Verändert, um zu verändern

«Papa Bernd» und seine 10'000 Kinder

Bernd Siggelkow (links) mit Steffen Kern beim Podcast «Hoffnungsmensch»
Bernd Siggelkow wuchs selbst in katastrophalen Verhältnissen auf. Doch der Gründer des christlichen Kinder- und Jugendwerks «Arche» erlebte Gottes Eingreifen und gibt heute Hoffnung weiter – und kritisiert das Wegschauen der Politik.

Bernd Siggelkow (61) ist einer der bekanntesten Pastoren Deutschlands. Viele kennen ihn als «Papa Bernd», den Leiter des Kinder- und Jugendwerks «Arche», das er vor 30 Jahren ins Leben rief, um sozial benachteiligte Kinder zu fördern. Regelmässig kommt er in christlichen und säkularen Medien vor, erzählt seine persönliche Geschichte und die seines Hilfswerks. Dabei kritisiert er in letzter Zeit verstärkt, dass Kinder zwar unsere Zukunft sind, selbst aber kaum eine Lobby haben. Kinderarmut bedeutet für ihn, dass viele Kinder nicht wirklich Kind sein dürfen. Dieses Problem macht er jedoch nicht primär am Geld fest; so erklärt er in seinem Buch «Das Verbrechen an unseren Kindern»: «Den Menschen fehlt es nicht in erster Linie an Geld, sondern an Perspektive und Würde.»

Wenn Hoffnung ein Leben umkrempelt

Siggelkow wuchs selbst in schwierigen Verhältnissen im Hamburger Stadtteil St. Pauli auf. Als er sechs war, stand seine Mutter mit zwei Koffern vor ihm und sagte: «Ich gehe jetzt.» Im Podcast «Hoffnungsmensch» erklärt er: «Von dem Tag an gab es nur noch Existenzkampf, keine Liebe mehr. Mein Vater wollte keine Kinder, meine Grossmutter war schwer vom Krebs zerfressen über viele Jahre. Und ich habe dann für die Familie gesorgt, Haushalt gemacht, eingekauft, habe viel meiner Zeit auf der Strasse verbracht und bin sehr an meine Grenzen gekommen.» Der Vater verprügelte ihn, seine Kindheit war geprägt von Angst, Einsamkeit und Gewalt. Öfter wollte er von der Brücke springen, liess es dann aber doch.

Mit 15 konnte er über die Heilsarmee Musikunterricht nehmen. Damals fragte ihn ein Jugendpastor: «Weisst du, dass es jemanden gibt, der dich liebt?» Heute sagt Siggelkow: «In dem Moment wurde mir klar, was mir in meiner Kindheit gefehlt hat. Der sprach von Gott, da hatte ich überhaupt keine Ahnung von. Aber ich wusste, Liebe hat mir gefehlt. […] Und ich habe mich damals entschieden, obwohl ich gar nicht wusste, was es bedeutet, Christ zu werden und etwas für Kinder zu tun, damit sie nicht so aufwachsen müssen wie ich.» Bis dahin vergingen noch Jahre, doch Siggelkow machte eine kaufmännische Ausbildung, studierte dann Theologie, arbeitete zunächst in Lörrach als Pastor und wechselte dann nach Marzahn-Hellersdorf in Berlin. Dort sah er viel Elend, gerade bei Kindern, wurde von ihnen auf der Strasse angesprochen: «Willst du nicht mein Vater sein?»

Die «Arche» als Rettungsanker

Diese Begegnungen waren die Initialzündung der Arche. Zusammen mit seiner Frau startete Siggelkow die Arbeit im eigenen Wohnzimmer. 20 Kinder kamen, hauptsächlich aus Familien mit nur einem Elternteil. Sie hatten Schwierigkeiten in der Familie, in der Schule und sie mussten mittags hungern. All das fing das Ehepaar auf. Die Arbeit wuchs und der Bedarf ebenfalls. Heute bietet das Hilfswerk, das aus den Anfängen entstand, kostenlose Mahlzeiten und Kleiderkammern, Freizeitangebote und Schulbetreuung, Feriencamps und Lernförderung. All das findet an 34 Standorten deutschlandweit und sogar in der Schweiz, in Polen oder Afrika statt und erreicht jeden Tag rund 10'000 Kinder und Jugendliche. Siggelkow musste bereits Kinder aus seinen Einrichtungen beerdigen, aber in erster Linie erfahren sie hier, dass sie geliebt und gewollt sind, und sie entwickeln Hoffnung und eine Zukunftsperspektive. Es ist kein Zufall, dass etliche der Sozialarbeiterinnen und Pädagogen der Arche selbst einmal als Kinder dort Hilfe bekamen. Das Modell gelebter Nächstenliebe wirkt ansteckend.

Gegen kalkuliertes Armutsrisiko

Steffen Kern spricht Siggelkow im Podcast darauf an, dass er ihn in den letzten Jahren angriffiger als früher erlebe und fragt nach: «Geht es nicht eine Nummer kleiner? Begehen wir wirklich Verbrechen an unseren Kindern?» Der Leiter der Arche kontert und benennt Themen, die im Argen liegen: Die Kinderarmut wachse. Eine normale Teilhabe an Schule und Ausbildung sei schwieriger. In Deutschland blieben Jahr für Jahr rund 50'000 junge Menschen ohne Schulabschluss – während gleichzeitig mit immensem finanziellen Aufwand 60'000 Fachkräfte aus dem Ausland geworben würden. Er nennt das sogenannte «Bildungs- und Teilhabepaket», nachdem Bürgergeldempfänger für ihr Kind bis zu 150 Euro im Jahr für Nachhilfe abrufen könnten. Das reiche für vielleicht 15 Nachhilfestunden, aber für keinen Kurswechsel. All das zusammen bezeichnet Siggelkow als «unterlassene Hilfeleistung» – und die «ist eine Straftat». Tatsächlich bemängelt er in letzter Zeit lauter die politischen Missstände, «weil Kinder keine Lobby haben» und im Denken von Politikern nur erschreckend wenig Raum einnähmen. Siggelkow möchte das Armutsrisiko weder kalkulieren noch verwalten, er will als Visionär «wenn es heute eine Krise gibt, […] morgen die Antwort haben».

Die Hoffnung bleibt

Die politische Landschaft scheint sich kaum positiv weiterzuentwickeln. Doch trotz aller Herausforderungen bleibt der 61-Jährige hoffnungsvoll: «Die Arche ist ein gutes Beispiel für Hoffnung.» Sie habe bereits vielen Menschen eine Zukunft ermöglicht und Leben verändert. Wenn Bernd Siggelkow an diese Geschichten denkt, dann «macht mir das Mut»!

Das ausführliche Gespräch zwischen Steffen Kern und Bernd Siggelkow findest du beim Podcast «Hoffnungsmensch».

Zum Thema:
Studie der Bertelsmann Stiftung: «Mit Geld, Gebeten und Worten um unsere Kinder kämpfen» 
Arche-Leiter Bernd Siggelkow: «Eltern verzichten für ihre Kinder auf Essen»
«Arche»-Gründer Siggelkow: «Jedes Kind aus dem Blickwinkel Gottes sehen» 

Datum: 29.09.2025
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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