Christen helfen

«Das Erdbeben wird die Türkei verändern»

Michael Feulner mit seiner Frau
Michael Feulner lebt seit über 20 Jahren in der Türkei. Seit dem Erdbeben mit mehr als 40'000 Toten organisiert er humanitäre Hilfe im Krisengebiet. Die Not ist riesig. Aber zwischendurch erreichen ihn Lichtblicke.

Fragt man Michael Feulner danach, wie die Lage im Erdbebengebiet in der Türkei gerade ist, fällt ihm als erstes eine ebenso schreckliche wie mutmachende Geschichte ein. Ein Christ aus seinem Gemeindenetzwerk habe in den Trümmern seine Schwester und ihre vier Kinder verloren. Eine Familientragödie, wie sie viele Opfer des Erdbebens erlebt haben. Sein Glaubensbruder sei zur Beerdigung angereist.

Vor Ort habe er ein Krankenhaus besucht und die zerstörte Kantine der Einrichtung gesehen. Die Menschen dort hätten nichts zu essen gehabt. Ein unhaltbarer Zustand, fand der Mann, der gerade den Tod so vieler Familienangehöriger zu beklagen hatte, und bot an, mit den wenigen Mitteln, die vor Ort waren, Essen zu kochen. Die Hilfe wurde angenommen, mehr und mehr Helfer kamen dazu. Heute kocht er gemeinsam mit anderen täglich rund 2'000 Essensportionen.

Leid in etwas Positives gewendet

Eine bemerkenswerte Geschichte, findet Feulner: «Wie dieser Mann sein Leid in etwas Positives gewendet hat. Wie er hilft und wie ihm das auch dabei hilft, seinen eigenen Schmerz zu verarbeiten, das bewegt mich.»

Michael Feulner lebt seit 23 Jahren in der Türkei. Er hilft christlichen Gemeinden vor Ort dabei, sich miteinander zu vernetzen. Sein Wohnort liegt in der Nähe von Istanbul, fernab des Katastrophenorts. Von dort aus koordiniert er nun Hilfe an verschiedenen Stellen im Krisengebiet. Die Helfer sind Einheimische mit mehrheitlich christlichem Hintergrund. Sie verteilen Essen und Hilfsgüter, errichten provisorische Unterkünfte oder kümmern sich um die Kinder vor Ort. «Wir organisieren kleine Kinderstunden, damit die Kleinsten auch noch etwas anderes sehen als Not und Leid», sagt Feulner. «So entstehen neue Beziehungen und es wächst auch etwas Neues und Gutes durch die Christen vor Ort.»

Die Menschen brauchten vordringlich Unterkünfte. Nicht selten schliefen selbst die Helfer vor Ort im Auto. Andere brächten eigene Zelte mit. Nach und nach entstünden Containerunterkünfte oder Notlager in erhalten gebliebenen leerstehenden Gebäuden. Er sei «furchtbar müde», sagt Feulner. Seit dem Erdbeben arbeitet er von morgens früh bis spät in die Nacht. Den Helfern vor Ort gehe es ähnlich. «Ich habe allergrösste Hochachtung vor allen, die da gerade mit anfassen», sagt er.

Unglück kurz vor den Wahlen

Feulner hat schon in der Vergangenheit Erdbeben in der Türkei miterlebt. Doch keines sei so schlimm gewesen wie dieses: «Das hier hat noch einmal alles in den Schatten gestellt und das auch noch zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt: kurz vor den Wahlen.» Deshalb ist er sich sicher: «Das Erdbeben wird die Türkei verändern.» Viele Türken kritisieren derzeit den Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan dafür, sich nicht verantwortlich um eine bessere Absicherung von Gebäuden und Infrastruktur gegen Erdbeben gekümmert zu haben.

Christen in Deutschland, die vor Ort helfen möchten, rät Feulner nun, sich bei vorhandenen Türkischkenntnissen bereits bestehenden Hilfsaktionen anzuschliessen. Von Sachspenden rät er ab. «Es ist nicht ganz klar, was hier gebraucht wird, und so belasten die Spenden teilweise mehr, als dass sie helfen.» Und er bittet: «Beten kann natürlich jeder.» Damit meint er nicht nur Gebet für eine Versorgung der Bürger. Sondern auch für Frieden im Land und ein Umdenken auf politischer Ebene.

Dieser Artikel erschien zuerst auf PRO Medienmagazin

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Datum: 21.02.2023
Autor: Anna Lutz
Quelle: PRO Medienmagazin

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