Politlunch zur Palliative Care

Leben vor dem Sterben – es gibt noch viel zu tun

Immer mehr Menschen werden immer älter und brauchen in der letzten Lebensphase eine aktive, pflegende Begleitung. EVP und EDU der Region Thun luden zum 8. Thuner Politlunch ins Restaurant Lamm ein, und etwa 75 Besucher liessen sich von Nelly Simmen, Fachfrau aus Bern, in das wichtige Thema der Palliative Care einführen.
Politlunch vom 15.01. in Thun
Hunderternote der 5. Banknotenserie von 1956
Nelly Simmen informiert am Politlunch über Palliative Care.

«Ich kann dich nicht heilen, aber ich gebe dir Wärme und Schutz». Dem Ausdruck «Palliative Versorgung» liegt das lateinische Wort «pallium» zugrunde - das ist ein wollener Mantel, der behutsam um einen Menschen gelegt wird.

Palliative Vorsorge bezieht sich auf die letzte Phase unseres Lebens, in der eine pflegende und stützende Begleitung nötig ist, damit ein «würdiges Sterben» möglich wird. In der Palliative Care geht es nicht darum, das Leben zu verlängern, sondern die letzte Phase leichter zu machen. Die Referentin Nelly Simmen illustrierte diese Aufgabe an einem Bild, das die vorletzte Hunderternote zierte – ein Mantel wird geteilt und über einen Kranken gebreitet. «Natürlich kostet Palliative Care auch Geld», ergänzte die Referentin mit Anspielung auf die Geldnote. 

Wie wollen Sie sterben?

Mit einer provokativen Frage stellte die Referentin die Zuhörer existentiell mitten in das Thema hinein. «Wie wollen Sie sterben? Schnell oder langsam? Daheim oder in einer Institution? Über diese Fragen müssen Sie heute rechtzeitig nachdenken, sonst kommen Sie schnell in einen Schlamassel.» Früher sei der Tod viel mehr in die Gesellschaft eingebettet gewesen – jedes Kind habe Berührung mit ihm gehabt. Heute treffe sie immer wieder Erwachsene im fortgeschrittenen Alter an, die noch nie einen toten Menschen gesehen hätten.

Extreme Möglichkeiten

«Heute haben wir extreme Möglichkeiten, Sterben zu verhindern. Wir können Menschen Monate oder gar Jahre künstlich am Leben erhalten. Das macht vielen Menschen auch Angst», stellte Simmen fest. So habe sie in Heimen Menschen angetroffen, die mittels Magensonden künstlich ernährt würden, obwohl sie und ihre Familien das eigentlich gar nicht wünschten.

Gegen die extremen Lebensverlängerungen gibt es nun Gegenbewegungen, die sie einschränken und regulieren. Die Referentin zählte unter anderem auf:

  • Sterbehilfeorganisationen, die einen «geregelten» Suizid ermöglichten, wenn ein Mensch das wünscht
  • Die Patientenverfügung
  • Das neue Patienten- und Erwachsenenschutzrecht
  • Die «Palliative Care», die Menschen vor dem Sterben nicht sich selbst überlässt.

Rechtzeitig vorausplanen

«Menschen sterben, wie sie gelebt haben», stellte Simmen fest. «Wer sich das ganze Leben nicht um Dinge kümmert, wird das im Sterben auch nicht lernen.» Dabei sei es enorm wichtig, die Vorgänge um das eigene Sterben – so weit es möglich ist – rechtzeitig vorauszuplanen. 80% der Menschen wollten gern daheim sterben – in der Realität sterben aber 80% in Institutionen. Viele Angehörige seien mit der Begleitung Sterbender überfordert. Um so wichtiger sei es vorauszudenken. Die Patientenverfügung sei solch ein Schritt – in ihr wird definiert, wie man in der letzten Lebensphase medizinisch betreut werden möchte. Ebenfalls wichtig sei es, einen Vorsorgeauftrag und bevollmächtigende Stellvertreter schriftlich festzuhalten.

Therapeutischen Übereifer bremsen

Auf die Frage nach ihrem Ideal skizzierte Nelly Simmen eine Reihe von Forderungen, an denen jeder in seinem Einflussbereich beharrlich arbeiten müsse:

  • Leben und Sterben müsse mehr zusammenkommen. «Sterben darf nicht einfach abdelegiert werden.»
  • Die vernetzte Palliativ-Struktur – eine Kombination von privater Fürsorge und verschiedenen Institutionen – sollte in jeder Spital-Versorgungsregion verwirklicht werden.
  • Eine Grundversorgung müsse aufgebaut werden, in der man Menschen auch sterben lassen kann. «Therapeutischer Übereifer, der jedes erdenkliche Mittel zur Lebensverlängerung einsetzt, muss gebremst werden», so Nelly Simmen.
  • Es müssten Möglichkeiten geschafft werden, wo jüngere Erkrankte gepflegt werden können. Wer mit 50 sterbenskrank werde, möchte nicht in ein Pflegeheim für Alte eingeliefert werden.

Die anschliessende Diskussion zeigte, dass Mitglieder der E-Parteien durchaus unterschiedlicher Meinung über die Notwendigkeit und Berechtigung von Organisationen wie Exit sind. Einig waren sich die Teilnehmer, dass Christen besonders gefordert sind, den Mantel behutsamer Fürsorge wo immer möglich über Menschen in der letzten Lebensphase zu legen.

Datum: 16.01.2015
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet

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