Völkerkundler: Mission zerstört Kulturen nicht, sondern verändert sie – zum Guten

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Lothar Käser
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Immer wieder muss sich christliche Mission den Vorwurf machen lassen, sie zerstöre wertvolle Kulturen. Die Kritiker setzen voraus, dass alle Elemente einer gewachsenen Kultur an sich gut sind. Sie sind im Irrtum: Korrektur ist oft dringend nötig. Dies belegt der in Freiburg im Breisgau lehrende Völkerkundler Prof. Lothar Käser in einem Interview mit der Zeitschrift „Bausteine“.

Bausteine: Herr Prof. Käser, Sie haben sich gegen einen grossen Teil der Ethnologen exponiert, indem Sie der Behauptung, Mission zerstöre Kulturen, energisch entgegen traten. Was war der Anlass dazu?
Prof. Lothar Käser: Meine eigenen Erfahrungen während einer fünfjährigen Tätigkeit als Lehrer und Bibelübersetzer auf einem Atoll in Mikronesien haben mich erkennen lassen, dass Kulturen aus verschiedenen Gründen veränderbare, dabei aber auch sehr stabile Gebilde sind. Sie lassen sich nur zerstören, wenn man die Menschen tötet. Die betreffenden Kulturen ermöglichen ihnen, ihr Leben zu gestalten und ihr Dasein zu meistern.

Mission hat Kulturen nie zerstört. Dagegen hat Mission Kulturen verändert, und zwar nicht schlimmer oder besser, als es die Einführung moderner Technik und Medizin, politischer Prinzipien wie Demokratie oder „Entwicklungshilfe“ tun.

Sie argumentieren, dass Mission Kulturen nicht zerstöre, aber verändere. Was verändert sie?
Eine ganze Menge. Man muss allerdings bedenken, dass grössere Veränderungen erst nach längerer Zeit erkennbar werden. Diese ergeben sich aus neuen Ideen, die Missionen in fremde Gesellschaften einbringen, nicht nur im Bereich der Religion, sondern auch einfach dadurch, dass die Menschen lesen und schreiben lernen und zum Beispiel neue Vorstellungen vom Kosmos und (wissenschaftliche) Verhaltensweisen im Bezug auf Krankheiten und Hygiene entwickeln.

Positiv verändert wurden und werden beispielsweise in afrikanischen Gesellschaften die Haltungen der Menschen zur Beschneidung der Mädchen, die ja eine schwere Verstümmelung mit lebenslangen körperlichen und seelischen Folgen bedeutet, ein Verfahren, das der Schöpfer nicht gewollt haben kann.

Im Bereich der Religion wirkt sich die Einführung des Christentums besonders eindrücklich auf die Vorstellungen von Hexerei aus. Stirbt jemand unerwartet, so verdächtigt man meist jüngere Frauen, als Hexen den unzeitigen Tod verursacht zu haben. Das führt zu enormen Spannungen in Dorfgemeinschaften.

Frauen können sich in solchen Gesellschaften auch Männern gegenüber nicht verweigern, ohne fürchten zu müssen, dass ihre Kinder oder andere Familienmitglieder an einem Todeszauber sterben, den der abgewiesene Mann gegen sie richtet. Das ist eine der Ursachen dafür, dass sich Aids in Afrika so dramatisch verbreitet. Unter Christen verliert sich die Angst vor Hexerei im Lauf der Zeit merklich. Die damit verbundenen Spannungen lösen sich auf.

Eine Kultur kann aber umgekehrt auch das Verständnis des Evangeliums verändern. Können Sie dazu Beispiele nennen?
Noch zur Zeit Jesu waren die Erwartungen der Menschen an das Evangelium stark diesseitsorientiert. Viele begaben sich in seine Nähe und hörten ihm zu, weil sie von einer Krankheit frei werden wollten oder sich von ihm eine soziale und politische Revolution erhofften. Wir Modernen erwarten Heilung von Krankheit nicht in erster Linie vom Evangelium, sondern von der Medizin.

In Missionsländern ist es auch heute noch so, dass man vom Evangelium Hilfen für das Diesseits erwartet. So erscheint der Begriff „Opfer“ im Denken der Menschen vielfach geeignet, Gott ein Geschenk zu machen, das ihn verpflichtet, Segen zu liefern. Und in Gesellschaften, in denen nicht der Vater für ein Kind wichtig ist, sondern der Bruder der Mutter, ist das Konzept von Gott als dem Vater der Menschen nicht sehr aussagekräftig. Daher brauchen solche Gesellschaften eine eigene (indigene) Theologie.

Hat sich die Position der Ethnologen gegenüber der Mission durch Ihr Engagement verändert?
Die Ideen eines Ethnologen, der Christ ist, werden von den Fachkollegen, die es in der Mehrzahl nicht sind, eher mit Misstrauen betrachtet oder ignoriert. Es gibt wohl einige wenige, die meine Ideen nicht nur wahrnehmen, sondern sie auch positiv kommentieren.

Die eigentlichen Wirkungen meiner Bemühungen sehe ich darin, dass Missionen und andere Nicht-Regierungsorganisationen, die in fremden Gesellschaften tätig werden, ethnologische Gesichtspunkte wieder stärker berücksichtigen, wenn sie ihre Arbeit planen, und solche Gesichtspunkte auch in ihre Ausbildungsprogramme übernommen haben.

Im Internet:
www.ebausteine.ch
Lothar Käser an der Uni Freiburg:
www.ethno.uni-freiburg.de/kaeser.html

Quelle: Bausteine/Livenet

Datum: 20.07.2004
Autor: Fritz Imhof

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