«Dschungeljahre»

Buch über Kannibalen und Jesus

Ihre Heimat war der Dschungel. 32 Jahre lang lebte Doris Kuegler in West-Papua ohne Strom, ohne Internet und ohne Supermarkt. Jetzt hat sie ihr Leben in dem Buch «Dschungeljahre» aufgeschrieben. Es ist die bewegende Geschichte einer mutigen Frau, die sich 1978 mit Mann und Kindern zu einem unbekannten Volksstamm aufmacht, um dort die Liebe Gottes weiterzugeben. Livenet hat die Autorin getroffen.
Doris Kugler
Buch über Kannibalen und Jesus
Buch über Kannibalen und Jesus
Buch über Kannibalen und Jesus
Buch über Kannibalen und Jesus

Wie kamen Sie darauf, ein Buch über ihr Leben zu schreiben?

Doris Kuegler: In all den Jahren, die wir in Irian Jaya waren, fragten mich viele: Warum schreibst du nicht ein Buch? Aber ich hatte nicht die Zeit und Musse.

Ich war stolz, als meine Tochter Sabine ihre Kindheitserlebnisse aus dem Dschungel aufzuschreiben begann, dachte aber auch, dass ein Buch über unsere Geschichte reicht.

Sabines Buch «Dschungelkind» wurde ein Bestseller. Und irgendwann kam der Droemer Verlag auf mich zu, dass viele Leser gerne wüssten, wie es denn für die Mutter mit drei kleinen Kindern in der Wildnis war. Ich dachte viel darüber nach und merkte, dass ich vieles anders erlebt hatte als meine Tochter Sabine. Ich trug ja die Verantwortung für unsere Umstände, für meine Kinder, ihre Bildung. Und ich als Erwachsene kannte natürlich auch mehr Hintergründe. So setzte ich mich eines Tages hin und fing doch noch an zu schreiben.

Derzeit läuft die Verfilmung des Buches «Dschungelkind» im Kino. Wie wahrheitsgetreu ist der Film?

Was die Umgebung, die Menschen, unser Haus, die Vegetation und einige Begebenheiten angeht, ist der Film sehr authentisch. Aber manches ist frei erfunden. Keines der Kinder, auch die der Fayu nicht, wäre alleine in den Urwald gegangen. Es war unmöglich. Nur die Fayu-Männer kannten die Wege. Alle anderen hatten Angst vor dem Dschungel wegen des Geistes Torhe. So ist die Szene, wie der kleine Auri gefunden wird und mein Sohn Christian eine Nacht alleine bei ihm bleibt, eine Phantasie-Geschichte. Aber sie ist eben dramatisch und macht einen Film wohl spannend.

Und ich glaube, dass wir fröhlicher waren als die Familie im Film. Ich war nicht so bestimmerisch. Die Fayu nicht so kritisch uns gegenüber, die Kinder hatten sich in ein paar Tagen angefreundet. Und unser Glaube, ein Grund, warum wir überhaupt dort waren, kommt gar nicht vor.

Wie war es, bei den Fayu anzukommen?

Anfangs hatten wir enorme Schwierigkeiten, uns zu verständigen, das war nicht leicht. Die Sprache der Fayu war ja komplett unerforscht. Erst nach und nach lernten wir sprechen.

Aber mein Mann hat die besondere Gabe, mit Menschen umzugehen. Die Fayu wussten sehr schnell, dass er ein guter und treuer Freund für sie war. Sie vertrauten ihm völlig.

Besonders erstaunte mich: Das ganze Fayu-Volk sagte, ihre Herzen wären schlecht und sie möchten ein gutes Herz bekommen. Die meisten Menschen halten sich selbst doch für gut. Es war ein Volk, dass bereit war für etwas Neues, etwas Unbekanntes.

Jetzt im Rückblick kann ich sagen, dass die Fayu uns liebten und wir sie. Das machte unseren Auftrag leicht. Aber uns ist sehr bewusst, dass das alles auch das ein Geschenk Gottes war.

Hatten Sie keine Angst um ihre Kinder? Immerhin galten die Fayu als Kannibalen!

Nein, wir hatten keine Angst, auch wenn es natürlich schwierige Situationen gab. Doch unser Vertrauen in Gott war immer so stark, dass wir wussten, er würde uns bewahren. Er hatte uns ja dorthin geführt! Für den Notfall hätte es auch Hubschrauber gegeben, die uns zumindest tagsüber an die Küste hätten holen können. Aber wir waren nie in einer lebensbedrohlichen Situation.

Dass die Fayu Kannibalen waren, können wir nicht nachweisen. Wenn mein Mann sie darauf ansprach, war es ihnen sichtlich unangenehm und sie sagten dann: »Wir nicht, aber die da oben bei den Bergen.” In einer anderen Situation erklärte uns dann aber ein junger Fayu ganz spontan: »Die Hände, die schmecken am Besten!” Woher er das wohl wusste?

Was ist Ihnen schwer gefallen bei der Eingewöhnung und dem Leben im Dschungel?

Es gab einige Dinge die ziemlich gewöhnungsbedürftig waren. Wir waren dauernd von Menschen umgeben, die was von uns wollten. Ich brauchte nur auf die Veranda gehen und schon kamen die Frauen und schrieen: »Doriso ai ditä” – «Doris, gib mir!” Ich konnte es nicht mehr hören! Einmal platze mir der Kragen und ich nahm der einen das Baby weg, der andern ein Netz, wieder einer anderen die Bananen und rief: «ai ditä, ai ditä, ai ditä!» Häuptling Kologwoi hatte das scheinbar beobachtet und schimpfte die Frauen fürchterlich aus. Danach wurde es etwas erträglicher.

Schwierig war auch die Unsauberkeit der Fayu. Wenn jemand gestorben war, rieben sie sich mit der Körperflüssigkeit des Toten ein. Das stank bestialisch! Wenn ich am Kochen war, verging mir der Appetit für den ganzen Tag. Unsere Kinder beschwerten sich auch darüber, aber wir sagten ihnen nicht was das war.

Und die Hitze setzte uns sehr zu. Das ganze Jahr über hatten wir zwischen 30°C und 40°C Grad und über 90 Prozent Luftfeuchtigkeit!

Wie sah Ihr Alltag aus?

Vieles ergab sich aus der Tatsache, dass wir keine Elektrizität hatten. Also standen wir bei Tagesanbruch auf, gegen sechs Uhr. Und mit dem Sonnenuntergang, gegen 18 Uhr, gingen wir wieder ins Bett. Die Kinder waren sowieso immer totmüde vom Herumtoben. Klaus und ich unterhielten uns dann noch oder hörten Kassetten mit Predigten oder Musik. Spätestens um 21 Uhr schliefen auch wir.

Vormittags machten die Kinder ihr Homeschooling-Programm. Beim Mittagessen hatten wir immer Fayu zu Gast, die krank gewesen waren, oder die Sabine überzeugt hatten, dass sie am Verhungern waren.

Die Nachmittage verbrachten wir mit den Fayu. Die Männer liessen ihre Pfeile im Kanu und so hatten wir friedvolle Tage. Unsere Kinder waren glücklich und zufrieden.

An Regentagen legten wir uns alle aufs Bett und ich las ihnen vor. Bücher waren Mangelware, auch an der Küste gab es keine Bücher auf Englisch oder Deutsch. Unsere drei liebten Bücher und verschlangen neue sofort. Und auch ihre Kassetten hörten sie so oft, dass sie alles auswendig konnten.

Läden gab es ja keine, woher hatten Sie Lebensmittel?

Von der Küste nahmen wir immer Milchpulver, Gemüsedosen, einige Fleischdosen, Zwiebeln, Knoblauch, Eier, Mehl, Zucker, Getränkepulver, Kekse und Bonbons mit.

Und die Fayu wussten: Wenn sie was Essbares aus dem Urwald brachten, würden wir mit ihnen tauschen. Das taten sie mit Begeisterung, denn sie kannten ja kein Metall, also auch keine Messer, Macheten oder Angelhaken. Sie hatten keine Töpfe, Stoffe, Handtücher oder Seife. Und so hatten wir immer Essbares zu Hause. Nur was, das konnten wir uns nie aussuchen. Aber übers Essen wurde bei uns nicht gemeckert. Bis heute ist niemand von uns wählerisch. Mein Eismann kriegt es nicht auf die Reihe, wenn ich ihm sage: «Bring irgendwas mit. Gemüse oder Kuchen oder einen Braten...»

Wie hat sich der Stamm durch Ihre Familie verändert?

Ob sich der ganze Stamm verändert hat, weiss ich nicht. Aber der Clan, bei dem wir gelebt haben, hat enorme Veränderungen erlebt.

