«Wir wollen ihnen die Würde zurückgeben»
Nur die wenigsten Frauen prostituieren sich freiwillig, sagt Georges Dubi. Er leitet das Hilfswerk «Christliche Ostmission» (COM). Viele Opfer des Menschenhandels kämen aus Osteuropa. «Ich schätze, dass 80 Prozent dieser Frauen nicht wussten, dass sie in der Prostitution landen werden.»
Opfer sind vor allem oft Frauen und Kinder, die keine Vertrauensperson oder keine Eltern haben; keinen Ort, wo sie sich getragen fühlen. Und dann kommt plötzlich jemand, der sich sehr nett gibt und sagt: «Du kannst etwas erreichen, du bist wertvoll!» Manchmal gibt es sogar in der Zeitung seriös klingende Inserate, die beispielsweise eine Stelle als Kellnerin in Deutschland versprechen.
Manche Frauen möchten auf diese Weise endlich ihre Familie zu unterstützen und bewerben sich. Die Reise ins Ausland geht vielleicht auch gut. Bis sie schliesslich in einem Bordell abgesetzt werden und man ihnen den Pass abnimmt.
Aus der Not heraus
Oft leben die Opfer in wirtschaftlicher Not und sehen keinen Ausweg. Ein Versprechen wie «Du bist noch jung, im Westen kannst du etwas erreichen» erscheinen da als der letzte Hoffnungsschimmer. In anderen Ländern spielt Menschenhändlern die Landflucht in die Hände. Entwurzelte Menschen sind leichtere Beute.
Der äussere Ablauf ist im wesentlich immer derselbe: Die Opfer werden in ein anderes Land geschleust, sie müssen die Pässe abgeben, und die Falle schnappt zu. Dubi: «Diese Mädchen verstehen weder unsere Sprache noch kennen sie ihre Rechte. Sie geraten in die Schuldenfalle, 80 Prozent des Freierlohns geht an den Besitzer. Ein Entrinnen ist kaum mehr möglich.»
Erst im neuen Land erfahren diese Frauen, dass sie sich illegal hier aufhalten. Werden sie erwischt, bringt man sie über die Grenze zurück. Bordellbesitzer und Händler dagegen kommen glimpflich davon. Die COM macht sich deshalb dafür stark, dass die Opfer besser geschützt und Prävention wie Strafverfolgung ausgeweitet werden.
Eine Überflutung
Schuld ist aber auch die Nachfrage. Beatrice Käufeler leitet bei der COM das Projekt gegen Frauen- und Kinderhandel uund spricht von einem Gesellschaftsproblem, das sich weltweit zeige. «Es geht um Sklaverei. Jeder fünfte Mann in der Schweiz war einmal oder mehrfach in einem Bordell. Die entsprechende Nachfrage nach Frauen wird unter anderem mit eingeschleusten Frauen gedeckt.»
Aber es geht nicht nur um die Bordelle. Auch für Pornoseiten im Internet oder für Bilder auf dem Handy werden Frauen ausgebeutet, die in die Fängen der Menschenhändler geraten sind. Viele Konsumenten wissen nicht, dass sie in der Anonymität des Internet per Mausklick direkt diese Machenschaften fördern und zum Missbrauch beitragen.
Diese Bilder sind leicht zugänglich. «Man kann sich ihnen fast nicht entziehen», sagt Käufeler. «Es ist eine Überflutung.» Für Männer sei es schwer, wenn sie oft über anzügliche Fotos stolpern. Da könne es leicht passieren, dass man schwach werde.
Mädchen werden «abgerichtet»
Gehandelte Menschen erleben Schockierendes. Zum Beispiel Alina aus dem Ostblock. Mehrmals täglich fallen Männer über sie her. Mit roher Gewalt vergewaltigen sie das Mädchen immer wieder. «Abrichten» nennen das die Zuhälter. Würde und Wille aller Mädchen brechen so in kürzester Zeit.
Auch Alina kann sich nicht lange wehren. Durch Schläge bis zur Bewusstlosigkeit sinkt ihr Widerstand irgendwann zusammen. «Diese Mädchen funktionieren nur noch», sagt Käufeler. «Die Seele erleide schweren Schaden. Sie sind gefangen und haben massive psychische Probleme – selbst wenn sie den Freier anlächeln.»
Der andere Weg
Fliehen sei schwer. Beatrice Käufeler: «Die „Besitzer“ behaupten, in der Schweiz sei die Polizei korrupt, und sie hätten sie bestochen. Würden sie fliehen, wären sie im Handumdrehen wieder da und es würde noch viel schlimmer. Die Mädchen glauben das.»
Darum klärt die COM in den Herkunftsländern auf, zum Beispiel in Schulen. Oder sie bietet jungen Mädchen ein soziales Umfeld in Familien und Heimen, beides mit einheimischen Partnern. «Damit können sie später einen anderen Weg finden als den in die Ausbeutung. Mit einem intakten Beziehungsnetz, einer guten Perspektive und Geborgenheit ist ihre Zukunft viel sicherer.»
«Wir sagen ihnen auch, worauf sie achten müssen, wenn sie eine Arbeitsstelle im Ausland annehmen», sagt Käufeler. Präventiv arbeitet das Werk aus Worb in Moldawien, Rumänien und in der Ukraine. Opferhilfe leistet die COM in Kambodscha, Mazedonien, Moldawien und in der Ukraine.
Beatrice Käufeler: «Wir tun das alles, um den Opfern ihre Würde zurückzugeben und ihnen eine Zukunftsperspektive zu bieten.»
Das kann man selber tun:
- mit potentiellen Freiern darüber reden, z.B. am Arbeitsplatz
- den Familien- und Bekanntenkreis über das Thema informieren
- Gebetsgruppen bilden oder selber im Gebet einstehen
- aufdecken, was geschieht, und damit an die Öffentlichkeit treten, z.B. über einen Info-Stand
- die Prävention in Osteuropa finanziell unterstützen
- sich für den Opferschutz einsetzen
- die COM kontaktieren: mail@ostmission.ch ; Tel. 031 838 12 12
Seit Herbst 2005 ist die Christliche Ostmission COM Mitglied der Fachgruppe Menschenhandel Schweiz.
Datum: 06.04.2007
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch