Was machen christliche Schulen anders als staatliche?

Schüler
Pausenplatz
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In der Christlichen Schule in Kiel geht es zu wie überall an Schulen. Morgens, wenn es zum Einlass klingelt, drängeln, kichern und albern die Schüler vor der Tür. Es gibt Projektwochen, Förderunterricht und Schüler, die ihre Hausaufgaben vergessen. Und doch sieht man einen Unterschied. Regina Baumgart, Lehrerin der achten Klasse, liest zum Beispiel jeden Tag ein Kapitel aus “Bleib cool Teen” vor. Ein Buchtitel, der nicht vermuten lässt, dass Geschichten von König David darin zu lesen sind. Einige Schüler schlagen ihre Bibel auf, um den Andachtstext mitzulesen. Bei der anschliessenden Gebetsgemeinschaft wird für die kranken Klassenkameraden gebetet, und einer bittet für das Gelingen der Biologie-Arbeit.

Landesregierung zeigt kein Interesse

Die christliche Schule ist die einzige ihrer Art in Schleswig-Holstein. Bundesweit hat das Bundesland am wenigsten Privatschulen. Das hängt vor allem mit der ablehnenden Haltung der rot-grünen Landesregierung zusammen. Sie hat kein Interesse daran, dass das Angebot an Privatschulen ausgebaut wird. “Es interessiert sich keiner für uns”, klagt Schulleiter Heiko Gessner. Zum Realschultag wurde man nicht eingeladen, Absolventen des Lehramtstudiums können an der Schule kein Referendariat machen, auch der Leserechtschreibschwächetest werde nicht anerkannt. Zwar wolle das Schulamt jedes Jahr Stundenpläne, Schülerzahlen und einen pädagogischen Bericht sehen, aber was tatsächlich gelehrt wird, werde gar nicht kontrolliert. Noch nie sei die Schulrätin zur Hospitation dagewesen.

Sein Referendariat machte Gessner noch an einer staatlichen Schule, merkte aber schnell, dass er nicht “als christlicher Einzelkämpfer an einer staatlichen Schule” arbeiten wollte. Dreimal in der Woche treffen sich die Lehrer in Kiel zu einer Andacht, beten füreinander und für ihre Schüler.

Staatliche Lehrer könnten viel entdecken

Für staatliche Lehrer gäbe es sicherlich manches zu entdecken, etwa in der achten Klasse. Auf dem Lehrplan steht die Verfolgung der Hugenotten unter König Ludwig XIV. Die Schüler sollen ein Arbeitsblatt auswerten und berichten nacheinander, wie Soldaten als gestiefelte Missionare versuchten, die Zwangsbekehrung von Protestanten zu Katholiken durchzusetzen. Es ist ungewöhnlich still, stets redet nur einer. Kaugummi kauen, Essen und Trinken sind während des Unterrichts verboten; wer etwas sagen möchte, muss sich vorher melden. Legt jemand den Kopf auf der Schulbank ab, wird er aufgefordert, sich wieder aufrecht hinzusetzen. Jedes Störmanöver wird sofort unterbunden. 15 Jahre unterrichtete Lehrerin Baumgart an einer Schule in der DDR. Im Revolutionsjahr 1989 flüchtete sie mit ihrer Familie, ein Jahr später wurde sie Christin. Sie ist eine entschlossene, strenge Frau. “Redet lauter”, fordert sie ihre Schüler immer wieder auf.

Spende eines Privatmannes

Die Christliche Schule Kiel ist eine junge Schule. Es gibt sechs Grund- und fünf Realschulklassen, im nächsten Jahr wird erstmals eine Klasse ihren Abschluss machen – es ist der Gründungsjahrgang, der 1994 eingeschult wurde. Grund- und Realschüler lernen unter einem Dach, die jüngsten haben ihren Klassenraum neben den ältesten. Die Schule befindet sich in einer ehemaligen Fachhochschule, die ein Privatmann gekauft hat und der Christlichen Schule zur Verfügung stellte. Viele Räume stehen noch leer und werden nach Bedarf renoviert und ausgebaut. Das Lehrerzimmer wurde erst vor kurzem bezogen, es riecht nach Farbe, die Regale sind halbleer. Alle duzen sich. Schulleiter Gessner liest seinen Kollegen aus dem Buch “Ich brech zusammen. Gebete für Arbeitstiere” vor. Es wird gescherzt und gelacht. “Das richtige Buch für Lehrer”, meint jemand.

Ein Lehrer zum Verlieben

Den Musikunterricht hat an der Realschule Sebastien Chantry übernommen. Studiert hat er Biologie und Französisch, lehrt aber auch Mathematik und – wie jeder Lehrer an der Christlichen Schule – Biblische Unterweisung. Und eben Musik. Chantry ist ein fröhlicher Mann. Er trägt einen Irokesenhaarschnitt und zwei Ohrringe und wie die meisten seiner Schüler Turnschuhe. Der feine Akzent erinnert an seine französische Heimat. Als er etwas vergessen hat, sagt er einfach: “Ich bin Ausländer, vergebt mir!” Am Wochenende gibt er manchmal Nachhilfeunterricht. Er ist ein Lehrer zum Verlieben.

