Hoffnungsbarometer von «swissfuture»

Ein Hoffnungsschimmer am Gesellschafts-Horizont

Hoffnungsschimmer am Horizont
Mit Krieg, Klimakatastrophe und anderen Krisen ist die Weltbevölkerung zurzeit gebeutelt. Als Pendant zum Sorgenbarometer erstellt «swissfuture» seit 2009 jährlich Hoffnungsbarometer. Der Jetzige zeichnet ein recht genaues gesellschaftliches Abbild.

Interessante Aspekte wie etwa, dass bei religiösen Menschen stärkere Hoffnungswerte als bei Areligiösen zu finden sind oder dass das genaue Gegenteil von Hoffnung die Kapitulation sei, finden sich in der Studie. Sie berichtet auch über Spannung und Diskrepanz zwischen dem Individuum mit seinen Bedürfnissen und Ängsten gegenüber dem sozial-gesellschaftlichen Kollektiv; oder über die Wichtigkeit der persönlichen Haltung von Vertrauen oder Misstrauen, wobei es in naher Zukunft eher Richtung Misstrauen gehen dürfte.

Beginnend in der Schweiz, wird die Umfrage in Zusammenarbeit mit renommierten Universitäten mittlerweile in Ländern wie Kolumbien, Australien, Indien, Israel, Nigeria oder Polen durchgeführt.

Livenet war im Austausch mit dem Zukunftsforscher Andreas Krafft, Co-Präsident und Co-Geschäftsführer von «swissfuture».

Andreas Krafft

Was ist betreffend des aktuellen Hoffnungsbarometers auffällig?
Andreas Krafft:
 Der Schwerpunkt des diesjährigen Hoffnungsbarometers lag auf den langfristigen Zukunftsperspektiven und -wünschen der Bevölkerung. Aufgrund der negativen Ereignisse der letzten Jahre – Pandemie, Krieg, Preisanstieg – geht eine Mehrheit der Menschen in der Schweiz von einer kontinuierlichen Verschlechterung der Lebensqualität aus. Die Menschen befürchten vor allem eine zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, mehr Kriminalität und Gewalt, eine Verschlechterung der mentalen Gesundheit der Bevölkerung sowie weitere Umweltprobleme. Dagegen wünscht sich eine Mehrheit der Bevölkerung eine grünere und harmonischere Gesellschaft, in der der Schwerpunkt auf Zusammenhalt, Gemeinschaft und Familie gelegt wird.

Wo waren sie überrascht?
Grosse Überraschungen gab es dieses Jahr nicht. Allerdings wird wieder deutlich, wie wichtig Hoffnung in Krisensituationen ist. Das Hoffnungsbarometer 2023 zeigt, dass die meisten Menschen auch in schwierigen Zeiten hoffen können. Besonders im deutschsprachigen Raum herrscht teilweise eine falsche Vorstellung darüber, was Hoffnung bedeutet, wie Hoffnung funktioniert und welche Bedeutung Hoffnung für das Leben und die Entwicklung von Menschen hat. Häufig wird Hoffnung mit Ohnmacht, Hilfs- und Antriebslosigkeit, Fatalismus oder Niedergeschlagenheit verbunden. Wenn nichts mehr getan werden kann und alles verloren zu sein scheint, bleibt nichts anderes übrig als zu hoffen. Dabei ist Hoffnung genau das Gegenteil von Kapitulation. Hilfs- und Antriebslosigkeit sind ein Zeichen von Hoffnungslosigkeit anstatt von Hoffnung. Vielmehr ist Hoffnung die Voraussetzung für jede Art von Handlung. Sobald wir die Hoffnung aufgeben, hören wir auf, uns für eine Sache zu engagieren.

Das falsche Verständnis von Hoffnung kommt häufig vor, weil Hoffnung mit Wunschdenken (auf Englisch «wishful thinking») oder auch mit blindem Optimismus verwechselt wird. Zudem haben Menschen häufig Angst, zu hoffen, weil Hoffen immer mit möglichen Enttäuschungen verbunden ist. Wünsche sind immer ein zentraler Bestandteil von Hoffnung. Menschen hoffen vor allem dann, wenn sie einen Herzenswunsch haben, d.h. wenn sie einen Wunsch beherzigen, der von besonderer Bedeutung für sie ist: In Zeiten des Krieges hoffen Menschen auf Frieden und in Zeiten der Pandemie hoffen sie auf Gesundheit. Nebst dem Wunsch ist auch die Unsicherheit ein wesentlicher Bestandteil von Hoffnung.

