Versöhnt mit mir – wie Gott unsere Seele berühren kann

Ja, es gibt sie, die Wundergeschichten, in denen Menschen plötzlich befreit sind von Bitterkeit, Selbstverdammnis oder Hass, von Depressionen und Angst, von traumatischen Erlebnissen und tief sitzenden Verletzungen. Begeistert erzählen diese Menschen von dem liebevollen und mächtigen Eingreifen Gottes in ihrem Leben, das mit einem Schlag ihre tiefen Lebenswunden geschlossen hat. Und sie erzählen es zu Recht!
Gott berührt auch meine Seele.
Heilung ist auch eine aktive Sache, die unsere Mitarbeit erfordert.

Denn Gott tut wundervolle Dinge in unserem Leben - unverdient und unbegründet bricht Gott plötzlich mit seinem Heil in unser Leben ein. Vielleicht haben Sie schon davon gehört, vielleicht haben Sie sie sogar selbst erlebt. Vielleicht kennen Sie aber auch diese Situation:

Manch einen überfällt bei diesen bewegenden Berichten auch eine grosse Traurigkeit. Was hat man selbst nicht schon alles unternommen, aber die Angst oder die Depression will einfach nicht weichen. Wie oft haben wir vielleicht schon für uns beten lassen, aber Minderwertigkeitsgefühle und andere negative Empfindungen brechen bei der kleinsten Zurückweisung wieder durch. Nein, von einer geheilten Seele kann wirklich keine Rede sein. Und Gott? Wenn manche Menschen ihr Leben betrachten, scheint er es vorzuziehen, mit verschränkten Armen im Himmel herumzulümmeln. Bei ihnen, so empfinden sie, ist er jedenfalls nicht, und das ganze „fromme Zeug" scheint erbärmlich zu versagen.

Der Weg über die Wendeltreppe

Kennen Sie solche Gedanken auch? Mir jedenfalls waren sie sehr vertraut, bis ich nach und nach erkannte, dass Gott sehr wohl auch meine Seele berührt. Unsere Bitte, er möge mit seiner heilenden Kraft in unser Leben eingreifen, verhallt niemals ungehört! Doch das Eingreifen Gottes kann bei jedem von uns sehr unterschiedlich aussehen, es lässt sich nicht vereinfachen oder über einen Kamm scheren.

Meinen persönlichen Weg kann man zum Beispiel eher mit dem Besteigen einer Wendeltreppe beschreiben: Ich komme immer wieder ich an die gleichen Punkte, scheine immer wieder um die gleichen Themen zu kreisen, und bin doch jedes Mal ein bisschen höher und ein bisschen weiter gekommen, habe etwas mehr verstanden und bin ein bisschen gesünder geworden. Ich habe gelernt, diesen Weg als meinen Weg zu akzeptieren. Innere Heilung bedeutet in meinem Leben nicht, dass Gott Schmerzhaftes einfach „wegmacht", sondern dass er mir auch zumutet und zutraut, mit meinen Defiziten zu leben.

Mehr noch: Er baut meine Schwachstellen in sein grossartiges Konzept für mein Leben mit ein. Deshalb ist es wichtig, dass ich nicht mehr einfach gegen mein „Sosein" kämpfe und rebelliere, sondern mich mit mir versöhne und zu meinem Leben ja sagen kann.

Versöhnt mit meiner Geschichte

Was habe ich Menschen beneidet, die aus einer stabilen und harmonischen Familie stammen. Dieser Rückhalt gibt ein positives Lebensgefühl, das später so manchen Tiefschlag abfedern kann. Aufgewachsen in einer Alkoholikerfamilie fehlte mir das. Vielleicht fehlt ja auch Ihnen Liebe und Geborgenheit oder Sie müssen derzeit mit Lebensumständen vorlieb nehmen, die alles andere als angenehm sind.

Ich jedenfalls habe irgendwann aufgehört, mich neidvoll mit anderen zu vergleichen. Statt zu fragen, warum denn ausgerechnet in meinem Leben die Dinge so schwierig gelaufen sind, begann ich hinzuschauen, was Jesus mit dieser Lücke in meiner Biographie anfangen kann.

