Kommentar

Mehr Brände in der islamischen Welt

islamischen Welt


«Ich habe keine Arbeit, mein Mann hat keine Arbeit, mein Sohn auch nicht», schreit eine Tunesierin ins Mikrofon des Reporters. Touristen aus halb Europa tanken Sonne an den Sandstränden, doch dahinter explodiert die Wut. Als hätten die Tunesier den Knebel herausgerissen, mit dem das korrupte Regime Ben Ali sie mundtot machte. Dabei war Tunesien vom Landesvater Bourguiba Richtung Moderne gesteuert worden.

Schüsse in tunesischen Städten, Proteste gegen Preiserhöhungen auch im Ölexportland Algerien, antichristliche Kampagne und Knechtung der Sahraouis in Marokko, Willkür und Repression in Libyen, Anschläge auf Christen in Ägypten, Sklavenhaltung auf der Arabischen Halbinsel, abgehackte Hände und Füsse in Somalia, Extremismus im Südlibanon, mörderische Attentate im Irak, ungehemmte Brutalität und Terror gegen Andersdenkende im Iran, islamistische Hetze und Kugeln gegen Minderheiten in Pakistan, Unterdrückung der freien Meinungsäusserung in Zentralasien: Die Zeichen stehen auf Sturm.

Dabei darf man den Willen zum anständigen, friedlichen Leben der meisten Muslime nicht übersehen. Die Mehrheit will kein Blutvergiessen, sondern eine ruhige, gedeihliche Entwicklung. Dass diese trotz Ölmilliarden nicht zustande kommt, ist nicht nur der Bevölkerungsexplosion zuzuschreiben.

Welcher Staat der islamischen Welt führt faire Wahlen durch? Auch Malaysia schaffte es nicht. In Indonesien wird Korruption immerhin bekämpft, in der Türkei war ein Machtwechsel möglich. In Arabien hingegen heben Militärherrscher wie Könige ihre Söhne auf den Thron. Auch die Türkei, die in die EU will, gibt den Kurden nicht die Möglichkeit, sich politisch nachhaltig zu organisieren.

Der Anteil des Islam – Lehre und System sind über 1000 Jahre alt – und seiner heute agierenden Vertreter an den Missständen ist umstritten. Doch es gibt keine andere Kraft, die den Gang der Dinge im arabischen Raum seit bald 1400 Jahren derart bestimmt. Je härter die Konflikte, desto drängender die Anfragen an die Religion Mohammeds.

Traditionalistische Muslime lehnen Neuerungen, etwa ein aufgeklärtes Verständnis des Koran, ab – der Neuerungsdruck steigt aber durch das, was die Menschen im hintersten Winkel per TV und Internet vom Rest der Welt wahrnehmen. Herrschende Cliquen versuchen sich mit Islamisten zu arrangieren oder unterdrücken sie brutal. In beiden Fällen ergibt sich fürs Volk nicht mehr Freiheit.

In der islamischen Frühzeit schon ergab sich eine «Machtteilung zwischen den Leuten des Schwerts und den Leuten der Feder, den Machthabern und den Gelehrten». Laut dem Zürcher Orientalisten Andreas Kaplony «wirkten sie zusammen, doch mehr in einer Hassliebe als in Harmonie».

Der Mangel an transparenter Herrschaft und Bereitschaft zur Gewaltenteilung dürfte eine Wurzel im islamischen Gottesbegriff haben: Während der Gott der Bibel den Menschen die Erde anvertraut, mit ihnen einen Bund eingeht und sich an sein Wort bindet, bleibt Allah in seiner Jenseitigkeit unfassbar und in seiner nicht begrenzt gedachten Allmacht unberechenbar.

Die Machtteilung hat die konfliktreichen sozialen Zustände mitverursacht, doch im Licht der Verhärtung in der Islamischen Republik Iran (wo die Mullahs alle Macht an sich rissen) scheint sie der humanere Weg zu sein. Gelitten haben die Menschen unter dem Islam und denen, die in seinem Namen lehrten und herrschten, mehr als genug. Die jüngsten Entwicklungen mehren die Zweifel, dass sie im Haus ihrer Religion je Freiheit finden. 2011 wird ein heisses Jahr.

Datum: 15.01.2011
Quelle: Livenet.ch

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