Ist nachhaltige Missionsarbeit möglich?

Paul Kleiner: "In der Mission brauchen wir Demut, um nicht richtend oder verachtend zu sein."

Der Theologe und Rektor des TDS Aarau Paul Kleiner war 10 Jahre in der Missionsarbeit in Angola tätig. In dieser Zeit befasst er sich auch mit theologischen, soziologischen und andern Fragen. Wir wollten von ihm wissen, ob Mission heute noch weltverändernd sein kann.

Paul Kleiner, was ist Ihre nachhaltigste Erfahrung aus der Missionsarbeit?
Paul Kleiner: Ich erinnere mich an eine eindrückliche Begegnung. Wir besuchten einen armen Kirchenmitarbeiter. Wir wussten um die traditionelle Gastfreundschaft, kannten aber auch seine beschränkten Mittel und beschlossen deshalb, um 9.30 Uhr aufzutauchen – zu spät fürs Frühstück und zu früh für das Mittagessen. Der Mitarbeiter zeigte uns sein einfaches Lehmhüttenhaus und erzählte aus seinem Leben: Zwei seiner Kinder waren an Krankheiten gestorben; im Dorf gab es keine medizinische Versorgung. Als wir um 10.30 gehen wollten, hielt er uns hin – das Mittagessen sei schon unterwegs. Das dazu nötige Huhn hatte er wahrscheinlich bei den Nachbarn ausgeliehen und musste es in Raten abzahlen. Er beschenkte uns mit seinem Leben, seinem Dienst und über seine materiellen Möglichkeiten hinaus.

Haben Sie durch Ihre Arbeit und durch die Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachhaltige Veränderungen bewirken können?
Ich denke an einen Absolventen des theologischen Seminars. Jahre nach seinem Abschluss erzählte er, auf Grund des Gesundheitsunterrichts meiner Frau habe seine Familie ihre Essgewohnheiten umgestellt mit der Folge, dass die jüngeren Kinder jetzt bedeutend weniger krank waren als die älteren. Ich denke an einen Nachbarn, der im Warteraum eines Gesundheitszentrums unserer Kirche zum Glauben gekommen war. Später arbeitete er dort als Verwalter. Im Bürgerkrieg wurde er entführt, flüchtete nach Namibia und kam später tuberkulosekrank nach Hause. Trotz allem hatte er seinen christlichen Glauben bewahrt. Gegenseitig waren er und seine Frau sich in den elf Jahren der Trennung treu geblieben. Ich sah ihre fröhlichen Gesichter und spürte ihren hoffnungsvollen Glauben. – Aber ich könnte auch von Enttäuschungen berichten.

Wie wirkt sich die Hinwendung. Wie wirkt sich die Hinwendung von Afrikanern zum christlichen Glauben auf Familien, Gesellschaft und Umwelt aus?
Evangelische Christen in Angola konsumieren weniger Alkohol. Somit gibt es weniger Gewalt in den Familien, und es steht mehr Geld für Nützliches zur Verfügung. In evangelischen Familien gibt es mehr Treue zwischen den Partnern, und Väter beteiligen sich finanziell mehr am Unterhalt der Familie. Die Frau eines unserer Studenten fragte einmal eine brasilianische Kollegin: „Ist es in eurem Land üblich, dass Männer Frauen schlagen?“ – „Es wird sicher nicht gutgeheissen“, lautete die Antwort, „auch wenn es vorkommt.“

„Es lebe das theologische Seminar!“, rief die temperamentvolle Studentenfrau, „seit mein Mann hier studiert, schlägt er mich viel seltener.“ Hingegen gibt es in Angola –weder in noch ausserhalb der Kirchen – kaum ein Bewusstsein für ökologische Anliegen. Eine löbliche Ausnahme bildet der angolanische Direktor des Seminars: In einer Leitungssitzung thematisierte er die Entsorgung der anfallenden aufladbaren Batterien, die in den Funkgeräten des Wachpersonals verwendet werden. Im Bereich der Korruption konnte ich leider kaum einen Unterschied zwischen Christen und Nichtchristen wahrnehmen.

Gibt es Aspekte, die westliche Missionsarbeit in der Zweidrittelwelt heute stärker berücksichtigen müsste?
Zentral scheint mir die Frage der Partnerschaft mit einheimischen Christen zu sein. Auch wenn dies zu einem Modewort westlicher Missionsgesellschaften geworden ist, hinkt die Realität nach. Schnell halten wir uns mit unserer besseren Ausbildung und mit unseren materiellen Mitteln für überlegen. Wenn wir im Leben einheimischer Leiter fehlende Strategie, Gesetzlichkeit, falsche Prioritäten, Untätigkeit, „Vetterli“- Wirtschaft oder Unehrlichkeit zu sehen meinen, brauchen wir Demut und die Überwindung von Rassismus und Stolz in unserem Leben, um in Liebe und Geduld Partner zu bleiben und uns nicht richtend oder verachtend zu überheben.

Ein anderer Aspekt betrifft den Lebensstil von Missionaren. Ich war schockiert, als ich als junger Mann in Asien sah, dass Missionare materiell und sozial besser lebten, als sie es in ihren Herkunftsländern könnten. Dieses Thema ist komplex und sehr heikel, aber unser Leben vermittelt eine deutlichere und oftmals nachhaltigere Botschaft als unsere Worte. Dazu sagte mir ein angolanischer Freund einmal: „Du kannst einen Ertrinkenden nicht retten, ohne nass zu werden.“

Datum des Interviews: 2002
Pfr. Dr. Paul Kleiner (46), verheiratet mit Dorothee, ist Rektor des TDS Aarau. Er war bis 2001 Lehrer und Mitglied des Leitungsteams des theologischen Seminars der Evangelischen Allianz Angolas und Landeskoordinator der SAM in Angola. 1986-1991 war er VBG-Berater für Theologiestudierende in Zürich, Bern, Basel und Fribourg. 1992 promovierte er an der Universität Zürich bei Hans Ruh mit einer Dissertation zum Thema „Bestechung. Eine theologisch- ethische Untersuchung“.

Datum: 16.03.2007
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Bausteine/VBG

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