Heute sei in der Paartherapie alles viel komplizierter, befindet die Autorin Franziska K. Müller. Der Spannungsbogen an Problemen, die auf den Sofas der Paartherapeuten ausgetragen werden, reiche von der einfachen Neurose über phobische Ängste bis zur multiplen Persönlichkeitsstörung. „Die gängigsten Probleme“ seien allerdings immer noch „so alt wie die Zweierbeziehung selbst. Der Zürcher Psychiater und Paartherapeut Jürg Willi eruierte diese anhand der Aussagen von 400 Probanden: Die Männer beklagen bei den Frauen Quengelei, überbordende Emotionalität, Kontrollsucht, Vereinnahmung, Rechthaberei oder mangelnde Mütterlichkeit. Frauen werfen den Männern Faulheit im Haushalt, Unnahbarkeit, verbale Verstocktheit, Unaufmerksamkeit, Egozentrik sowie Unehrlichkeit an den Kopf. Und anstelle von Zärtlichkeiten wollten sie immer nur Sex.“ Es sei jedoch nicht einfach, die Probleme aus dem Weg zu räumen, und eine Therapiedauer von ein bis zwei Jahren sei normal, sagt der Berner Psychologieprofessor Klaus Grawe. Er beurteilt viele Therapien – wie die der Freud-Schüler Alfred Adler und Carl Gustav Jung – als „weitgehend nutzlos“. Auch sei das Angebot in der Schweiz sehr einseitig. Alle Angebote änderten jedenfalls nichts an der Tatsache, dass die Schweiz mit 51 Prozent (2001) die höchste Scheidungsrate in Europa aufweise. Trotzdem ist es nicht einfach, den Erfolg zu messen. In einer aktuellen Studie, mit der 96 Paare erfasst wurden, leben heute 51 Paare zusammen, 45 getrennt, davon 24 geschieden. Verhaltens-therapeutische Interventionen, welche die Kommunikation zwischen den Partnern zu verbessern suchen, wirkten am besten. Dennoch: Rund der Hälfte der Paare, die eine solche Beratung beanspruchten, ging es längerfristig nicht besser, wie ausländische Studien zeigen. Nur in vier von zehn Fällen wurde eine relevante Besserung festgestellt. Die Untersuchungen beinhalten einen kleinen Trost für die Therapeuten. Die Weltwoche: „Sie predigen seit Jahrzehnten, dass Trennung und Scheidung sinnvolle Konsequenzen der Paartherapie sind. Doch die Kundschaft will das nicht einsehen. Im Gegensatz zu den siebziger Jahren, als es schick war, sich zu trennen, wollen die Paare heute in den meisten Fällen zusammenbleiben.“ Der SPV-Therapeut Theodor Itten beziffert die Zahl der Trennungswilligen bei Therapiebeginn auf zehn Prozent. Sogar nur fünf Prozent der Paare, die Professor Jürg Willi befragte, sahen in der Therapie einen ersten Schritt in Richtung Scheidung oder Trennung. Trotzdem werten Paartherapeuten auch Trennungen als erfolgreiches Therapieergebnis. Viele Fachleute stellen heute fest: Wenn die Liebe erlischt, löst sich eine Paarbeziehung in der Regel auf. Was können die Therapeuten noch tun? Guy Bodenmann, Paarforscher und Direktor des Instituts für Familienforschung und -beratung in Freiburg, hat deshalb eine Präventivtherapie entwickelt: Sein Konzept basiert auf der Erkenntnis, dass weder Persönlichkeitsmerkmale wie Intelligenz oder Status noch das Ausmass an Problemen das Glück oder Unglück von Paaren ausmachen, sondern die Art und Weise, wie sie mit Problemen umgehen. Verhaltensstrategien sollen für ein dauerhaftes Glück sorgen. Die Untersuchungen zu diesem Freiburger Stresspräventionstraining für Paare lieferten jedenfalls positive Ergebnisse.Höchste Scheidungsrate in Europa
Datum: 20.10.2003
Autor: Fritz Imhof
Quelle: SSF