Und siehe da: Gar nicht schlecht, was man aus solch einem Loch alles machen kann! Wie vor einem grossen Webstuhl sitzt Jesus an unserem Leben und verknüpft lose Fäden und scheinbar abgerissene Stränge zu einem wunderschönen, kunstvollen Bild. Die düsteren Farben und rissigen Fasern manch notvoller Lebensabschnitte gehören genauso dazu, wie das leuchtende Kolorit edler Garne in stabilen Zeiten.

Die trüben Zeiten meines Lebens haben eben nicht nur ein Loch hinterlassen, sondern Dank der liebevollen Hand Gottes auch Qualitäten und Kompetenzen in mir ausgeprägt, die mein Leben jetzt bereichern. So etwas muss gemeint sein, wenn es in der Bibel heisst: „Für die, die Gott lieben, muss alles zu ihrem Heil dienen"(Römer, Kapitel 8, Vers 28).

Versöhnt mit meinen Defiziten

Welche Macken Ihrer Persönlichkeit machen Ihnen besonders zu schaffen? Das schwache Selbstwertgefühl? Ein ängstliches Wesen oder eine cholerische, aufbrausende Art? Ihre Schüchternheit oder Introvertiertheit? Überempfindlichkeit oder Mangel an Sensibilität im Umgang mit Anderen? Hang zu Neid und Eifersucht? Was auch immer Sie stört - sich mit diesen Defiziten auszusöhnen bedeutet nicht, die Hände in den Schoss legen und zu sagen: „So bin ich nun mal, da kann man eben nichts machen". Versöhnung bedeutet, dass wir mit Gott an uns arbeiten und bereit sind, neue Verhaltensmuster einzuüben.

Es ist jedoch nicht hilfreich, wenn Sie dabei einfach gegen Ihr „Strickmuster" rebellieren und sich vielleicht sogar dafür hassen. Hass und Ablehnung Ihrer Persönlichkeit bewirken keine Veränderung, sondern immer nur Selbstzerstörung. Wenn Sie dagegen mit Jesus ihre Defizite unter die Lupe nehmen, werden Sie erleben: Er liebt Sie erst einmal komplett so, wie Sie sind. All inklusive. Seine Botschaft lautet: „Ich liebe dich. So wie du bist. Mit all deinen Schwachstellen, trotz all deinem schuldigen Verhalten, das daraus folgt." Er drückt aber auch nicht beide Augen zu und sagt: „Ist ja nicht so schlimm, kann jedem mal passieren".

Jesu Liebe ist konkret und bodenständig und hat ihn alles gekostet, weil er selbst alle Defizite und all Ihre Schuld getragen hat. Die Arme, die Sie halten, wurden für Sie am Kreuz durchbohrt. Das anzunehmen bedeutet: Ich brauche nicht zwanghaft und verkrampft an meinen Charaktermängeln zu arbeiten, damit ich Gott gefalle, denn Gott hat bereits alles getan, damit ich mit ihm, mit mir selbst und meinen Schwachpunkten versöhnt leben kann. Und dieses Wissen bietet mir die Gelassenheit und Entspannung, mit ganzem Einsatz an den Defiziten meiner Persönlichkeit zu arbeiten.

Arbeit an der Persönlichkeit

Der Begriff Arbeit mag uns in diesem Zusammenhang verwundern, klingt doch das Wort Heilung zunächst eher nach einem passiven Geschehen, das sich ohne unser Zutun mal schnell, mal langsam vollzieht. Doch Heilung ist, zumindest wenn sie von Dauer sein soll, eine aktive Sache, die unsere Mitarbeit erfordert. Auch wenn wir gerne ein vollautomatisches Gebet oder einen allgemeingültigen therapeutischen Entwurf hätten, mit dem all unsere inneren Verletzungen wie weggeblasen wären - käme das eher unserer Bequemlichkeit und unserem Mangel an Disziplin entgegen.

Wie anfangs beschrieben gibt es natürlich auch Menschen, die solch eine tief greifende Befreiung erleben. Aber das ist nur der Anfang. Auch sie müssen beharrlich sein, um diese Befreiungstat Gottes langfristig in ihren Alltag hinüberzuretten. Ein Beispiel:
Sie sind von einer bestimmten Person sehr verletzt worden. Es setzt Ihnen so zu, dass Sie das Gespräch mit jemanden suchen und für sich beten zu lassen. Während des Gebetes spüren Sie, wie Gott Ihnen diese Last nimmt, etwas in Ihnen abheilt und Sie sich sogar so frei fühlen, der betreffenden Person zu vergeben. In den folgenden Wochen tauchen aber Situationen auf, in denen diese frisch verheilte Wunde wieder aufzureissen droht, zum Beispiel durch eine ähnliche Begebenheit.