Entscheidungen bedurften bei den Fayu keiner Logik, sondern nur reiner Emotion. Ich war mir nicht mal sicher, ob sie Logik kannten. Was das betrifft, waren sie wie Kinder. Ich hatte zum Beispiel einen Papaya-Baum gepflanzt, der schnell wächst und trägt innerhalb von 8 Monaten Früchte trägt. Als eine Papaya etwas gelb wurde, haute unser Sprachhelfer Nakire den Baum einfach um, damit er an die Frucht kommt. Dass da noch zwanzig andere, kleinere, grüne Früchte hingen, war ihm in dem Moment egal. Sie können sich vorstellen wie wütend ich war!

Solche Dinge geschahen in den ersten Jahren ständig. Deshalb kam ich auf die Idee, die Fayu-Kinder in Mathematik zu unterrichten. Und tatsächlich, es dauerte nicht lange, bis die grossen Jungen selbst anfingen, über Dinge nachzudenken. Bald hatten das auch die alten Fayu erkannt. Und so veränderte sich das Verhalten der Iyarikes. Sie handelten nicht mehr so aus Launen heraus.

Meine Schüler lernten auch, dass es Krankheiten gab. Bislang hatten die Fayu geglaubt, das wären unwiderrufliche Flüche. Ihre Wut auf die andern Clans verringerte sich durch dieses Wissen enorm.

Als wir dann soweit waren, ihnen das Evangelium verständlich zu machen, kam die grösste Veränderung. Sie verloren ihre Angst vor dem bösen Geist Thore. Da war jetzt Jesus, der auf sie aufpasste. Wir erzählten ihnen von Gott, aber Jesus zeigte sich ihnen auch selbst. Mehrere Fayu sahen ihn zur gleichen Zeit, obwohl sie in verschiedenen Gegenden waren. «Jesus passt auf uns auf,» sagten sie immer wieder. Er hatte ihnen ein gutes Herz gegeben, erzählten sie uns.

Unter den Fayu herrschte schlimme Blutrache. Jeder Tote oder «Verfluchte» musste durch den Tod eines anderen gerächt werden. Das war ein Kreislauf ewigen Tötens. Als sie von Jesus hörten, veränderten sie sich und wollten lernen zu vergeben. Der Glaube an Jesus hat diese Todesspirale beendet und den Stämmen Frieden gebracht.

Und dann gab es noch viele praktische Dinge die sie annahmen und lernten: sich zu waschen, ihre Babys zu baden. Sie lernten lesen und schreiben, lernten die indonesische Sprache, bekamen Bibeln in indonesischer Sprache. Durch das Wort Gottes geschah viel Veränderung in ihren Herzen und auch in ihrem Denken.

Was vermissen Sie jetzt am Meisten aus der Dschungel-Zeit?

Die Gemeinschaft mit den Fayu, mit meinen Schülern. Die Abende am Feuer, die gemeinsamen Mahlzeiten, das Lachen der Kinder. Die Fayu waren nicht hinterlistig. Sie sagten, was sie dachten. Alles wurde besprochen. In Deutschland sagt man mir nach, ich wäre naiv - was in mancher Hinsicht sicherlich stimmt. Aber in den zivilisierten Ländern darf man längst nicht alles glauben, was der Mensch sagt. Man muss immer kritisch sein, denn wahrscheinlich ist der andere nicht ehrlich.

Die Fayu mögen Menschenfresser gewesen sein, aber bei ihnen wusste man immer, woran man war.

Haben Sie Möglichkeiten mit Ihren Freunden des Stammes Kontakt zu haben?

Der Pastor unserer indonesischen Gemeinde und Missionsleiter ist immer erreichbar. Seine Mitarbeiter besuchen die Fayu regelmässig und berichten uns dann, wie es ihnen geht. Mein Mann steht auch in schriftlichem Kontakt mit den Fayu, die lesen und schreiben können. Und ich hoffe, dass ich in diesem Jahr die Gelegenheit habe, sie zu besuchen und eine Weile bei ihnen zu bleiben.

Sie haben in völlig unterschiedlichen Kulturen gelebt, was ist Ihnen dabei das Wichtigste im Leben geworden?

Eines habe ich gelernt: Gott ist der Zuverlässige, der sich nicht ändert. Dem man blind vertrauen kann. Der einen nicht enttäuscht. Der einen bedingungslos liebt.

Und egal in welcher Kultur ich lebe, meine Aufgabe ist es, ehrlich zu sein. Mir selbst und meinen Mitmenschen gegenüber. Ich möchte Menschen so akzeptieren, wie sie sind und lernen sie zu lieben, so wie Gott mich liebt.  

Buchhinweis:
Doris Kuegler: Dschungeljahre / Link zum Büchershop

Datum: 07.03.2011
Autor: Miriam Hinrichs
Quelle: Jesus.ch

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