"Viele der schätzungsweise 50 Milliarden Vögel, die jahreszeitliche Wanderungen durchführen, kehren in aufeinander folgenden Jahren in die gleichen Brut- und Winterreviere, ja sogar zu den gleichen Rastplätzen zurück", schreiben Claudia Mettke-Hofmann und Eberhard Gwinner von der Max-Planck-Forschungsstelle für Ornithologie in Andechs. Inzwischen wisse man, dass dabei neben Sternen-, Sonnen- und Magnetkompass auch die Erfahrung der Vögel eine grosse Rolle spiele. Die zwei Forscher testeten, welche Auswirkungen der Vogelzug auf die kognitiven Fähigkeiten der Tiere hat. Dazu führten sie ein Lernexperiment mit 131 Gartengrasmücken und Samtkopfgrasmücken durch. Die erste Art zieht jeden Herbst von Nord- und Mitteleuropa nach Afrika, die zweite lebt dagegen im Mittelmeerraum und ist ein Standvogel. Bei dem Versuch lernten junge Vögel zwei mit künstlichen Efeu- bzw. Geranienpflanzen dekorierte Räume kennen, von denen nur einer reichlich Nahrung in Form von Insekten und einem Pollen-Zucker-Gemisch enthielt. Nach unterschiedlich langen Zeiträumen wurde dann die Erinnerung der Tiere an die Räume getestet. Bis zu einen Monat später wiesen beide Arten eine ähnlich starke Vorliebe für jenen Raum auf, der während der Lernphase das Futter enthalten hatte. Dann schwand die Erinnerung bei den Standvögeln jedoch, während sie bei den Zugvögeln bis zu einem Jahr später noch vorhanden war. Nach Ansicht der Forscher benötigen die Gartengrasmücken ein derart gutes Gedächtnis, um auf ihrer Tausende von Kilometern weiten Reise die besten Rastplätze sowie das genaue Zielgebiet wiederzufinden. Dagegen könne ein gutes Gedächtnis bei Standvögeln vielleicht sogar von Nachteil sein, wenn es zu Unstimmigkeiten zwischen "altem" Wissen und neuen Fakten komme. Mettke-Hofmann und Gwinner weisen allerdings darauf hin, dass Experimente mit weiteren Art-Paaren nötig seien, um den Einfluss des Lebensstils auf das Gedächtnis zu belegen.
Datum: 25.07.2003
Quelle: pte online