Wenn das passiert, denken Sie dann bitte nicht, dass Sie sich die innere Heilung nur eingebildet haben oder dass Gott Sie nicht genug liebt, um echte Veränderung in Ihnen zu bewirken. Es sind einzig unsere alten Denk- und Verhaltensgewohnheiten, die sich schnell wieder durchsetzen, wenn wir Ihnen nicht mit Vehemenz entgegentreten. Wenn wir nicht an unseren Reaktionsmustern, an unseren Defiziten wie Groll, Wut, Bitterkeit oder an einer Opferhaltung arbeiten, geben wir negativen Gedanken Raum und fangen wieder an, wie an frischem Schorf an unseren Verletzungen herumzupulen. Wie aber kann ich das verhindern?

Wege innerer Heilung

Ich bin überzeugt, dass es Gott gelingt, uns in den tiefsten Schichten unserer Persönlichkeit zu berühren und uns die Wahrheit über Abläufe und Zusammenhänge in unserem Denken und Handeln zu zeigen, indem er uns immer wieder seine tiefe Liebe schenkt. Dafür müssen wir nichts weiter tun, als den Heiligen Geist (der genauso Gott ist wie der Vater und der Sohn Jesus Christus) immer wieder zu bitten, uns diese Wahrheit über uns zu zeigen. An dieser Stelle des Heilungsgeschehens sind wir tatsächlich passiv.

Der Heilige Geist wird Ihnen aber auch deutlich machen, wo Veränderung und Korrektur nötig ist. Und dann gilt es, Neues einzuüben. Das bedeutet tatsächlich üben, also auch mal hinfallen, wieder aufstehen und weiterüben. Gott geht bei jedem dieser Schritte neben Ihnen, ermutigt Sie, hilft Ihnen wieder auf und feuert Sie an. Es kann auch sein, dass er Ihnen genau für diesen Prozess Menschen an die Seite stellt, mit denen sie reden, Vergangenes aufarbeiten und neue Verhaltensmuster einüben können. Wenn Sie spüren, dass Sie nicht alleine zurecht kommen, schämen und scheuen Sie sich jedoch nicht, von sich aus Hilfe, auch professioneller Art, in Anspruch zu nehmen.

Auf der anderen Seite bedeutet Heilung aber auch, zu akzeptieren und anzunehmen, dass wir mit manchen Schwachstellen leben müssen. Zu Paulus, einem Mitautor des Neuen Testamentes und wider Erwarten jemand, der auch mit mancher Einschränkung leben musste, sagte Gott zu diesem Thema folgendes: „Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Je schwächer du bist, desto stärker erweist sich an dir meine Kraft" (2.Korinther 12,9). Ihr Wert als Mensch steht und fällt also nicht damit, ob Sie es schaffen, innerlich vollkommen und heil zu werden. Wenn Sie ihn lassen, wirkt Gott mit seiner Gnade auch und gerade in Ihrer Schwachheit.

Die Schönheit im Lebensnetz erkennen

Heute Morgen sah ich in unserem Apfelbaum ein Spinnennetz hängen. Tausend kleine Tautropfen glitzerten auf den zarten Fäden im frühen Sonnenschein und liessen dieses filigrane Kunstwerk in all seiner Schönheit und Vollkommenheit erstrahlen. Vollkommen? Als ich genauer hinschaute, stellte ich fest, dass in dieses Netz ein beträchtliches Loch gerissen war. Sicher, die Spinne würde es später ausbessern, aber im Moment hockte sie nur da und genoss die ersten wärmenden Strahlen der Sonne.

Und das Netz? Ungeachtet dieses Loches hielt es zusammen, war trotz seiner Zerrissenheit erstaunlich stabil, erfüllte seine Funktion und beeindruckte durch seine Schönheit. Auch in meinem oder Ihrem Lebensnetz gibt es vielleicht solch beträchtliche Löcher. Vielleicht werden wir es nie schaffen, sie zu flicken. Aber Gottes Gnade überzieht unser Leben mit Fäden der Anmut, und die wärmenden Strahlen seiner Liebe lassen es funkeln und leuchten. Und eines Tages wird gewiss alles neu.

Autorin: Tamara Hinz

Datum: 13.03.2009
Quelle: Neues Leben

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