut hingegen bewirkt in uns, dass wir uns auf unsere Aufgabe konzentrieren und den Rest voller Vertrauen Gott überlassen.
Demut macht sich selbst nicht gross
„… und auch nicht mit Dingen, die zu wunderbar für mich sind“ (Vers 1c): Wer zu grosse Dinge für sich erträumt, ist von Gottes Plan für sein Leben abgelenkt und wartet nicht mehr auf dessen Leitung und Wegweisung. Die Bibel stellt uns vor Augen, dass wir eigentlich gar nicht weit in die Zukunft hinein planen können, weil wir noch nicht einmal wissen, was uns der nächste Tag bringt. Wir wissen nicht wirklich, wie sich das Stück im nächsten Akt entfaltet und welche Wendung es nehmen wird.
Natürlich heisst das nicht, dass wir keine Pläne mehr machen sollten oder dürften. Das wäre sogar fatal und dumm. Natürlich sollten wir in unserem Bereich kreativ sein und unser Leben gestalten. Aber welchen Plan wir immer auch verfolgen mögen – er untersteht immer noch Gottes grösserem, gutem Plan für unser Leben. Das sollten wir nicht aus dem Blick verlieren. Träumen Sie also ruhig, treffen Sie im Vertrauen auf Gott verantwortungsbewusste Entscheidungen – aber klammern Sie sich nicht an Ihre Träume. Halten Sie sie nur locker fest! Demut weiss, dass Gott unser Schicksal in der Hand hat und dass er es immer gut mit uns meint.
Demut schafft ein ruhiges Herz
„Habe ich meine Seele nicht beschwichtigt und beruhigt?“ (Vers 2a): Warum kann nur ein Herz, das ruhig geworden ist, eine demütige Haltung hervorbringen? Wenn wir stets mit unserem eigenen Machen, Tun und Planen beschäftigt sind, verfallen wir leicht in die Denkweise, dass tatsächlich wir diejenigen seien, die die Dinge lenken. Nur wenn wir äusserlich und innerlich zur Ruhe finden, erkennen wir Gottes Hand, die in uns, durch uns und um uns herum in all unseren Bemühungen gewirkt hat.
Aber es gibt noch einen weiteren Grund dafür, warum aus der Stille Demut wächst: Still zu werden ist ein bewusster Akt der Hingabe. Wenn wir ruhig sind, sind wir nicht am Zug. Nicht unsere vermeintlichen Dringlichkeiten stehen im Mittelpunkt. Wir sind einfach still und warten vertrauensvoll auf Gottes Reden und Handeln – zu seiner Zeit. Stille bringt uns dahin, unsere Bedürftigkeit zu sehen und macht uns klar, wie sehr wir Gott brauchen. Und damit sind wir grossen Schritt in Richtung echter Demut weitergekommen.
Demut ist mit dem zufrieden, was sie hat
„Meine Seele ist wie ein sattes Kind im Arm seiner Mutter“ (Vers 2b): Ein stilles und zuversichtliches Herz ist zufrieden mit dem, was es hat. Es fordert nicht lautstark immer mehr oder immer Besseres. Wenn Sie ein zufriedener Mensch sind, dann erwarten Sie nicht masslos etwas von Gott oder anderen. Wir werden nicht ständig von eigenen Wünschen und Leidenschaften getrieben, sondern können wie Paulus sagen: „Ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie’s mir auch geht.“
Allerdings: Das ist eine Haltung, die nicht unserer Natur entspricht und die wir darum erst lernen müssen. Instinktiv wollen wir immer mehr, wollen das Bessere, Leichtere, Schönere. Und wir schielen immer auf die anderen. Paulus lernte in den Krisen seines Lebens, dass zum Leben mehr gehört, als das, was wir besitzen – ob es nun um unsere körperliche Gesundheit, Besitz oder einen sicheren Arbeitsplatz geht. Zufriedenheit ist ein Teil von Demut, denn sie nimmt das an, was sie hat und ist Gott dafür dankbar.
Demut vertraut auf Gott
„O Israel, vertrau dem Herrn von jetzt an und für alle Zukunft“ (Vers 3): In unserer westlichen Gesellschaft ist Warten etwas, das man unmöglich akzeptieren kann. Auf etwas warten zu müssen rangiert für viele auf einer Ebene mit einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt – so scheint es jedenfalls. Aber wieso eigentlich? Ich denke, das ist so, weil Warten etwas Unsicheres beinhaltet – und das macht uns Angst! Ein demütiger Mensch aber weiss, dass Gott derjenige ist, der letztlich alle Umstände in seiner Hand hält und vertraut lieber ihm als sich selber.
Stolz hält Gott die eigenen Pläne vor die Nase – Demut erwartet hoffnungsvoll Gottes Handeln. Und sie glaubt daran, dass er gut ist – selbst in Momenten, in denen es nicht danach aussieht. Vertrauensvolles Warten, Hoffnung und Ausstrecken nach Gott – das sind Eigenschaften, die einen demütigen Menschen auszeichnen. Demut glaubt, wartet und hofft – allem zum Trotz – auf den Gott, der lebt und der eingreifen wird. Zu seiner Zeit.
Autor: Tim Sanford
Datum: 01.04.2008
Quelle: Neues Leben