Gottes geniales Geschöpf
Während ich am Vorbereiten für den Muttertagsgottesdienst bin, finde ich eine Geschichte wieder, die mir einmal eine Freundin gegeben hat. Leider weiss ich nicht, wer sie geschrieben hat. Und diese Geschichte möchte ich Ihnen heute mitgeben:
Als der liebe Gott die Mutter schuf, machte er bereits den sechsten Tag Überstunden. Da erschien ein Erzengel, schaute eine Weile zu und sagte: «Lieber Gott, Du bastelst schon lange an dieser Figur!» Und Gott sprach: «Hast Du die vielen Wünsche auf der Bestellung gesehen? Sie soll pflegeleicht, aber nicht aus Plastik sein. Sie soll Nerven wie Drahtseile haben, einen Schoss, auf dem einige Kinder gleichzeitig sitzen können. Ihr Trost soll alles heilen, von der Beule bis zum Seelenschmerz. Sie soll sechs Paar Hände haben…»
Da schüttelte der Erzengel den Kopf und meinte: «Sechs Paar Hände, das geht nicht.» Der liebe Gott antwortete: «Die sechs Paar Hände machen mir keine Sorgen. Aber die drei Paar Augen, die sie haben muss.» Wieder fragte der Erzengel: «Gehören die denn zum Standardmodell?» Und der liebe Gott nickte: «Ein Paar Augen, das durch geschlossene Türen blickt, während sie fragt: 'Was macht ihr denn da drüben?' – obwohl sie es längst weiss. Ein weiteres Paar im Hinterkopf, mit dem sie sieht, was sie nicht sehen soll, aber wissen muss. Und natürlich noch zwei Augen vorn, aus denen sie ein Kind ansehen kann, das sich unmöglich benimmt. Zu dem sie aber sagt: 'Ich verstehe Dich und hab Dich sehr lieb!' – ohne dass sie ein einziges Wort spricht.»
«O Herr!», sagte der Erzengel, «geh jetzt schlafen. Mach morgen weiter!» Doch Gott erwiderte: «Ich kann nicht, denn ich bin nahe daran, etwas zu schaffen, das mir ähnlich ist».
Der Erzengel ging um das Modell der Mutter herum, betrachtete es genau und seufzte: «Viel zu weich.» Gott sprach: «Aber sehr zäh! Du glaubst gar nicht, was sie alles leisten und aushalten kann!» Da beugte sich der Erzengel vor und fuhr mit einem Finger über Augen und Wangen. Dann rief er: «Da ist ein Leck! Da läuft was aus!» Gott erklärte: «Das ist keine undichte Stelle. Das ist eine Träne. Sie fliesst bei Freude, Trauer oder Enttäuschung. Die Tränen sind das Überlaufventil!» Der Erzengel voller Bewunderung: «Lieber Gott, Du bist ein Genie!» Und Gott lächelte versonnen und sprach: «Ich weiss. Und darum ist mir eine gute Mutter so ähnlich.»
Liebe Leserin, lieber Leser, ist es nicht eine geniale Schöpfungstat Gottes. Da können wir nur sagen: «Siehe, sie ist sehr gut».
Zur Autorin
Christine Bürk ist Pfarrerin der evang.-ref. Landeskirche in Rupperswil/AG.
Datum: 11.05.2014
Autor: Christine Bürk
Quelle: Sonntagsblatt des «Berner Oberländer»