Am 15. Dezember wurde in Zürich die neue russische Auferstehungskirche des Moskauer Patriarchats eingeweiht (wir berichteten darüber). Dessen starker Mann, der Leiter des kirchlichen Aussenamtes, Metropolit Kirill Gundjajev, fand den Anlass wichtig genug für seine persönliche Teilnahme. Das Moskauer Patriarchat war in Zürich schon seit 1936 präsent, weit vor seiner 1961 eröffneten Vertretung beim Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) in Genf. Lange musste aber ein Betsaal der recht kleinen Gemeinde dienen – die meisten russischen Emigranten hielten es auch in der Schweiz mit der zarentreuen, vom Patriarchat unabhängigen "Auslandskirche”. Erst das Ende des Kommunismus und der Zustrom "neuer” Russen hat in den letzten Jahren die Patriarchats-Gemeinde gestärkt. Unter ihnen begüterte Geschäftsleute, die sofort die nötigen Mittel zur Verfügung stellten, als die evangelikale Chrischona-Mission ihr bisheriges Gemeindezentrum in Zürich zum Verkauf anbot. Dieses wurde in mehr als einjähriger Arbeit in eine orthodoxe Kirche mit anschliessendem Pfarr- und Gemeindehaus und vor allem einer repräsentativen Vertretung des Moskauer Patriarchats um- und ausgebaut. Nach den Zerwürfnissen des Moskauer Patriarchats mit dem ÖRK dürfte Zürich statt Genf der Mittelpunkt des orthodoxen Russlands in der Schweiz und überhaupt im deutschsprachigen Mitteleuropa werden. Die Anwesenheit des mächtigen Metropoliten von Smolensk und Königsberg, Kirill Gundjajev, an der Seite des für die Schweiz, Frankreich und Italien zuständigen Pariser Erzbischofs Innokenti Vasiljev, hat daran keinen Zweifel gelassen. Schon länger ist Zürich der Ort, wo regelmässig die Gespräche Moskaus mit Konstantinopel über die kirchliche Zukunft der Orthodoxen in Estland, dem übrigen Baltikum, Ungarn und vor allem in der Ukraine geführt werden. Die meisten nicht-russischen Orthodoxen in der ehemaligen Sowjetunion wollen sich heute von Moskau lösen und in ihr Mutterpatriarchat Konstantinopel zurückkehren. Die Aufwertung der Moskauer Präsenz in Zürich dürfte aber auch mit dem dort schon bestehenden Konstantinopler Kirchenzentrum "Haghios Demetrios” und dem Institut "G2W – Glaube in der 2. Welt” zusammenhängen, das eine wichtige Drehscheibe zwischen westlichen und östlichen Christen geworden ist. Ausserdem scheint eigenes Vordringen ins Abendland statt Ökumene mit den abendländischen Christen jetzt überhaupt die Devise der russisch-orthodoxen Kirche zu sein. Ihr nächstes neues Gotteshaus mit einem "Orthodoxen Zentrum" ist für Bern in Aussicht genommen. Aber nicht nur dort, wo evangelische Gemeinden oder katholische Klöster wegen Überalterung oder sonstigem Mitgliederschwund aufgeben müssen – wie jetzt die Zürcher Emmaus-Gemeinde von Chrischona – ziehen die orthodoxen Russen ein. Sie nehmen auch Geistliche, ganze Gruppen und Gemeinden von Westchristen ins Moskauer Patriarchat auf - tun also genau das, was sie Katholiken und Protestanten im heutigen postkommunistischen Russland als "Proselytismus" vorwerfen. Ein Spezialist für die orthodoxe Anwerbung von Katholiken scheint gerade in Italien Erzbischof Innokentij zu sein, der übrigens früher Kirills Stellvertreter am Kirchlichen Aussenamt in Moskau war. Besonderes russisches Interesse in der Schweiz finden die traditionalistischen Gläubigen der "Lefebrianer" im Wallis. Schon wiederholt hatte Moskau Ansätze zur Schaffung einer "abendländischen Orthodoxie" unternommen, und jetzt konzentrieren sich diese Hoffnungen auf ein Zusammengehen mit den katholischen Traditionalisten in der Nachfolge des 1988 von der römisch-katholischen Kirche exkommunzierten französischen Erzbischofs Marcel Lefebvre. Denn – so ein hoher Moskauer Geistlicher – "die tridentinische Messe ist viel orthodoxer als die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils. Dieses hat den Katholizismus überhaupt noch weiter von der Rechtgläubigkeit entfernt!" Immerhin scheint die russisch-orthodoxe Kirche zumindest neben diesen Bestrebungen auch weiter auf die Ökumene zu setzen. Das hat auch die Einladung des Zürcher Generalvikars, Weihbischof Peter Henrici, zum Kirchweihfest mit Metropolit Kirill gezeigt. Und dessen Würdigung in der Festpredigt für den verewigten russischen Erzbischof in Zürich, Serafim Rodionov: Unter diesem war die damalige orthodoxe Kapelle an der Kinkelstrasse auch für viele Katholiken und Reformierte eine zweite kirchliche Heimat geworden. Autor: Heinz GstreinZustrom "neuer" Russen
Gesprächsort Zürich
Orthodoxer "Proselytismus" im Westen
Zusammengehen mit katholischen Traditionalisten?
Weiterhin ökumenische Bestrebungen
Datum: 23.12.2002
Quelle: Kipa