Aber nicht alle libanesischen Katholiken freuen sich über den neuerlichen Aufstieg des Generals und Regierungschefs aus den späten Bürgerkriegsjahren 1988 bis 1990: An Aoun zerbricht die bisherige Zusammenarbeit von Christen und Drusen, und das christliche Lager selbst ist jetzt durch seine Person gespalten. Bei Libanons drittem Wahlgang sind zwar die Würfel für eine künftig antisyrische Mehrheit im Parlament von Beirut gefallen. Fast alle 58 Sitze haben sich die Listen des maronitischen Expremiers Michel Aoun oder von Drusenchef Walid Jumblat gesichert. Das brachte nach dem Wahlsieg der prosyrischen Schiiten in Südlibanon vom 5. Juni wieder Erleichterung. Aber Aoun und Jumblat sind untereinander so heillos zerstritten, dass doch wieder die Syrer mit ihren schiitischen und palästinensischen Verbündeten in Libanon die lachenden Dritten bleiben dürften. Jetzt auch ohne Besatzungstruppen. Nach der Ermordung des Sunniten Rafik al-Hariri im Februar war Jumblat unbestrittener Führer aller Gruppierungen, die auf den syrischen Abzug drängten. Der linksprogressive Drusenfürst wurde auch von den antisyrischen christlichen Fraktionen anerkannt, da ihnen ein eigener starker Mann fehlte. Gerade Maroniten-Patriarch Nasrallah Sfeir hatte sich für diese Allianz eingesetzt. Das alles änderte sich aber nach dem Rückzug der Syrer mit der Heimkehr des durch sie 1990 vertriebenen Aoun aus dem französischen Exil. Aoun wollte nicht hinter einem Drusen in die Wahl gehen und gründete seine eigene "Freie Patriotische Strömung". In ihr tat er sich mit vielen bisherigen Kollaborateuren Syriens zusammen. Seine Gruppierung aus legendären Haudegen des Bürgerkriegs hat jetzt am meisten Stimmen gewonnen, wird aber nicht allein in Beirut regieren können. Vor allem hat Aoun aber das zarte Pflänzchen christlich-drusischen Zusammenfindens zertreten. So scheint die Mehrheit der libanesischen Christen bei diesen über vier Sonntage ausgedehnten Parlamentswahlen leider aus der syrischen Besatzungszeit nichts gelernt und sogar die Lehren des schrecklichen Bürgerkrieges von 1975 bis 1990 vergessen zu haben: Die tragische Bilanz dieser Wahlen ist neuerliche christliche Zersplitterung und vor allem wieder Feindschaft mit den Drusen, Anhängern einer islamisch-altorientalischen Mischreligion. Libanons Aufstieg im 18. Jahrhundert war eine Frucht christlich-drusischer Zusammenarbeit, die oft so eng war, dass die Grenzen zwischen beiden Glaubensgemeinschaften durchlässig wurden: Der grosse Emir Baschir Schehab stammte aus einer vom Drusentum zum sunnitischen Islam übergetretenen Familie, er liess sich dann selbst in die katholisch maronitische Kirche aufnehmen. Zusammen mit dem Drusenfürsten Baschir Jumblat legte er die Grundlagen für Libanons neuzeitliche Wiedergeburt und eine nicht an den Islam gebundene Renaissance der arabischen Kultur. Das spätere Zerwürfnis und die undurchsichtige Rolle Schehabs bei Jumblats Ermordung 1825 löste umso tieferen Hass aus. Er entlud sich vor allem bei den Christenmassakern der Drusen von 1860, die sich 120 Jahre später im libanesischen Bürgerkrieg wiederholten. Immer dann, wenn sich beiden religiösen Hauptgruppen Libanons entzweiten, gab es Tod und Verderben. Nun sind zwischen Michel Aoun und Walid Jumblat die Weichen für neues Verderben gestellt. Die grosse Gefahr ist zunächst, dass Libanon unregierbar wird. Dazu kommen alte Bürgerkriegsfronten, die wieder aufbrechen. Nicht nur zwischen Christen und Drusen, sondern auch mitten im christlichen Lager zwischen jenen, die jetzt Aoun oder weiter Jumblat unterstützen. In den siebziger und achtziger Jahren hatten sich die grausamsten Auseinandersetzungen gar nicht zwischen Christen, Moslems und Drusen, sondern innerhalb der Christen und sogar unter den katholischen Maroniten abgespielt: Rivalisierende Politiker rotteten sich gegenseitig die Familien bis zu den Säuglingen in den Wiegen aus! Unvergessen ist auch die Verprügelung und Demütigung von Patriarch Nasrallah Sfeir in seiner Residenz Bkerke hoch über Beirut 1988 durch Aouns Soldateska, weil er sich geweigert hatte, den General als Nachfolger von Präsident Amin Gemayel abzusegnen.Syrer als lachende Dritte
Alte Rivalität: Zartes Pflänzchen zertreten
Zwischen Christen und Drusen
Christliche Selbstzerfleischung
Datum: 18.06.2005
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Kipa