Bundesrat soll sich aktiv für humanitäre Hilfe einsetzen
Während diese Woche wieder erste Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen gelangt sind, schränkt die israelische Regierung weiterhin die lebensnotwendige Versorgung der Zivilbevölkerung ein. Die aktuellen Transporte reichen bei weitem nicht aus, um die 2,1 Millionen Menschen zu versorgen. Gleichzeitig führt die israelische Armee ihre Anfang Woche gestartete Bodenoffensive fort, fliegt Luftangriffe im dicht besiedelten Küstenstreifen und drängt die Zivilbevölkerung in zunehmend kleineren Gebieten zusammen. Humanitäre Einrichtungen oder Konvois werden immer wieder angegriffen. Die Situation der Zivilbevölkerung hat ein katastrophales Ausmass angenommen – das erfordert dringend ein entschiedenes und international koordiniertes Vorgehen, heisst es in der gemeinsamen Erklärung Schweizer Entwicklungsorganisationen.
Laut dem israelischen Plan sollen die Hilfsgüter ausschliesslich an vier «Hubs» im Süden des Gazastreifens und unter der alleinigen Kontrolle Israels verteilt werden. Die notleidenden Menschen müssten durch umkämpftes, ungesichertes und zerstörtes Gebiet gehen, um dorthin zu gelangen. Die Versorgung würde stark eingeschränkt und wäre nur für jene zugänglich, die sich einer Sicherheitsprüfung durch die israelische Armee unterziehen würden. Private Sicherheitskräfte sollen unabhängige humanitäre Organisationen ersetzen. Dies würde fundamental dem völkerrechtlichen Neutralitätsprinzip der humanitären Hilfe widersprechen und verknüpft Nothilfe mit politischen und militärischen Zielen.
Gemeinsame Erklärung diverser NGOs
Caritas Schweiz, HEKS, Helvetas, Terre des hommes, Swissaid und Alliance Sud rufen den Bundesrat dazu auf, sich für den sofortigen und uneingeschränkten Zugang zu humanitärer Hilfe für die notleidende Zivilbevölkerung und die Respektierung des humanitären Völkerrechts einzusetzen, und zwar auf verschiedenen Ebenen (wortwörtlich wiedergegeben):
• «Die Schweiz muss sich der von über 20 Staaten unterzeichneten gemeinsamen Geber-Erklärung zur humanitären Hilfe für Gaza anschliessen. In dieser Erklärung fordern die Aussenministerinnen und Aussenminister der unterzeichnenden Staaten – darunter Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Australien und Kanada – Israel dazu auf, 'die sofortige vollständige Wiederaufnahme der Hilfe für Gaza zu ermöglichen und es den Vereinten Nationen und humanitären Organisationen zu ermöglichen, unabhängig und unparteiisch zu arbeiten, um Leben zu retten, Leiden zu verringern und die Würde zu wahren'.
• Der Bundesrat hat diese Woche seine Besorgnis über die Situation im Gazastreifen zum Ausdruck gebracht. Sich lediglich besorgt zu zeigen, reicht allerdings nicht. Der Bundesrat muss sich gegenüber Israel mit Nachdruck für den ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe einsetzen und sich der zu beobachtenden Erosion humanitärer Prinzipien entschieden entgegensetzen – auf allen politischen und diplomatischen Kanälen.
• Der Bundesrat muss darauf hinwirken, dass die humanitären Prinzipien uneingeschränkt respektiert und geschützt werden. Damit grundlegende Prinzipien der humanitären Hilfe wie Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit gewahrt werden können, braucht es unabhängige Organisationen. Das ist mit der neuen Gaza Humanitarian Foundation, die in Genf ansässig ist, nicht gewährleistet. Die Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen muss sich entschieden von jeglichen Versuchen distanzieren, humanitäre Hilfe für politische und militärische Ziele zu instrumentalisieren.
• Der Bundesrat muss alles in seiner Macht Stehende tun, um die Gewalt und die fortschreitende Zerstörung zu beenden. Die Schweiz soll sich entschieden für einen sofortigen Waffenstillstand, den Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza und der Westbank sowie die Freilassung der zivilen israelischen Geiseln einsetzen.»
«Wer das Leben achtet, tut es immer»
In ihrer Stellungnahme spricht sich die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) «für das Leben und gegen die Logik der Gewalt» aus. «Der Krieg, der auf den Terroranschlag vom 7. Oktober 2023 folgte, hat inzwischen zu einer humanitären Lage geführt, die nicht anders als katastrophal bezeichnet werden kann. Täglich sterben Menschen – auf beiden Seiten der Grenze, aber in dramatisch unterschiedlichem Ausmass», schreibt die EKS in ihrer Medienmitteilung.
«Als Kirche treten wir jenseits von geostrategischen Fragen auf: Aber wir nehmen Partei für das Leben. Und gegen die Logik der Gewalt. Die Unantastbarkeit menschlichen Lebens ist der Kern unseres Glaubens. Sie ist kein einseitiges Bekenntnis, sondern gilt universell. Wer das Leben achtet, tut es immer. Oder gar nicht.»
Die Kirche trauere um alle Opfer, um die israelischen Geiseln und Getöteten vom 7. Oktober sowie um die palästinensischen Zivilistinnen und Zivilisten, die seither in unvorstellbarem Ausmass ihr Leben verloren haben. Die EKS fordert umfassenden humanitären Zugang für die Zivilbevölkerung und erinnert an die Gültigkeit und Verbindlichkeit des humanitären Völkerrechts. Zudem bete sie für eine Lösung, die nicht auf dem Sieg einer Seite, sondern auf Gerechtigkeit und Sicherheit für beide Völker beruhe.
«Wir glauben: Wer um das Leben weint, braucht keine Loyalitätserklärungen. Sondern Mitgefühl. Und Mut zur Wahrheit. Als Christinnen und Christen glauben wir an die Kraft der Versöhnung; dass Versöhnung mit der Wahrheit und Wahrheit mit dem Hinschauen beginnt», so die EKS, weil Menschlichkeit keine Seite kenne.
Mit grossem Ernst für Frieden beten
Auch die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) ist zutiefst besorgt über die katastrophale humanitäre Lage im Gazastreifen. Sie schliesst sich dem eindringlichen Appell von Papst Leo XIV. an. Die dringend benötigte humanitäre Hilfe müsse rasch zu den notleidenden Menschen gelangen.
Die Bischöfe rufen die Politik und die gesamte Staatengemeinschaft dazu auf, ihre politische und menschliche Verantwortung wahrzunehmen, die internationalen Übereinkünfte einzuhalten sowie die Gläubigen, mit grossem Ernst für den Frieden unter den Völkern zu beten.
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Datum: 28.05.2025
Quelle:
APD