Die Palimpsest-Forschung ist zwar bereits 180 Jahre alt. Angelo Mai entdeckte 1819 eine Abschrift von Ciceros „De re publica“ unter einem jüngeren Dokument. Doch erst die Computertechnik ermöglicht es, unter alten Handschriften noch ältere zu finden, ohne das bestehende Manuskript zu beschädigen. Der Altphilologe Daniel Deckers von der Uni Hamburg leistet der Nationalbibliothek von Madrid Pionierarbeit. Deckers beleuchtet eine Handschrift mit speziellen Lampen und steuert vom Notebook aus Aufnahmen mit einer digitalen Spezialkamera. Er kann die Aufnahme digital so bearbeiten, dass nur die 50 bis 300 Jahre ältere, untere Handschrift sichtbar wird. Als Beispiel verweist die Zeitung auf ein Manuskript mit einem Ausschnitt aus der Ilias von Homer, datiert aus dem 12. oder 13. Jahrhundert. Dabei handelt es sich um die Oberschrift des Palimpsests. Sie ist in Minuskeln, also griechischen Kleinbuchstaben, verfasst. Darunter liegt die sogenannte Unterschrift, eine Abschrift des 2. Korintherbriefes von Paulus, geschrieben in griechischen Majuskeln, also Grossbuchstaben, und vermutlich aus dem 7. Jahrhundert. Ursprüngliche lagen diese beiden Schriften übereinander. Dank der neuen Technologie der multispektralen digitalen Fotografie, konnten sie voneinander getrennt werden. Die Abbildungen zeigen die beiden Handschriften aus der Biblioteca del Monumento Nazionale di Grottaferrata. Auch die Bibelforschung darf jetzt hoffen, noch auf alte, bisher unbekannte Handschriften zu stossen. Quelle: Livenet/ NZZ am Sonntag
Datum: 08.10.2003
Autor: Fritz Imhof