Jesus und der Bonus
Wer sich um ein Unternehmen, einen Verein oder eine Gemeinde verdient macht, darf Lohn und Respekt erwarten. In einer Gesellschaft, die Leistung honoriert, kann der Einzelne sich Ziele setzen und sie mit Einsatz seiner Kräfte ohne Vitamin B erreichen. Die gesamte Wirtschaft wird stimuliert, wenn Leistung sich lohnt.
Lässt Gott fünf gerade sein?
Da erstaunt es nicht, dass wir dazu neigen, auch im religiösen Bereich leistungsbezogen zu denken. Was in Beruf und Gesellschaft (in der Regel) funktioniert, übertragen wir auf den Glauben: Wenn ich mich so und so verhalte, schreibt Gott das meinem Konto gut. Er hat fürs Verhalten im Leben Gebote gegeben; wenn ich sie einhalte, gibt’s einen Bonus. Eine abgespeckte, stärker verbreitete Variante dieses religiösen Leistungsdenkens: Wenn ich mich ehrlich bemühe, mich korrekt verhalte und keinem andern bewusst Unrecht tue, dann müsste Gott mit mir zufrieden sein – und ist er so liebevoll und grosszügig, wie Jesus ihn vorstellt, wird er auch mal fünf gerade sein lassen.
Auffällig fromm
Jesus hat oft zu tun mit Leuten, die religiöses Selbstbewusstsein offen zur Schau stellen. Die Pharisäer sind zu seiner Zeit die auffälligsten Frommen. Man muss sie dafür achten, dass sie Gottes Gebote für alle Lebensbereiche ernst nehmen. Sie heimsen durch ihre konsequente Frömmigkeit himmlische Boni schon in diesem Leben ein. Sollte man ihre Selbstgerechtigkeit kritisieren? Jedenfalls weisen sie gute Gründe dafür vor, dass Gott ihnen wohlgesinnt sein muss. Jesus verdeutlicht dies mit einer Gleichnis-Geschichte:
«Nicht wie die andern…»
«Zwei Menschen gingen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine war ein Pharisäer und der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und betete, in sich gekehrt, so: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, wie Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche, ich gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme» (Die Bibel, Lukasevangelium, Kapitel 18, Verse 10-12). Vom Pharisäer wird kein Beruf genannt; er ist jemand durch seine Frömmigkeit, die ihn von den andern abhebt. Auch vom Zöllner, den er beim Eintritt in den Tempel wahrgenommen hat. Der Pharisäer macht vieles richtig, bis hin zum zehnten Teil seiner Einkünfte, den er spendet (da lässt sich fromme Leistung besonders eindeutig messen).
Im Abseits
Der Zöllner hingegen ist ein Rädchen im Unrechtssystem der römischer Besatzungsmacht und der herrschenden Familien, die mit ihr kollaborieren. Sein Berufsstand ist umso ärger verrufen, als viele Zöllner korrupt sind. So wird er nicht wagen, hoch erhobenen Hauptes in den Tempel zu treten. Abschätzige Blicke treffen ihn. «Der Zöllner aber stand ganz abseits und wagte nicht einmal seine Augen zum Himmel zu erheben, sondern schlug sich an die Brust und sagte: Gott, sei mir Sünder gnädig!» (Lukas, Kapitel 18, Vers 13).
Wie stehen die beiden im Vergleich da? Wenn der Pharisäer mit seinem Frömmersein uns schräg vorkommt, so weist er doch einen tadellosen Lebenswandel auf. Das muss man ihm lassen. Der Zöllner bekennt sich als Sünder, doch offenbar hat er nicht den Willen, seinen Posten zu verlassen – er bleibt Zöllner.
Ehrlich
Dies beschäftigt Jesus in seiner Gleichnisgeschichte, die auf eine Pointe hinsteuert, weniger als die innere Haltung der beiden. «Ich sage euch: Dieser ging befreit in sein Haus zurück, jener nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden» (Lukas, Kapitel 18, Vers 14). Damit meint Jesus nicht, dass wir uns schlechter machen sollten, als wir sind. Sondern dass wir uns vor Gott ehrlich eingestehen, wer wir sind, und seine Vergebung für Verfehlungen, Sünden und falsche Weichenstellungen erbitten. Was das Gewissen uns meldet (wenn wir es nicht zum Schweigen bringen), soll seinen Ausdruck im Gebet finden: Ich bin ein Sünder, Gott, vergib mir!
Johannes, einer der ersten Christen, drückt die Alternative prägnant aus: «Wenn wir sagen: Wir haben keine Sünde, führen wir uns selbst in die Irre, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir aber unsere Sünden bekennen, ist Gott so treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt» (1. Johannesbrief, Kapitel 1, Verse 8-9). Der Zöllner hat sich im Tempel nicht präsentiert vor Gott; er hat nicht einmal versucht, vor ihm seine Verdienste auszubreiten. Sondern einfach um Vergebung gebeten. Während der Pharisäer wegstolziert, geht der Zöllner befreit nach Hause. Gott ist gnädig und wartet auf die, die ihn um Vergebung bitten. Auch heute.
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Datum: 20.05.2011
Autor: Peter Schmid
Quelle: Jesus.ch