Zur Einstimmung singt er mit seinen Schülern “Sei willkommen, Herr”. Chantry begleitet auf der Gitarre und spielt mit einer Begeisterung, als würde er vor 50.000 Leuten im Berliner Olympiastadion stehen. Die Klasse 7 singt schüchtern und leidenschaftslos mit. An den Wänden des Raumes hängen Poster von Popstars aus der “Bravo”. Aber die werden nicht behandelt, stattdessen hören die Schüler die “Brandenburgischen Konzerte” von Johann Sebastian Bach. Die Schüler sollen die Instrumente nennen, die sie heraushören: Flöte, Geige, Kontrabass und Trompete.

Wer eine christliche Schule gründen will, braucht nicht nur Lehrer und ein Schulhaus, sondern auch eine grosse Portion Gottvertrauen. Zwei Monate vor Unterrichtsbeginn stellte Regina Baumgart bei einem Elternabend die Realschule vor. “Da wusste ich noch nicht einmal, in welchem Haus wir arbeiten werden”, erinnert sie sich. Schulstart war schliesslich in einem Gemeindehaus, später wurden freie Räume einer anderen Schule genutzt. In dem neuen Schulhaus lernen inzwischen 210 Schüler, bis zu 1.000 Schüler würden Platz finden. “Wenn es dann zu eng wird, bauen wir einfach an”, träumt Schulleiter Gessner.

50.000 Euro pro Klasse

Eine Klasse kostet etwa 50.000 Euro im Jahr. Vier Jahre muss der Schulbetrieb laufen, bevor das Land sich an den Kosten beteiligt. Weil jedes Jahr neben den schon bestehenden eine weitere Klasse an den Start geht, müssen über diesen Zeitraum insgesamt zehn Klassen finanziert werden. Insgesamt müssen also 500.000 Euro investiert werden. Obwohl Grund- und Realschule bereits existieren, muss diese Summe erneut angespart werden, damit im Schuljahr 2004/2005 die geplante Hauptschule gegründet werden kann. Erst nach Ablauf der vier Jahre beteiligt sich das Land zu 80 Prozentan den Kosten, der Rest muss durch Schuldgeld (pro Monat 100 Euro an der Grund-, 125 Euro an der Realschule) und Spenden finanziert werden.

Viele Kinder müssen abgewiesen werden

Die Schule könnte schneller wachsen, wenn mehr Geld zur Verfügung stünde. Die Zahl der Anmeldungen liegt über den finanzierten Plätzen, so dass viele Kinder abgelehnt werden müssen. In der vierten Klasse wird gerade das Umrechnen von Liter in Milliliter geübt. Auf den Fensterbrettern stehen Messkrüge; so weiss jeder schnell, wie gross wohl ein Liter Wasser ist. Nach der Kontrolle geht es in das Computerkabinett. Eigentlich gehört es der Realschule, aber die Grundschüler dürfen es mitnutzen. Schulleiter Gessner hebt einen Arm über den Kopf und legt den Zeigefinger der anderen Hand auf den Mund. Das Zeichen für Ruhe. Als alles still ist, geht die Klasse durch das Treppenhaus. Aber nach wenigen Metern auf dem Flur lärmen und trampeln die Schüler dann doch wieder. “In der vierten Klasse ist mit dem Leise-Zeichen nicht mehr viel los”, sagt Gessner.

Es gibt kaum Prügeleien

Wozu braucht Kiel eine christliche Schule? “Es werden immer Werte vermittelt, ob man es will oder nicht”, sagt Gessner. Die staatlichen Schulen seien oft orientierungslos, weil die Lehrer selbst nicht wüssten, woran sie glauben sollten. An der christlichen Schule seien gelebte Werte vor allem Gemeinschaft, Freundlichkeit und Achtung des anderen. Ein Schüler erklärt die Vorzüge der Christlichen Schule so: “Es gibt kaum Prügeleien, keiner wird bedroht, und die Lehrer nehmen auch zum Glauben Stellung - das gibt es an anderen Schulen nicht.”

Dennoch gibt es auch Enttäuschungen. Die Noten sind nicht besser als an den staatlichen Schulen, und Sitzenbleiber gibt es auch. Regina Baumgart hatte erwartet, dass sich das gute Arbeitsklima positiv auf die Leistung auswirkt. Es ist eben wie an anderen Schulen auch. “Die Schüler haben einfach keine Lust zu lernen.”

Datum: 03.03.2003
Quelle: idea Deutschland

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