Gerade das Bewusstsein über den Ernst der Lage ist ein essenzieller Aspekt der Hoffnung. Würde die Verwirklichung unserer Wünsche nicht unsicher sein, gäbe es keinen Grund zur Hoffnung. Dank der Hoffnung setzen sich Menschen in unsicheren Situationen für ihre Wünsche und Ideale ein und engagieren sich für ihre Verwirklichung.

Was sind die «Big Points», die jahrelang festbleiben?
Sowohl die persönlichen Hoffnungen als auch die Quellen von Hoffnung bleiben von Jahr zu Jahr verblüffend konstant. Die wesentlichen persönlichen Hoffnungen der Bevölkerung beziehen sich auf:

  • eine gute persönliche Gesundheit
  • ein harmonisches und ausgewogenes Leben
  • gute soziale Beziehungen zur Familie und zu Freunden sowie auf eine sinnvolle Aufgabe im Leben.

Die bedeutsamsten Quellen von Hoffnung finden die meisten Menschen in der Beziehung zur Natur, in guten sozialen Beziehungen, in den persönlichen Fähigkeiten und Motivation sowie in Erfahrungen gegenseitiger Hilfsbereitschaft. Tragende Säulen der Hoffnung sind der Wunsch nach einer besseren Zukunft, der Glaube darin, dass diese zwar nicht unbedingt wahrscheinlich aber doch möglich ist, und das Vertrauen in sich und andere Menschen. Auch wenn relativ wenige Menschen an eine Höhere Macht glauben, die ihre Gebete erhört und ihre Wünsche erfüllt, berichten Menschen mit einer stärkeren Religiosität über signifikant höhere Hoffnungswerte.

Wie sehen Sie aktuelle Bewegungen, die auch 2023 Einfluss haben werden und wie?
Einerseits beeinflussen internationale Ereignisse wie der Krieg in der Ukraine sowie die politischen Ereignisse in den USA, der EU und China die Stimmung in der Schweiz. COVID-19 wird uns auch in diesem Jahr weiterhin begleiten und in verschiedenen Ländern unterschiedliche Reaktionen und Massnahmen auslösen.

Im Inland wird der Arbeitskräftemangel wahrscheinlich nochmals zunehmen. Viele Menschen werden ihre Jobs kündigen und neue berufliche Herausforderungen suchen, was die Unternehmen vor grossen Aufgaben stellen wird. Eine sinnerfüllende Aufgabe wird immer wichtiger als ein sicherer Job.

Das Spannungsfeld zwischen Individualisierung und sozialem Zusammenhalt wird wahrscheinlich noch offensichtlicher. Individuelle Ängste und kollektive Hoffnungen werden sich stärker in die Quere kommen. Insbesondere die ökologische Wende wird einige Konflikte auslösen.

In Krisenzeiten ist gegenseitiges Vertrauen von grosser Bedeutung. Durch das Internet werden unlautere Praktiken in Organisationen und Institutionen immer offensichtlicher, was verschiedene Enthüllungen und Skandale verursachen kann. Dies wird das Misstrauen in der Bevölkerung vorerst verstärken.

Es herrscht allgemein eine skeptische Stimmung in unsrer Gesellschaft. Was kann uns da raushelfen, worauf könnte man achten?
Hoffnung ist eine grundlegende menschliche Fähigkeit, die vor allem in Krisenzeiten von existenzieller Bedeutung ist. Angst und Hoffnung sind nahezu die beiden Seiten einer Medaille. Während die Angst den Menschen in einen Überlebensmodus stellt, ist die Hoffnung die Voraussetzung für Fortschritt und Entwicklung. Es ist die Hoffnung, die uns hilft, Krisen zu überwinden und daran zu wachsen. Die Geschichte der Menschheit ist ein grosser Beweis dafür. In Zeiten von Krankheit wird dem Menschen der Wert der Gesundheit bewusst und in Zeiten des Krieges sehnt man sich nach Frieden. Sobald die Hoffnung verloren geht, verschwinden auch der Mut und die Willenskraft. Deswegen ist Hoffnung gerade jetzt das wichtigste Mittel, um trotz einer düster scheinenden Zukunft den Glauben an eine bessere Welt nicht aufzugeben und wieder das Vertrauen in die menschliche Lernfähigkeit und Entwicklungskraft aufzunehmen. Dies sind die Voraussetzungen für Willenskraft und Engagement.

Datum: 12.01.2023
Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet

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