Glücklich zwischen zwei Welten
Für uns ist es schwer vorstellbar, aber in gewissen Kulturen haben Mädchen keine Ahnung davon, was mit ihrem Körper geschieht, wenn sie sich allmählich zur Frau entwickeln. «Einmal sagte mir eine junge Frau, sie hätte gedacht, sie würde sterben, als sie die erste Monatsblutung hatte», sagt Cornelia Hässig.
Gemeinsam mit ihrem Mann Werner, beide gut 60, hat die Ärztin und langjährige Familienfrau vor rund vier Jahren eine neue Lebensaufgabe gefunden. Sie verbringen etwa ein bis zwei Monate pro Jahr in Äthiopien, wo Cornelia in Zusammenarbeit mit lokalen Kirchen und Organisationen einheimische Frauen ausbildet. Diese wiederum klären anschliessend die Mädchen in den Schulen sexualpädagogisch auf. Dazu dient ein auf äthiopische Verhältnisse übertragener, etablierter Kurs aus Deutschland. Aktuell werden die Kursunterlagen in zwei Landessprachen übersetzt.
Nebenher engagiert sich Werner – passend zu seinem beruflichen Hintergrund – als Referent, Berater und Vernetzer im Bereich Solarenergie. Er will auch andere «Jungsenioren» für Einsätze in Äthiopien begeistern. «Viele Menschen in unserem Alter sind noch bei Kräften, haben viel Wissen und Erfahrung und sind finanziell abgesichert», gibt er zu bedenken. Er selbst hat bewusst frühzeitig das Ende seines beruflichen Werdegangs geplant und die eigene Firma einem Nachfolger übergeben. Da seine Frau während der Familienphase beruflich kürzergetreten war, sollte sie sich nun noch einen beruflichen Wunsch erfüllen können.
Das Leben ist zu kurz…
Hätten sie es nicht verdient, das Leben im Pensionsalter und die damit verbundenen Freiheiten einfach zu geniessen? «Das Leben hat uns gelehrt, dass Konsum nicht glücklich macht. Es ist zu kurz, um es 'sinnlos' zu verbringen.» Neues zu lernen, zum Beispiel eine neue Sprache oder interkulturelle Wissensvermittlung, habe ihrem Leben einen neuen Schub verliehen. Ebenso die Konfrontation mit dem sehr einfachen Lebensstil in Äthiopien sowie das Kennenlernen von Menschen aus aller Welt.
Abgesehen von ihrem eigenen «Aufblühen» freuen sich die Eltern dreier erwachsener Kinder über die Früchte bei den Menschen, in die sie investieren. So berichtet Cornelia von einer einheimischen Ordensfrau, die einen regelrechten Gesinnungswandel durchgemacht und realisiert hat, wie wichtig die Enttabuisierung der Sexualaufklärung für die äthiopische Gesellschaft mit ihrem extremen Bevölkerungswachstum ist. Werner erwähnt einen jungen Äthiopier, dem er beim Start eines eigenen Geschäfts geholfen hat und der ihm zum Dank schreibt: «Werner, du bist mein höchst unerwartetes Geschenk.» Indem sie anderen Menschen eine Freude machen – oder eben ihnen beim Aufblühen helfen – würden sie selbst enorm beschenkt, sind sich die beiden einig.
Gott springt ein
Diese Erfolge sind schön – doch der Start verlief nicht ohne Herausforderungen. Die Pandemie und der Krieg im Norden Äthiopiens verunmöglichten es Werner und Cornelia in den letzten Jahren mehrmals, nach Äthiopien zu reisen. Hinzu kommen kulturelle Aspekte, so zum Beispiel die Schwierigkeit, einheimische Frauen für die Ausbildung zu gewinnen, da diese nur kurzfristig und eher unverbindlich planen. Überhaupt sind das Knüpfen und Aufrechterhalten von Kontakten immer wieder wahre Knacknüsse.
Doch besonders da, wo sie selbst anstehen, nehmen sie umso mehr wahr, wie Gott sie führt. So geschehen, als unerwartet die Anfrage einer Schule kam. Möglicherweise war es auch Gott, der sie vor Jahren im Rahmen eines Flüchtlingsprojekts ihrer Kirche mit einer alleinerziehenden Mutter aus Eritrea zusammengeführt hatte. Denn mit dieser Bekanntschaft – und mittlerweile Freundschaft – wurde einst ihr Interesse an den Ländern Ostafrikas geweckt. Schliesslich motivierte sie Gott im vergangenen Jahr auch, eine grosse Velotour durch Österreich nach Kroatien zu unternehmen und dabei für das bedürftige Land Äthiopien zu sensibilisieren.
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Datum: 27.03.2023
Autor:
Daniela Baumann
Quelle:
Viertelstunde für den Glauben