Psychiater glauben kaum an Gott
Sigmund Freud, der Vater der Psychoanalyse, sah in der Religion eine Art universelle Zwangsneurose. Für ihn war Glaube eine kindliche Form der Wirklichkeitsbewältigung. Auch jene, die heute in Freuds Fussstapfen treten, sind dem christlichen Glauben gegenüber skeptisch eingestellt, wie eine Befragung von amerikanischen Medizinern jetzt ergeben hat.
In einer landesweiten Studie zu Glaubensgewohnheiten unter US-Ärzten fanden Wissenschaftler heraus, dass Psychiater die am wenigsten religiösen Ärzte sind. Im Unterschied dazu seien Hausärzte sehr gläubig, schrieb Farr Curlin in der Fachzeitschrift "Psychiatric Services".
39 Prozent aller amerikanischen Ärzte sind Protestanten, 22 Prozent Katholiken. Die Psychiater hingegen kommen laut der Studie weit weniger gläubig daher. Unter ihnen finden sich lediglich 27 Prozent Protestanten und 10 Prozent Katholiken.
Leben mit eigener Regie meistern
Curlin und seine Kollegen stellten ausserdem fest, dass Psychiater nicht sonderlich häufig einen Gottesdienst besuchen, seltener an Gott oder an ein Leben nach dem Tod glauben. Ausserdem würden sie nicht versuchen, ihr Leben dadurch zu meistern, indem sie Gott um "Stärke, Beistand oder Lenkung" ersuchen.Der Glaube wirkt sich auch auf die Behandlung der Patienten aus, stellten die Forscher fest. So überweisen religiöse Ärzte, insbesondere die protestantischen, ihre Patienten seltener zu Psychiatern. Eher schicken sie Patienten mit seelischen Problemen zu einem Pastor oder einem Glaubensberater.
Warum den Psychiatern der Anteil nichtreligiöser so hoch ist, können die Forscher nur vermuten: "Irgendetwas an der Psychiatrie - vielleicht die historische Verbindung zur Psychoanalyse und die anti-religiösen Ansichten der frühen Analytiker wie Sigmund Freud - scheint religiöse Medizinstudenten davon abzuhalten, sich damit zu beschäftigen", sagt Curlin.
Glaube an Gott wird kaum mehr bekämpft
Dr. Tilmann Moser gehört zu den führenden Psychoanalytikern Deutschlands. Viele Jahre war er Dozent für Psychoanalyse und Kriminologie im Rechtsbereich an der Uni Frankfurt. Einige Bücher des Psychoanalytikers, erregten Aufsehen. In seinem Buch „Von der Gottesvergiftung zu einem erträglichen Gott" stellt er klar heraus, dass im Bereich der Psychotherapie heute kaum noch „Religion und der Glaube an Gott nur als neurotische Schiefheilung" angesehen werden.
Umdenken stattgefunden
Psychotherapeuten sollten nicht „prinzipiell Gläubigkeit und Religiosität" ihrer Patienten bekämpfen, sondern ihnen helfen, zu einem geordneten Glauben zurückzufinden. Dabei habe sich der Therapeut glaubensmässig neutral zu verhalten. Moser: „Was der Patient glauben soll oder nicht glauben soll, dies zu entscheiden ist nicht Sache der Therapie." Man wisse heute, dass der Mensch bereits in der frühen Kindheit eine tiefgehende Religiosität entwickle, die Moser die „Fähigkeit zur Andacht" nennt. Frühe Bezugspersonen bestimmten, was in das „Gefäss der Andacht" als Inhalt hineinfliesse. Würden diese kindlichen Andachtsgefühle verletzt oder vergiftet, könnten daraus gravierende Störungen der Persönlichkeitsentwicklung entstehen. Im Bereich der Psychotherapie habe teilweise ein Umdenken stattgefunden, nachdem jahrzehntelang jeglicher Glaube massiv bekämpft worden sei.
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Datum: 02.09.2009
Autor: Bruno Graber
Quelle: Livenet.ch