Wunsch und Wirklichkeit

Kommt die grosse Erweckung, wenn wir beten?

Anbetende Menschenmenge
Erweckung ist ein grosser Wunsch, der über christlichen Gemeinden schwebt. Sie wird herbeigewünscht, -gepredigt und -prophezeit. Und der Schlüssel zur Erweckung sei das Gebet… Ist das so? Viele Christen haben daran begründete Zweifel.

Der Begriff «Erweckung» kommt in der Bibel nicht vor, die Idee natürlich schon. Das sorgt allerdings von Beginn an für eine gewisse Unschärfe: Ist mit Erweckung gemeint, dass viele Menschen auf einmal zum Glauben finden? Oder dass «eingeschlafene» Christen wieder aufwachen? Wahrscheinlich beides und noch viel mehr. Damit wird Erweckung zu einem sogenannten Containerbegriff, der viele Aspekte beinhaltet. Doch die grosse Frage vieler Gläubiger ist nicht, was der Begriff genau bedeutet, sondern wie eine Erweckung ausgelöst werden kann.

Gebet ist Voraussetzung für Erweckung

Es gibt zahllose Bücher und Berichte über die sogenannten Erweckungsbewegungen. Und in den meisten spielte das Gebet eine grosse Rolle. Prominente Namen sind damit verknüpft. John Knox war ein Zeitgenosse Luthers, der als Reformator Schottlands in die Geschichte einging mit seinem Gebet: «Gib mir Schottland oder ich sterbe!» John Wesley, Vater der methodistischen Erweckung in England, betete: «O dass Gott mir die Dinge geben würde, nach denen ich mich sehne, dass ich ein Volk sehen möge, das ganz Gott hingegeben lebt, der Welt gekreuzigt.»

Diese Liste liesse sich lang fortsetzen und würde – falls man überhaupt von ihnen erfahren hat – hauptsächlich unbekannte Personen beinhalten. Wie zum Beispiel Dorothea Clapp, eine Hausfrau, die aus ihrem Fenster auf den Pausenhof der benachbarten Schule blickte. Sie betete inständig dafür, dass Gott die Welt durch diese jungen Menschen berühren möge. Einem davon gab sie ein Johannesevangelium, er besuchte eine evangelistische Veranstaltung und kam zum Glauben. Es war George Verwer, der dann das Missionswerk OM gründete und mit seinen Schiffen weltweit Spuren hinterliess.

Diese Vorrangstellung des Gebets betonte auch Evan Roberts. Er war eine Führungsperson bei der Erweckung in Wales 1904/05, wo um die 100'000 Menschen zum Glauben fanden. Er unterstrich deutlich: «Es gibt nur einen Weg, Erweckung zu erlangen, und das ist durch das Gebet, durch einmütiges Gebet. Jede Gemeinde sollte einen Gebetskreis haben. Die Menschen müssen alles Gott hingeben. Die Bibel muss täglich gelesen werden… Die Kraft der Erweckung liegt im Gebet.»

Diese Berichte unterstreichen die Wichtigkeit des Gebets. Gleichzeitig hinterlassen sie einen gewissen Nachgeschmack, weil die meisten von ihnen über 100 Jahre her sind. So steigen die Sehnsucht und der Druck: Eine Erweckung muss her. Es muss mehr gebetet werden, damit sie geschieht. Vor dieser einseitigen Fokussierung auf den eigenen Wunsch nach gewaltigen Ereignissen und einem direkten Eingreifen Gottes warnt auch Reinhold Scharnowski. Er erklärt in einem Livenet-Artikel, warum er zwar betet, aber warum er nicht um Erweckung betet.

Gerechtigkeit ist Voraussetzung für Erweckung

Noch einen Schritt weiter geht Fred Clark, wenn er mit einem Blick ins Alte Testament feststellt: «Im ersten Kapitel von Jesaja spricht Gott und sagt uns, dass wir so lange aufhören sollen zu beten, bis wir anfangen, uns um Gerechtigkeit zu bemühen.» Für ihn ist Gebet eine Folge von Erweckung, nicht ihr Ursprung. Jesaja findet dazu drastische Worte: «Streckt nur eure Hände zum Himmel, wenn ihr betet! Ich halte mir die Augen zu. Betet, so viel ihr wollt! Ich werde nicht zuhören, denn an euren Händen klebt Blut. Wascht euch, reinigt euch von aller Bosheit! Lasst eure Gräueltaten, hört auf mit dem Unrecht! Lernt wieder, Gutes zu tun! Sorgt für Recht und Gerechtigkeit, tretet den Gewalttätern entgegen und verhelft den Waisen und Witwen zu ihrem Recht!» (Jesaja, Kapitel 1, Vers 15-17)

Sagt Gott hier wirklich: Hört auf zu beten, sorgt erst einmal dafür, dass soziale Gerechtigkeit herrscht? Es sieht so aus. Der Prophet Amos legt später noch einmal nach. Bei ihm sagt Gott: «Ich hasse eure Feiern, geradezu widerwärtig sind sie mir, eure Opferfeste verabscheue ich. (…) Das Recht soll das Land durchströmen wie ein nie versiegender Fluss.» (Amos, Kapitel 5, Vers 21)

Viele, die Erweckungsbewegungen (oder was sich so nennt) kritisch anschauen, beurteilen sie danach, ob dadurch eine bleibende Veränderung geschieht und die Gerechtigkeit wächst – Fred Clark würde zusammen mit Jesaja und Amos sagen: «Falsche Frage – falsche Reihenfolge.»

Es gibt nicht DEN Schlüssel für Erweckung

Es ist müssig, diese beiden Ansätze gegeneinander auszuspielen. Wir könnten noch weitere hinzufügen, denn ist die wahre Basis der Erweckung nicht Busse? Was das oben Dargestellte deutlich macht, ist am ehesten, dass es den einen Schlüssel zur Erweckung nicht gibt. Auch deshalb plädiert Reinhold Scharnowski dafür, sich lieber nicht auf eine Erweckung in naher oder ferner Zukunft zu fokussieren, sondern unseren Glauben hier und jetzt zu leben.

Erweckung als «heilige Unordnung»

Und wie geschieht Erweckung? Nun, sie geschieht. Letztlich sind es nicht wir, die unseren 10-Punkte-Plan dafür abarbeiten, damit Gott anschliessend handeln muss. Gott ist der Handelnde. Das nimmt niemanden aus der Verantwortung heraus, zu beten, für Gerechtigkeit zu sorgen, umzukehren usw., aber es unterstreicht, dass Erweckung nicht machbar ist – weder durch demütige Bussgänge oder langes Fasten noch durch vollmächtige Prophezeiungen. Gott ist der Handelnde.

Was auch irgendwie dazugehört ist der Faktor «Unordnung». Egal ob Gott in Toronto oder in Asbury wirkt, im Siegerland oder in Wales, immer war sein besonderes Eingreifen auch von einem deutlichen Durcheinander gekennzeichnet. Kein Wunder, wenn viele Menschen auf einmal ihr Leben und ihren Glauben neu sortieren… Da erscheint nicht nur der häufige Einwand schwierig, dass Gott doch ein Gott der Ordnung sei, sondern auch die Frage nach der richtigen Reihenfolge bei einer Erweckung. Wie sollte denn die richtige Reihenfolge bei Unordnung aussehen – selbst wenn es die «heilige Unordnung» der Erweckung ist?

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Datum: 08.03.2023
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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