Was ist familiäre Erziehung dem Staat wert?
Laut Experten aus Politik und Familienverbänden ist eine veränderte Einstellung zu Kindern notwendig. Mit materiellen Anreizen und mehr Betreuungseinrichtungen sei der Trend nicht zu kehren. Die Vorsitzende der Christdemokraten für das Leben, Mechthild Löhr, sprach gegenüber der Nachrichtenagentur idea von einem «absoluten Scheitern der Familienpolitik». Familien mit mehreren Kindern seien heute durch hohe Steuerbelastungen, geringe Freibeträge, steigende Wohn-, Energie- und Mobilitätskosten sowie durch höheren Raumbedarf überproportional belastet: «Der Verzicht auf Kinder ist also ökonomisch völlig rational.»
Kinderlosigkeit hat Folgen für alle
Nach Ansicht des Familienbundes deutscher Katholiken haben die staatlichen Sparmassnahmen der letzten Jahre «zu einem massiven Vertrauensverlust bei jungen Familien geführt». Der Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb, warnt vor dem Zusammenbruch der Sozialversicherungen. Die Inlandsnachfrage werde wegen fehlender Verbraucher zurückgehen. Ausserdem drohe ein Pflegenotstand. Steeb fordert, die «lebenswichtige Erziehungsarbeit» von Müttern und Vätern zu vergüten, wenn sie sich vollzeitlich um ihren Nachwuchs kümmern – weit über das Kindergartenalter hinaus: «Familiäre Erziehung muss dem Staat genauso viel wert sein Investitions- und Betriebszuschüsse für ausserfamiliäre Kinderbetreuung.»
Dramatisch im Osten
Gemäss den Prognosen der Statistiker wird der Anteil der unter 18-Jährigen im Jahr 2030 auf 15 Prozent und im Jahr 2060 auf 14 Prozent sinken. In Westdeutschland ging die Kinderzahl zwischen 2000 und 2010 um etwa zehn Prozent zurück, in Ostdeutschland um 29 Prozent. In Westdeutschland lebten nach der Erhebung 79 Prozent der Kinder bei ihren verheirateten Eltern. In Ostdeutschland betrug der entsprechende Anteil nur 58 Prozent. 24 Prozent der ostdeutschen Kinder wohnten bei einem alleinerziehenden Elternteil, in der alten Bundesrepublik waren es 15 Prozent. Auch der Anteil der Einzelkinder ist im Osten mit 35 Prozent höher als im Westen (24 Prozent).
Armut strukturell bekämpfen
Das Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung 2010 hat einer Studie der Caritas zufolge die zunehmende soziale Spaltung in Deutschland nicht aufhalten können. Die Bundesregierung habe vor allem punktuell Projekte als Leuchttürme zur Erfüllung der EU-Anforderungen finanziert, kritisierte der Wohlfahrtsverband. Nötig sei aber ein längerfristiger und struktureller Kampf gegen die Armut, forderte Caritasdirektor Frank Hensel.
Reallöhne gesunken
Die Reallöhne in Deutschland sind in den vergangenen Jahren auf breiter Front gesunken. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sanken die realen Nettolöhne pro Stunde zwischen 2005 und 2010 in fast allen Einkommensgruppen um 1,3% - 2,2%. Lediglich in der höchsten von zehn Gehaltsgruppen blieben die Verdienste mit minus 0,1 Prozent nahezu unverändert. Mitte Juli hatte das DIW noch grössere Verluste insbesondere bei Geringverdienern festgestellt.
Sorge um Staatsverschuldung
Die hohe Staatsverschuldung, die durch die Bemühungen zugunsten der überschuldeten Euro-Länder stärker zunimmt, bereitet den Bundesbürgern nach einer repräsentativen «Stern»-Umfrage derzeit die grössten Sorgen. 63 Prozent nannten die Staatsverschuldung, 56 Prozent fürchten, die Renten könnten unsicher sein. Die Sorge, die Kinder könnten keine vernünftige Ausbildung bekommen, wurde dagegen weniger genannt.
Datum: 09.08.2011
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet / epd, idea